Das Zahlenraten hat ein Ende: Der Spiegel-Verlag will im Rahmen seines
seit Juni bekannten Sparprogramms bis Ende 2017 rund 150 Vollzeitstellen streichen, davon etwa 100 (von bisher 346) in den kaufmännischen Abteilungen, 35 (von 294) in der Print-Redaktion und rund 14 (von 87) in der Dokumentation. Unter anderem damit will der Verlag dauerhaft 15 Millionen Euro einsparen und zugleich elf neue journalistische Projekte starten, die bis 2019 rund 20 Millionen Euro Zusatzumsatz bringen sollen. Der „Spiegel“ hat sich also viel vorgenommen.
Wie viele Stellen genau betroffen sind und ob Kündigungen nötig werden, hängt zum einen davon ab, inwieweit einzelne Maßnahmen funktionieren – etwa, ob sich fürs Outsourcing einzelner Bereiche (betroffen sind zum Beispiel die Anzeigendisposition/Ad Management und die Abo-Verwaltung/CRM im Vertrieb) geeignete Kooperationspartner oder Dienstleister finden. Geschäftsführer Thomas Hass spricht hier von einem „Umsetzungsrisiko“ in Höhe von 20 Prozent, bezogen auf 16,1 Millionen Euro Bruttoersparnis.
Davon entfällt der größte Batzen auf die kaufmännischen Abteilungen (8,2 Millionen Euro), gefolgt von der Print-Redaktion (6,4) und der Dokumentation (1,5). Das Geld will der „Spiegel“ durch veränderte Abläufe sparen (9,6 Millionen Euro), bei Sachkosten (4,4) und eben durch Outsourcing (2,1).
Zum anderen hängen die
genaue Stellenzahl und die Kündigungsfrage davon ab, inwieweit sich Mitarbeiter und Betriebsrat auf Vorruhestands- und Teilzeitangebote, Solidarmodelle wie Verzicht auf Gehalt und freiwillige Leistungen oder auf Abfindungs-Transfergesellschaften einlassen. Dem Vernehmen nach will der Verlag vor allem in der Redaktion
Kündigungen vermeiden und die Vorruhestandsregelung attraktiver machen, damit mehr hoch bezahlte Alt-Redakteure diese annehmen – nicht (nur) durch mehr Geld, sondern auch durch die Erlaubnis journalistischer Nebentätigkeiten. Betriebsbedingte Kündigungen soll es bis Ende Mai 2016 nicht geben, danach wollen Hass und Chefredakteur
Klaus Brinkbäumer dies nicht mehr ausschließen, „aber wir werden alles dafür tun, dass es dazu nicht kommt“, so Hass.
Zum Vergleich: 150 Stellen – das sind
ein Fünftel der rund 730 („Spiegel“) beziehungsweise 12,5 Prozent der etwa 1200 (Gruppe inklusive Spiegel Online, Spiegel TV und „Manager Magazin“) Vollzeitstellen des Hauses. Betriebsbedingte Kündigungen gab es im Haus bisher nur bei Spiegel TV, noch nie beim Nachrichtenmagazin. Doch die Zeiten haben sich geändert.
Denn
seit Juni ist offiziell: Der Verlag, mehrheitlich
in Mitarbeiterhand, muss erstmals in seiner fast 70-jährigen Geschichte ernsthaft sparen. Wegen stetig sinkender Erlöse und bislang fast konstanter Kosten könnte das Haus sonst in wenigen Jahren ins Defizit rutschen. Damit würde es als Übernahmekandidat seine
Unabhängigkeit riskieren, weil weder nennenswerte Rücklagen – wegen der jahrzehntelangen Vollausschüttungen – noch nachschussbereite Gesellschafter parat stehen: Die rund 300 Print-Redakteure, 90 Dokumentare und 340 kaufmännischen Angestellten, denen via Mitarbeiter KG 50,5 Prozent des Verlags gehören, haben ihre
Ausschüttungen längst verfrühstückt; G+J (25,5 Prozent) würde lieber günstig zukaufen als nachschießen. Und den vier Augstein-Erben fehlen die Mittel und auch der Wille dazu; drei prüfen sogar den Ausstieg.
Bis 2017, so hatten es Brinkbäumer und Hass daher einträchtig im Sommer verkündet, will man die Kosten dauerhaft um 15 Millionen Euro gesenkt haben, etwa durch Zusammenlegung von Abteilungen, externe Kooperationen, Outsourcing, Kürzung von Konditionen und Stellen. Die Lage ist ernst: Seit dem besonders erfolgreichen Jahr 2007 sind Umsatz (2014: 285 Millionen Euro) und Gewinn (2014: 25 Millionen Euro) der Gruppe um ein Fünftel beziehungsweise um die Hälfte gesunken, vor allem wegen ihres Hauptumsatzbringers, des Print-„Spiegel“. Gerade zuletzt hatten sich die Rückgänge beschleunigt – bei gleichen Kosten.
Spiegel Online wächst zwar noch, jedoch langsamer, 2015 nur noch mit einem kleinen Plus. Die
Vertriebsumsätze sinken trotz der 5 Millionen Euro-Erlöse der App weiter, im laufenden Jahr insgesamt mit einem kleinen Minus. Die größten Sorgen bereitet das
Anzeigengeschäft: Seit 2010 sind die Umsätze hier um gut 8 Prozent pro Jahr gesunken – das ist 2015 nicht anders. Ohne Gegenmaßnahmen „riskieren wir, dass der ,Spiegel‘ schon bald
in die roten Zahlen rutscht“,
so Hass im Sommer. In drei oder vier Jahren könne es sonst soweit sein.
