Ist Spotify für die ARD Freund oder Feind?
Nicht erst seit dem Aus von "Sanft & Sorgfältig" mit Olli Schulz und Jan Böhmermann überlegen die Öffentlich-Rechtlichen, wie sie mit dem Streamingdienst aus Schweden umgehen. Ist Spotify der Freund, der für mehr Reichweite bei jungen Hörern sorgt? Oder der Feind, der dem traditionellen Hörfunk für viel Geld die Stars wegkauft?
Im Interview mit dem NDR-Medienmagazin "Zapp" am Mittwochabend gab sich Robert Skuppin, der Programmchef der RBB-Welle Radioeins, verschnupft: Wer sich wie Spotify verhalte, also mit sehr viel Geld den Markt verändere und den etablierten Sendern die Stars wegkaufe, "dem werden wir mit Sicherheit nicht kostenlos Material zur Verfügung stellen". Die Playlist von Radioeins bei Spotify werde jedenfalls eingestellt, kündigte Skuppin an. Zur Erinnerung: Skuppin hatte zuvor vergeblich mit Spotify um das Einverständnis gerungen, "Sanft & Sorgfältig" wenigstens als Zweitverwerter im Programm zu halten. Damit war klar: Spotify will nicht Freund sein, sondern Feind.
Wenige Stunden vor Beginn der "Zapp"-Sendung hatte ARD-Sprecher Steffen Grimberg noch abwehrend reagiert, als HORIZONT fragte, was Spotify für die ARD sei: Freund oder Feind? "Hier geht es nicht um Feindschaft", sagte Grimberg, "das ist die falsche Kategorie. Spotify ist einer der großen Mitbewerber in der digitalen Welt." Derart diplomatisch reagierte Skuppin nicht. Ja, er sei sauer, sagte er. Nicht auf Jan Böhmermann und nicht auf Olli Schulz, denn für sie habe er Verständnis. Sauer sei er auf Spotify: "Wer sich feindlich verhält, kann wohl kaum ein Freund sein".
Bisher war Spotify für mehrere ARD-Hörfunkwellen ein spannendes Experimentierfeld, vorneweg für den Bayerischen Rundfunk (Puls) und Radio Bremen, aber auch für den Südwestrundfunk und den Rundfunk Berlin-Brandenburg. Die meisten stellen Spotify Playlists zur Verfügung, Deutschlandradio auch wortgetriebene Formate. Zudem gibt es im Videobereich Zulieferungen, etwa von der "Tagesschau" mit ihrem Format "100 Sekunden".
Die Ansichten der ARD-Verantwortlichen dazu waren geteilt: Die einen begegneten dem Engagement mit Skepsis, die anderen freuten sich über die Kooperation mit Spotify. Der schwedische Streamingdienst war für sie schlicht ein zusätzlicher Verbreitungsweg, der mehr Reichweite vor allem bei jungen Nutzern versprach. Und jetzt?
Vorige Woche, gänzlich unabhängig von Schulz' und Böhmermanns Wechsel, diskutierte die Hörfunkkommission der ARD nach HORIZONT-Informationen unter anderem darüber, ob sie verpflichtet sei, in ihren Programmen Werbung für den Streamingdienst auszustrahlen. Es ging also exakt um die Frage, ob Spotify Partner oder Konkurrent, willkommen oder unliebsam ist.
In der Tat wäre es für die ARD-Wellen absurd, nach dem Aus von "Sanft & Sorgfältig" auch noch Spots ausstrahlen zu müssen, um für Schulz und Böhmermann bei Spotify zu werben. Bisher wurde die Sendung nicht nur bei Radioeins vom RBB ausgestrahlt, sondern auch von N-Joy (NDR), You FM (Hessischer Rundfunk), Puls (Bayerischer Rundfunk) und Bremen Vier (Radio Bremen).
Grimberg bestätigt lediglich, dass die ARD-Hörfunkkommission prüfe, ob und welche Kooperationsformen mit Spotify für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk sinnvoll seien. Die Antworten soll es Ende Juni geben. Dann findet in Bonn die nächste Intendantentagung statt.
Fragen stellen sich viele, nicht nur für die ARD, sondern auch für Spotify und nicht zuletzt für Radioleute, die wie Olli Schulz und Jan Böhmermann ebenfalls versucht sein könnten, den finanziellen Verlockungen des Streamingdienstes zu erliegen:
- Wird der Spotify-Nutzer Geld zahlen für Angebote, die bereits mit dem Rundfunkbeitrag finanziert worden sind? Wird der Nutzer im umgekehrten Fall, dass Spotify die Formate kostenlos anbietet, akzeptieren, mit Werbung vollgeschüttet zu werden?
- Was bedeutet es für eine Hörfunkwelle, Sendungen zu konzipieren und Stars aufzubauen, die Spotify für viel Geld wegkauft? Erhöht das den Kostenaufwand im Hörfunk oder wird das Medium Radio damit wertvoller?
- Sinkt oder steigt der Marktwert eines Stars, der zu Spotify wechselt? Verhilft er durch seinen Wechsel Spotify zu höheren Nutzerzahlen?
- Wie geht Spotify, das bisher lediglich eine technische Plattform war, überhaupt damit um, plötzlich für eine Sendung verantwortlich zu sein, für die es einer Produktionsfirma, eines Studios und redaktioneller Begleitung bedarf?
Radioeins-Chef Robert Skuppin hatte sicherlich Recht, als er bei "Zapp" sagte: "Die Diskussion beginnt dadurch jetzt erst".
usi