Alfred Neven Dumont
Im Alter von 88 Jahren ist der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont gestorben. HORIZONT-Chefredakteur Uwe Vorkötter hat mit ihm sechs Jahre lang zusammengearbeitet. Ein Nachruf.
Die Schlagzeile hätte ihm gefallen: Der letzte Verleger. So hat er sich gesehen. Ein Übriggebliebener aus der Generation der großen publizistischen Unternehmer der Nachkriegszeit: Axel Springer, Gerd Bucerius, Reinhard Mohn, Rudolf Augstein. Natürlich hat er sie alle gekannt, hat mit ihnen gehandelt und gestritten, Freundschaft geschlossen, ihnen den Kampf angesagt. Sie sind längst gestorben, neue Verlegerpersönlichkeiten hat das Land nicht hervorgebracht. So blieb nur er: Alfred Neven DuMont, Sir Alfred, der Zeitungszar, der Kölner Patriarch, der Verlegerfürst. All diese Beinamen hat er stets zurückgewiesen, mit pflichtgemäßer Empörung. Dabei hat er sein jungenhaft-verschmitztes Lächeln gelächelt; unangemessen fand er die Titel schließlich nicht. Mit der Macht verband ihn ein leidenschaftliches Verhältnis.
In seiner Jugend fühlte sich Neven DuMont zum Künstler berufen. Er trat kurz nach dem Krieg im Münchener Staatsschauspiel auf, war an den Kammerspielen Assistent des Regisseurs Hans Schweikart. Er habe in sich immer das Musische, das Introvertierte auf der einen Seite gespürt, auf der anderen das Expandierende, das Kaufmännische, sagte er rückblickend im Interview mit dem Journalisten Arno Widmann. „Ich glaube, genau das sind die Voraussetzungen, ein guter Verleger zu sein.“
Verleger wurde er vor mehr als einem halben Jahrhundert, nicht ohne Selbstzweifel. Joachim Frank, Chefreporter des „Kölner Stadtanzeigers“, zitiert in seinem quasi-offiziellen Nachruf, der heute in den Titeln der Verlagsgruppe erscheint, aus den unvollendeten und unveröffentlichten Memoiren des Verlegers: „Am 1. September 1953 schnappte die Falle zu. Unkündbar, für immer gefangen, dachte ich, in Sippenhaft.“ Damals trat er bei seinem Vater Kurt Neven DuMont in den Verlag ein. In den Jahren danach wuchs er vom guten zum bedeutenden Verleger. Der Kölner „Express“, 1964 gegründet, war sein Werk; er spürte das wachsende Bedürfnis der Menschen nach journalistischer Unterhaltung, nicht nur nach harter Information. Zugleich avancierte der „Stadtanzeiger“, das liberale Flaggschiff des Hauses, zu einer der wichtigsten unter den damals noch wichtigen Regionalzeitungen der Bonner Republik. Der lokale Wettbewerb gegen die katholisch-konservative „Kölnische Rundschau“ endete mit der Übernahme des Konkurrenten. Ende der 60-er Jahre, als die aufbegehrenden Studenten die Macht der Verleger beschneiden wollten, stand Alfred Neven DuMont, nach eigenem Verständnis ein Linksliberaler, an der Spitze des Zeitungsverlegerverbandes. Dort stritt er vehement gegen die Forderung nach Redaktionsstatuten, für die Eigentumsrechte der Unternehmer.
Wie andere Zeitungsverleger der alten Bundesrepublik wurde Neven DuMont mit der Zeit reich, sehr reich. Zum Reichtum entwickelte er ein entspanntes Verhältnis. Als Unternehmer hielt er sich Geschäftsführer, die er dafür schätzte, dass sie Erlöse und Kosten in ein profitables Verhältnis brachten – und die er im Grunde seines Herzens zugleich verachtete, weil sie nur Zahlen im Kopf hatten und von den Buchstaben nichts wussten. Als Privatmann war er von einem unbefangenen Stolz auf seine Besitztümer, präsentierte gut gelaunt sein Haus, den Bentley, das Schiff, vor allem aber die Kunstwerke: Richter, Polke, die Nachkriegsmoderne.