Die Gesellschafter unterstützen laut Hass den Kurs, vor allem durch einen Verzicht auf die übliche Vollausschüttung des Gewinns, den es ja immerhin noch gibt. Auch 2015 noch, wenn wie geplant das Gros der
Restrukturierungskosten, ein zweistelliger Millionenbetrag, schon in diesem Jahr verbucht werden. Allerdings: Durch die erwähnten „Umsetzungsrisiken“ könnte es sein, dass die angepeilten 15 Millionen Euro Sparziel nicht ganz erreicht werden.
Neben dem Sparprogramm beschlossen die Gesellschafter auch etliche
„Wachstumsprojekte“, an denen längst gearbeitet wird und die meist auch schon bekannt sind. Jetzt rücken Hass, Brinkbäumer und Florian Harms, Chefredakteur von Spiegel Online (SpOn), Details heraus:
--> Das angekündigte
Online-Bezahlmodell soll im 1. Quartal 2016 beginnen. Nach und nach werden einzelne Artikel aus dem Heft, Beiträge von Spiegel Online sowie neue Formate kostenpflichtig und können zeitraumbasiert mit Tages-, Wochen- und Monatspässen genutzt werden. Damit will der Verlag unterschiedliche Preisbereitschaften ausnutzen und die Lücke zwischen voll zahlenden „Spiegel“-Abonnenten und gratis lesenden SpOn-Nutzern schließen.
--> Im 1. Halbjahr 2016 geht „Spiegel Daily“ (Arbeitstitel) an den Start, eine werktäglich am späten Nachmittag im Web und per App erscheinende
digitale Bezahlzeitung mit Text-, Bild-, Grafik- und Video-Inhalten aus allen Sparten. Das in sich geschlossene Angebot – es wird nicht laufend aktualisiert – ist auch einzeln zu kaufen. Mit den wichtigsten News des Tages, erklärt und weitergedreht, sowie einem kuratierten Best-of aus Social Media dürfte „Spiegel Daily“ für Pendler und Feierabendleser die Zeitungen des kommenden Tages attackieren.
--> Ab Februar 2016 testet der „Spiegel“ zunächst für drei Monate
Regionalseiten in und für Nordrhein-Westfalen. Die acht Zusatzseiten – sechs für Redaktion, zwei für Anzeigen – werden in die Mitte derjenigen Exemplare geheftet, die an Rhein und Ruhr geliefert werden. Bei Erfolg will der Verlag dieses Prinzip auf weitere Ballungsräume ausdehnen.
--> Das englischsprachige Digitalangebot (
„Spiegel International“) soll kostenpflichtig ausgebaut werden, mit eigenen neuen Formaten und Übersetzungen aus dem „Spiegel“ (Start: 1. Halbjahr 2016), im Visier ist unter anderem auch die Zielgruppe von Axel Springers „Politico“.
--> Schon ab der kommenden Woche erscheint der digitale „Spiegel“ in modernerem Gewand. Scrollen statt blättern, responsives Design, mehr (multimediale) Features, bessere Navigation, Sharing-Funktionen – das sind die wichtigsten Neuerungen der
Bezahl-App.
Weitere neue Projekte sind längst im Markt, etwa das Supplement
„Literatur Spiegel“ (früher: „Kultur Spiegel“) und das Jugendportal
Bento, das laut Harms die Starterwartungen in Sachen Visits und Werbeeinnahmen übererfüllt habe. Der bisher einmalige monothematische Heftableger
„Spiegel Biografie“ muss sich jetzt erstmal im Vertrieb bewähren. Bei Erfolg könnte er, die spätere Zustimmung der Gesellschafter vorausgesetzt, regelmäßig erscheinen.
Im Sommer hatte Brinkbäumer – rhetorisch hübsch passend zum 15-Millionen-Euro-Sparziel – 15 „Wachstumsprojekte“ angekündigt, jetzt sind es nur noch
elf. Sie sollen bis 2019 rund 20 Millionen Euro
Zusatzumsatz bringen. Manches stand schon in den Plänen früherer Chefredaktionen, es soll nun nur besser organisiert und härter bewertet werden. Einige sind erstmal zurückgestellt. So bastelt der Verlag an einem neuen Veranstaltungskonzept, will den „Literatur Spiegel“ zum Online-Kulturportal mit Bücherverkauf und Ticketing erweitern und
Beteiligungen an Firmen prüfen, die „nah an den Geschäftsfeldern des Verlags operieren“. Dafür könnte man einen zweistelligen Millionenbetrag locker machen, so Hass damals.
Trotzdem klingt Letzteres eher nach der Nutzung von Opportunitäten als nach der systematischen Suche nach Investitionen, um ganz neue Erlössäulen aufzubauen. Die früheren Pläne, auch über
Akquisitionen im Bildungssektor zu wachsen, dürften damit vom Tisch sein. Nun regiert offensichtlich die Hoffnung, allein aus sich selbst heraus gedeihen zu können, ohne nennenswerte Zukäufe.
rp