Rechtsanwalt Jörg Heidrich

Warum das NetzDG so viele Schwächen hat

Rechtsanwalt Jörg Heidrich präsentiert auf der Re:publica eine erste Bilanz des NetzDG
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Rechtsanwalt Jörg Heidrich präsentiert auf der Re:publica eine erste Bilanz des NetzDG
Am 1. Januar 2018 trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft - und bestätigte prompt die Befürchtungen der Kritiker. Denn bereits in den ersten Januarwochen schlugen mehrere Vorkommnisse hohe Wellen in den Medien - zum Beispiel die Löschung von Tweets des Magazins Titanic, die nicht als Satire erkannt wurden. Der Rechtsanwalt und Journalist Jörg Heidrich zog nach vier Monaten NetzDG auf der Re:publica eine Bilanz.
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Heidrich spricht es gleich zu Beginn an: Er reiht sich nicht gerne in die Riege der NetzDG-Kritiker ein. "Wenn man sich gegen das NetzDG ausspricht, hat man unschöne Mitstreiter an seiner Seite, die man eigentlich nicht haben will", führt er aus, "diskutieren muss man darüber aber trotzdem". Dem Presserechtler stößt allein die Entstehungsgeschichte des NetzDG auf: Es basiere kaum auf empirischen Grundlagen.

So reichte der Bundesregierung ein Monitoring-Bericht von Jugendschutz.net, in dem das Portal die Reaktionszeiten von Twitter, Youtube und Facebook auf Meldungen von "strafbaren Inhalten" festhielt. Heidrich kritisiert, dass die nach Jugendschutz.net strafbaren Inhalte durch Rechtslaien ausgewählt und definiert wurden - es handele sich dabei letztlich nur um "gefühlte Wahrheiten".

Außerdem müsse man zwischen Fake News und strafbaren Fake News unterscheiden: Strafbare Fake News seien in den von Jugendschutz.net ausgewählten Beiträgen nicht enthalten gewesen. In diesem Zusammenhang plädiert der Journalist dafür, generell nicht das Wort Hate Speech zu nutzen - sondern das Wort Hass-Kriminalität. Denn: Hassen sei schließlich nicht verboten, jeder dürfe hassen. Das NetzDG beträfe dementsprechend eigentlich nicht die freie (negative) Meinungsäußerung - sondern sollte nur dann greifen, wenn der Inhalt strafbar ist. "Wir können Hass nicht durch Post-Löschungen verbieten, wir müssen ihn bekämpfen", so Heidrich.

Doch diese Unterscheidung falle den sozialen Netzwerken aus mehreren Gründen schwer. Sie sind verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Beschwerdeneingang zu sperren oder zu entfernen. "Doch was sind überhaupt offensichtlich rechtswidrige Inhalte? Das weiß kein Mensch", moniert Heidrich. Kommen Facebook, Youtube, Twitter und Co ihrer Pflicht nicht nach, drohen Bußgelder in Millionenhöhe.

Und diese Bußgelder führen laut dem Rechtsanwalt wiederum dazu, dass der Druck auf die sozialen Netzwerke steigt. Wenn ihnen "systemisches Versagen" nachgewiesen wird, also in mehreren Fällen Beiträge nicht schnell genug bearbeitet werden, kann das die Unternehmen bis zu 50 Millionen Euro kosten. Eine stolze Summe. Heidrich befürchtet, dass die Kombination aus Zeitdruck, politischem Einfluss und der Erwartung der Öffentlichkeit an die sozialen Netzwerke mit über 2 Millionen Usern zwangsläufig ein "Löschungsregime" hervorbringen wird, das nach der Devise "im Zweifel löschen" funktioniere.

Alles in allem fasst Heidrich zusammen, dass er noch nie so viel Kritik aus so vielen Lagern gehört habe. Verleger, Unternehmen und NGOs: Sie alle seien einheitlich dagegen. Neben zwei juristischen Bedenken (Verfassungsrecht sei eigentlich Aufgabe der Länder und ob das NetzDG mit dem Europarecht konform geht, sei zweifelthaft), äußert der Journalist auch eine bedenkliche Zukunftsprognose. Zusätzliche Gefahr gehe davon aus, dass eines Tages vemutlich Algorithmen die Löschungen übernehmen werden. "Menschen sind teuer, sie werden diesen Job nicht immer machen", erläutert Heidrich, "hoffen wir, dass es gute Algorithmen werden, die strafbare Inhalte ausmachen können".

Vor allem aber bemängelt Heidrich, dass die gelöschten Beiträge keinerlei Verbesserung der Strafverfolgung nach sich ziehen. "Es geht nur darum, eindeutig rechtswidrige Inhalte um nahezu jeden Preis zu löschen - das ist ein verheerendes Signal an die Bürger", kritisiert der Anwalt. Zudem sieht er die Meinungsfreiheit in Gefahr, da die User sich genau überlegen würden, was sie schreiben und was nicht. "Das enorme gesellschaftliche Problem, mit dem sich das NetzDG befasst, lässt sich nicht durch das Löschen einzelner Beiträge lösen", schließt Heidrich, "es ist allenfalls die Illusion einer Problemlösung. bre
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