Internet-Unternehmer Philipp Westermeyer

"Das Handelsblatt ist total old school"

Philipp Westermeyer, Online Marketing Rockstars
Online Marketing Rockstars
Philipp Westermeyer, Online Marketing Rockstars
Philipp Westermeyer ist Unternehmer und veranstaltet mit den Online Marketing Rockstars eines der wichtigsten Events der deutschen Internet-Szene. Im Interview erzählt er, warum der ADC im Digitalen nicht das Maß der Dinge ist, Patricia Riekel keine Websites für Millenials bauen kann und weshalb er ein deutsches "Business Insider" vermisst.
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Als vergangene Woche der ADC in Hamburg tagte, veröffentlichte Online Marketing Rockstars (OMR) einen Kommentar des Criteo-Deutschlandschefs Alexander Gösswein, der dem ADC eine verzerrte Wahrnehmung digitaler Kreation vorwarf. Du veranstaltest mit den OMR einen der wichtigsten Digitalevents in Deutschland. Würdest Du auch sagen, dass der ADC in Sachen digitaler Kreation hinter dem Mond lebt? Man muss konstatieren: Mehr als die Hälfte des Digitalwerbebudgets geht in Performance- und abverkaufsorientiertes Marketing. Doch die meisten Leute, die wie der ADC von außen auf den digitalen Werbemarkt draufschauen, unterschätzen, wie wichtig Facebook-Kampagnen, Search, Retargeting und anderes inzwischen ist. Wer glaubt, dass Media hauptsächlich in die beim ADC ausgezeichneten Kreativarbeiten fließt, ist auf dem Holzweg. Das meiste Geld geht nicht in kreative Kampagnen, sondern in solche, bei denen es um den richtigen Klickpreis an der richtigen Stelle geht.

Kreation wird im Digitalen unwichtiger? Früher hatte man wenig Kanäle und Werbeplattformen, da war Kreation und die tolle Idee entscheidend, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Heute haben Werbungtreibende so viele Optionen, dass das Wissen, wo man werben soll, wichtiger wird als die Fähigkeit, eine kreative Kampagne zu machen. Eine gute Kreation nutzt heute nichts mehr, wenn man nicht weiß, wie man sein Werbegeld einsetzen soll. Wenn heute die falsche Plattform gewählt wird, geht die beste Idee unter.

Trotz aller Skepsis angesichts der Überbewertung von Kreation treten bei den Online Marketing Rockstars regelmäßig klassische Werber auf. Warum eigentlich, wenn das eine ganz andere Welt ist? Es ist ja nicht so, dass Digital und Klassik strikt getrennt voneinander agieren. Die Grenzen verwischen zunehmend und auch für Digitalspezialisten sind das Know-how und die Visionen von Werbern interessant.

Zwei Konferenzen zu Content Marketing und New Platform Advertising
Vor der Dmexco im September gibt es im Juni und Juli zwei wichtige Digitalkongresse. Am 11. Juni veranstaltet die OMR einen Kongress über New Platform Advertising. Hier wird gezeigt, welche Chancen die Werbeplattformen der Generation nach Facebook, SEO und Retargeting haben. Anmeldung: New Platform Advertising .
Einen Monat später beschäftigen sich die HORIZONT Digital Days am 13. und 14. Juli in Berlin unter anderem mit Content Marketing. Einer der Redner wird OMR-Chef Philipp Westermeyer sein. Weitere Speaker: Andreas Neef, L’Oréal, Andreas Alpar, AKM3, Lukas Kircher, C3, Thomas Knüwer, Kpunktnull, Patrick Swientek, Maggi. Der zweite Konferenztag ist ein Learning Day: Professor Peter Gentsch untersucht Best Cases bei Big Data. Wer wissen will, worauf es im Digitalbusiness ankommt, darf die HORIZONT Digital Days nicht versäumen. Anmeldung, weitere Infos bei der Conference Group.
Auch wenn beide Seiten unterschiedliche Sprachen sprechen? In der Tat gibt es Verständigungsprobleme, was aber verständlich ist. Jemand, der aus dem Performance-Marketing kommt, schüttelt verständlicherweise den Kopf über jemand, dem es um die Inszenierung einer Marke geht. Umgekehrt natürlich genauso. Die Werbeindustrie spreizt sich weiter, die Eckpunkte driften weiter auseinander.

Heute haben Werbungtreibende so viele Optionen, dass das Wissen, wo man werben soll, wichtiger wird als die Fähigkeit, eine kreative Kampagne zu machen.
Philipp Westermeyer
Der Spagat betrifft auch den Macher Philipp Westermeyer. Du bist Eventveranstalter – am 11. Juni veranstaltet die OMR eine Konferenz zu New Platform Advertising -, hast bei Gruner + Jahr gearbeitet, Dein erstes Startup 2010 an Ligatus verkauft. Nach dem Verkauf der Adtech-Plattform Metrigo an Zalando im März 2015 stehst Du strenggenommen auf der Zalando-Payroll. Was bist Du eigentlich? Ich sehe mich eindeutig als Unternehmer, der sich ständig umschaut, was man Neues machen könnte. Im Moment ist die Luft wegen Zalando und den Projekten rund um die OMR etwas dünn, aber das wird sich ändern. Bei den OMR sind wir inzwischen ein tolles Team, und es genügt oft, dass ich immer mal von außen meinen Senf dazu gebe.