In Köln war Alfred Neven DuMont schon lange eine Eminenz, keineswegs eine graue. Aber sein Ehrgeiz war mit dem Dasein als rheinischer Regionalverleger nicht befriedigt. Die nationale Bühne wollte er bespielen; er litt darunter, dass er nach der deutschen Wiedervereinigung, als die Westverlage sich die Beute im Osten aufteilten, nicht in der Hauptstadt bei der „Berliner Zeitung“ als Käufer zum Zug gekommen war, sondern „nur“ in Halle, bei der „Mitteldeutschen Zeitung“. Zutiefst enttäuscht war er, als er in Berlin auch beim zweiten Anlauf scheiterte. Ausgerechnet Dieter von Holtzbrinck, den er für einen Freund gehalten hatte, verkaufte das Blatt an britische und amerikanische Finanzinvestoren, nachdem die Fusion mit dem „Tagesspiegel“ am Kartellrecht gescheitert war - entgegen allen Absprachen, die sie doch getroffen hatten, in Mallorca auf dem Schiff, er hat das nie vergessen. Spät, sehr spät, erst im Jahr 2006, gelang ihm dann der Coup, der sein großes Alterswerk werden sollte: Die „Frankfurter Rundschau“ stand zum Kauf, Neven DuMont griff beherzt zu. Und wie das Schicksal so spielt, gab es unversehens doch noch eine dritte Chance in Berlin: Die Finanzinvestoren scheiterten, die „Berliner Zeitung“ kam wieder auf den Markt und gehört nun seit 2009 zu Nevens Reich.
In der Rückschau war es für diese Expansion zu spät. Das Zeitungsgeschäft befand sich bereits in einem tiefgreifenden Wandel, die Zeit des Gelddruckens ging unweigerlich zu Ende. Alfred Neven DuMont nahm diesen Wandel sehr wohl wahr, unterschätzte aber seine Konsequenzen. Und ein wirksames Korrektiv gab es längst nicht mehr. Er, der Machtmensch, der teilte und herrschte, hatte ein System von Höflingen um sich geschart. Manager, die ihm die Zahlen so schön rechneten, wie es ihm gefiel; Chefredakteure, die nur einem Leser gefallen wollten: ihm, dem Patron. Widerspruch forderte er nicht, er duldete ihn auch nicht. Das Experiment „Frankfurter Rundschau“ endete in der Insolvenz, Berlin ist aus der Kölner Perspektive heute eher Last als Lust, das Mutterhaus versucht den lange versäumten Modernisierungsprozess nachzuholen.
Der Verleger selbst konnte nicht loslassen, auch weil die Familie keinen Nachfolger für ihn hervorbrachte. Auf Markus, seinen erstgeborenen Sohn, der sich Spiridon nannte und mit künstlerischem Talent ausgestattet war wie der Vater, hatte er seine Hoffnungen gesetzt. Spiridon starb als junger Mann an Aids. Konstantin, der zweite Sohn, ein Filou, wollte und sollte das Erbe im Unternehmen antreten, er scheiterte mit Aplomb. Isabella, die Tochter, hatte keine Ambitionen, ließ sich schließlich drängen. Eine Verlegerin ist sie nicht.
„Aufzuhören ist das Schlimmste, wenn man alt wird“, sagte Alfred Neven DuMont im Interview mit Arno Widmann. „Man wird dann sofort krank, und dann ist es vorbei.“ Vielleicht hat er auch deshalb nie wirklich aufgehört. Den Aufsichtsratsvorsitz hat er zwar vor gut einem Jahr abgegeben, an Christian DuMont Schütte, den Vertreter des zweiten Familienstamms. Aber die Herausgeberrolle über seine Titel hat er bis zu zuletzt behalten, und zudem unermüdlich geschrieben, erst Romane, dann die Memoiren.
Wie er sterben wollte? „Ich hoffe eines Tages einfach umzufallen und tot zu sein“, bekannte er. Immerhin, ein langes Leiden ist ihm erspart geblieben, nachdem ihn vor einigen Wochen ein Schlag des Schicksals getroffen hat. Die Stadt Köln wird ihrem Ehrenbürger am Dienstag nächster Woche im Dom die letzte Ehre erweisen. Das ist angemessen für den letzten Verleger, und genau so würde er das auch sehen.
uv