Die Panama Papers haben die "Süddeutsche" beflügelt
NSA-Abhöraffäre, Gemauschel-WM 2006, Panama- und TTIP-Papers: Seit Monaten jagt eine Enthüllung die andere. Bei letzteren Themen mittendrin auf Medienseite: Die „Süddeutsche Zeitung“. Bei HORIZONT Online erklären die „SZ“-Verantwortlichen, was es gebracht hat.
Darf man Scoops überhaupt daran messen, wie sie zum wirtschaftlichen Erfolg der Häuser beitragen? Zum direkten (höhere Vertriebs- und Werbeerlöse) und indirekten (besseres Image, das sich längerfristig auszahlt) Erfolg? Ja, man muss sie sogar auch daran messen. Mehr dazu und zum Anreizsystem von Informanten – mithin zur „Ökonomie der Enthüllung“ – lesen Abonnenten in der HORIZONT-Ausgabe 20/2016, die am Donnerstag, 19. Mai erschien.
Die „Süddeutsche“ habe in den vergangenen Jahren stark in den Ausbau der investigativen Recherche investiert, erklärt Chefredakteur
Wolfgang Krach gegenüber HORIZONT Online und verweist auf das eigene Ressort unter der Leitung von Hans Leyendecker und auf „viel Zeit, Energie und Mühe“, die man in die Aus- und Weiterbildung von Kollegen gesteckt habe, die sich speziell um investigative Projekte kümmern. Mittlerweile zähle diese Arbeit zu den „identitätsstiftenden Merkmalen“, sagt Krach; die „SZ“ unterscheide sich hier von allen anderen Zeitungen in Deutschland. „Die
Investition in die investigative Recherche zahlt sich für uns somit aus, sowohl journalistisch als auch wirtschaftlich“, so der Chefredakteur.
Was bringen Großenthüllungen für den Einzelverkauf? Lagen die „SZ“-Ausgaben mit den Panama-Titelgeschichten signifikant über vergleichbaren früheren Heften?
Gesamtvertriebsleiter Mario Lauer: Am Montag direkt nach der Veröffentlichung wurde die „Süddeutsche Zeitung“ an den Verkaufsstellen insgesamt sehr stark nachgefragt. So konnten wir den Abverkauf im Bahnhofsbuchhandel mehr als verdoppeln und die Verkäufe über die von den Grosso-Vertrieben belieferten Verkaufsstellen um über 80 Prozent steigern. Auch an den Folgetagen kam es insgesamt zu deutlichen Mehrverkäufen, so dass wir allein in den ersten drei Tagen über 30.000 Exemplare mehr verkauft haben als an vergleichbaren Wochentagen. Aber nicht nur im klassischen Einzelverkauf, auch bei unserer digitalen Ausgabe gab es ordentliche Zuwächse bei den Downloadzahlen und den Abschlüssen von Testzugängen. Allein die Downloadzahlen stiegen um mehr als 30 Prozent gegenüber den Vorwochen, bei den Testzugängen waren es sogar über 50 Prozent. Somit lässt sich klar feststellen, dass Großenthüllungen und Großereignisse noch immer einen starken Einfluss auf den Abverkauf und speziell auch auf den Vertriebskanal Einzelverkauf haben.
"Spiegel"-Enthüllungsbilanz
"Leser wünschen sich dezidiert investigative Berichterstattung"
NSA-Abhöraffäre, Gemauschel-WM 2006, Panama- und TTIP-Papers: Seit Monaten jagt eine Enthüllung die andere. Bei den erstgenannten Themen maßgeblich auf der Medienseite: Der "Spiegel". Bei HORIZONT Online erklärt Verlagsleiter Michael Plasse, was es gebracht hat. ...
Haben Großenthüllungen früher im Vertrieb mehr gebracht?
Lauer: Die Auswirkungen von Großereignissen auf die Verkaufszahlen waren früher in den ersten Tagen ähnlich stark ausgeprägt wie heute, doch hielt der positive Verkaufstrend auch über einen längeren Zeitraum an. Heute hat sich die Nachhaltigkeit von Nachrichten auf den Verkauf insgesamt deutlich abgeschwächt, das Interesse sinkt rascher wieder auf ein normales Niveau zurück. Dies hat ganz sicherlich damit zu tun, dass sich Informationen rascher über das Netz verbreiten und zu jedem Zeitpunkt und über verschiedenste Kanäle verfügbar sind.