Metrigo ist eine Adtech-Firma. Warum interessiert das ein E-Commerce-Unternehmen wie Zalando? Zalando hat ähnlich wie Amazon oder Ebay mittlerweile die Größe, um zu sagen, wir wollen unsere Plattform selbst vermarkten und neben dem E-Commerce Zusatzgeschäft mit Werbung machen. Zalando gibt richtig Gas und will einen großen Vermarkter bauen.

Noch mehr Konkurrenz für die Medien-Websites. Wenn man Zalando in die AGOF einbringen würde, wäre dies eine der Top-10-Websites. Für die Publisher ist es eine große Gefahr, wenn Commerce-Portale zu Werbeträgern werden.

Warum? Aus Sicht der Medienhäuser droht eine Verschiebung der Werbegelder von journalistischen Seiten zu E-Commerce-Plattformen. Das Brutale ist doch: Auf journalistischen Plattformen werden Werbeumfelder einerseits mühsam und teuer geschaffen; guter Journalismus kostet Geld. Andererseits funktioniert Werbung auf den E-Commerce-Sites oft besser, weil die Nutzer ohnehin schon in Kauflaune und für Werbung viel offener sind als ein Nutzer, der einen Artikel auf Spiegel Online oder HORIZONT Online lesen will.

Früher hieß es: Content is King. Lautet die neue Formel für Werbungtreibende: E-Commerce is King? Ich würde eher sagen, Distribution is King, das gilt für Werbungtreibende genauso wie für Mediensites. Die vielen Finanzgeber, die in den USA in neue Content-Firmen investieren, machen das nicht, weil sie Content so toll finden, sondern weil sie erkannt haben, dass man derzeit mit etwas Geschick und mit relativ wenig Geld Content vertreiben kann. Und sie wetten drauf, dies später auch monetarisieren zu können.

Für die Publisher ist es eine große Gefahr, wenn Commerce-Portale zu Werbeträgern werden.
Philipp Westermeyer
Mit anderen Worten: Content Marketing nutzt nichts ohne entsprechende Content Promotion. Ganz genau. Die meisten deutschen Verlage denken immer noch, dass Werte ausschließlich von ganz besonders tollen Journalisten erzeugt werden - und das ist falsch. Sicher: Man braucht Inhalte, und auch Buzzfeed stellt ganz bewußt Journalisten ein, aber das reicht heute nicht mehr, um Relevanz und Reichweite zu erzeugen. Angebote wie Buzzfeed oder Business Insider sind nicht deshalb hoch bewertet, weil die Inhalte so toll sind, sondern weil sie in der Lage, sind ihre Inhalte so geschickt zu verbreiten, dass sie eine unheimliche Reichweite schaffen.

Ist Buzzfeed deine Benchmark für Digital-Journalismus? Ich bin vorsichtig bei Einschätzung von Angeboten, auf die ich selbst quasi nur von außen draufschaue, weil ich sie nicht benutze. Business Insider ist mir viel näher. Auf dieser Website bin ich jeden Tag, und Business Insider wird derzeit mit Investorengeld regelrecht zugeschüttet.

Axel Springer hat sich mit sieben Prozent beteiligt. Genau, wobei ich mich frage, warum sie das gemacht haben.

Weil es Axel Springer die Möglichkeit eröffnet, von einem lokalen, allenfalls in Europa agierenden Unternehmen zu einem globalen Player im neuen Journalismus zu werden? Mag sein, aber das ist nicht mein Punkt. Was ich mich eigentlich frage: Warum werden in Deutschland keine neuen Content-Angebote mit Investorengeld bedacht? Warum sind wir nicht in der Lage, ähnliche Angebote wie Business Insider aus dem Boden zu stampfen?

Vielleicht, weil angloamerikanische Angebote allein wegen die Sprache viel leichter global angelegt sein können und entsprechend attraktiv für Venture Capital sind? Das sehe ich nicht. Ich glaube, wenn sich hierzulande ein Unternehmer, der sich im VC-Bereich auskennt, mit Top-Journalisten und Technik-Spezialisten zusammen täte, könnte man ein tolles Angebot auf die Beine bringen.

In welchem Bereich denn? Schau dir doch den Frauen-Bereich an: Die Frauen-Frage ist im Netz fest in der Hand von alten Printmarken. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Patricia Riekel gute Internet-Angebote für die Millenials macht. Oder Wirtschaft und Finanzen - hier herrscht in Deutschland gähnende Leere. Sicher -  es gibt ein bisschen "Brandeins" und ein bisschen "Business Punk". Und klar, es gibt das "Handelsblatt", aber das ist doch total Old School. Ich frage also nochmal: Wo bleibt das deutsche Business Insider?

Du willst dich ohnehin nach etwas Neuem umtun, wäre das nichts? Du hast Recht, das wäre in der Tat eine Option.

Interview: Volker Schütz
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