Der internationale Andrang bei den Panama Papers hat unsere Server zeitweise in die Knie gebracht.
Stefan Plöchinger
Digitalchef Stefan Plöchinger
Was bringen (eigene) Großenthüllungen für den Traffic im Internet?
Stefan Plöchinger, in der „SZ“-Chefredaktion fürs Digitale zuständig: Der internationale Andrang bei den Panama Papers hat unsere Server zeitweise in die Knie gebracht – schon insofern hat die Resonanz auf diese Enthüllung sicher übertroffen, was wir an Traffic erwartet haben. Der Traffic auf der Stammseite SZ.de, wo wir die Nachrichtengeschichten zum Panama-Thema und die kleineren Stoffe gespielt haben, nahm deutlich zu. Wir hatten in der ersten Woche 13 Prozent mehr Visits als in der Vorwoche, 10 Prozent mehr Nutzer und 7 Prozent mehr PI. Gegen Ende der Woche flaute der Panama-Effekt etwas ab, die Werte blieben aber auch in der zweiten Woche leicht höher. Der Gesamt-Traffic hatte am Sonntag und Montag des Erscheinens das Drei- bis Vierfache normaler Werktage erreicht, zwischen 3 und 4 Millionen Visits je Tag. Ansonsten: Wir merken an Tagen wie jenem mit den TTIP-Enthüllungen leichte Ausschläge nach oben und haben vielleicht 50.000 oder 100.000 mehr Visits als sonst.
Kann der Verlag diesen Zusatz-Traffic auch adäquat mit Werbeerlösen monetarisieren?
Plöchinger: Das hilft in der Werbevermarktung natürlich immer, aber das jetzt mit Werbeerlösen gegenzurechnen, ist sinnlos. Zum einen funktioniert der lukrative Teil des Werbegeschäfts weniger über den einzelnen Klick als zum Beispiel über eine stark gebuchte Homepage, zum anderen können Sie die Kosten für eine exklusive Recherche nicht in Relation zu einigen zehntausenden zusätzlichen Klicks setzen. Die Gesamtrechnung muss stimmen, und dafür ist es zum Beispiel essentiell, dass wir mit exklusiven Geschichten gerade auch im Netz klar machen, was der Wert von unabhängigem Journalismus ist und dass wir nicht zuletzt deshalb ein Bezahlmodell eingeführt haben.
Zweifellos befördern Großenthüllungen das Image der jeweiligen Medien. Inwieweit messen Sie diese Imagewirkungen?
Plöchinger: Die „SZ“ wird schon lange als investigationsstark wahrgenommen, darum wissen wir natürlich um den Imagewert exklusiver Geschichten. Bei den Panama Papers hat uns dennoch überrascht, wie massiv wir an internationaler Aufmerksamkeit gewonnen haben – das muss man gar nicht in globalen Imagestudien messen, was wir auch nicht tun. Da reicht ein Blick auf die Zugriffszahlen aus dem englischsprachigen Raum.
Das heißt konkret?
Plöchinger: Auf unseren Sonderseiten zu den Panama Papers auf Deutsch und Englisch hatten wir in den ersten anderthalb Wochen etwa 7,5 Millionen Page Impressions (PI). Das ist etwa das Anderthalbfache dessen, was wir an einem normalen Werktag auf der gesamten Site an Klicks haben. Davon landeten mehr als 3 Millionen PI auf den Übersichtsseiten selbst. Die großen Reportagen und Geschichten, die in einem eigenen Storytelling-Tool produziert wurden, kamen zusammen auf weit mehr als 4 Millionen PI. Der erfolgreichste Text insgesamt, die englische Variante des Erklärstücks „Das ist das Leak“, kam auf mehr als 2 Millionen PI. Die erfolgreichste Einzelgeschichte war mit mehr als 400.000 PI die Island-Geschichte auf Englisch. Aus dem Ausland kamen mit Abstand die meisten Zugriffe. Das ist ein Novum in der Geschichte von SZ.de: USA 36 Prozent, Deutschland 33 Prozent, Kanada 5 Prozent, Großbritannien 4 Prozent, China, Österreich, Australien, Schweiz und Niederlande je 2 Prozent. Die englischen Übersetzungen haben sich also zur internationalen Profilbildung bestens bezahlt gemacht.