Wo bleibt die „FAZ“? fragten sich viele, als die „SZ“ ihre Digitalstrategie auf den Weg brachte. Mathias Müller von Blumencron betrachtet genau, was in München passiert. Doch von der Konkurrenz durch die Republik treiben lassen will sich der „FAZ“-Digitalchef nicht.
In Sachen Internet wirkt das Medium der klugen Köpfe wie ein Medium der langsamen Köpfe: Die „FAZ“ ist spät ins Netz gegangen, hat Jahre gebraucht, bis eine eigene Handschrift erkennbar war. Vor kurzem hat die „Süddeutsche“ ihr Digitalgeschäft neu aufgestellt. Das bringt Sie als Chef-Digitalen der „FAZ“ gehörig unter Zugzwang. Wir lassen uns nicht von irgendjemandem durch die Republik treiben, sondern setzen unsere Maßstäbe selbst. Hier gibt es keine langsamen Köpfe mehr. Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren große Anstrengungen unternommen und sind, nicht nur was den Speed angeht, auf Höhe der besten Mitbewerber. Unser Team bringt den „FAZ“-Journalismus mit all seiner Intelligenz, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit hochaktuell ins Netz. Auf der anderen Seite ist Geschwindigkeit kein Wert an sich. Was die Tiefe der Berichterstattung angeht, sind wir unseren Konkurrenten oft deutlich voraus. Aus dieser Redaktion bekomme ich die Kommentare, Analysen und Hintergrundberichte, von denen ich zuvor immer geträumt habe. Mit anderen Worten: Die „FAZ“ spurtet längst durch die digitale Welt.
Bei allem Fortschritt: Internet-Spezialisten reden immer davon, wie wichtig Time-to-Market sei. Warum dauert die vor geraumer Zeit angekündigte Umsetzung von Bezahlmodellen und der Launch der digitalen Zeitung so lange? Weil eine gut gemachte Bezahlmechanik nicht trivial ist. Deswegen kostet sie auch so viel. Sie können ja nicht einfach ein Schloss vor die Artikel hängen und hoffen, dass die Leser dann schon bezahlen. Jeder Verlag muss sich genau überlegen, ob es diese Investition wert ist. Wir haben uns entschieden: Es ist unser wichtigstes Projekt in diesem Jahr.
Geschäftsführer Thomas Lindner hatte in einem HORIZONT-Interview vor knapp einem Jahr festgestellt, dass die „FAZ“ ein Haus sei, in dem gute Technologie nicht allzu sehr geschätzt wird. Das war, wie Sie selbst festgestellt haben, vor einem Jahr. Ich halte nichts davon, beliebige Aussagen aus der Vergangenheit rauszukramen – die Zeiten haben sich längst geändert. Wir sind hier nicht angetreten, um einen Zustand zu verwalten, sondern um Deutschlands führende Zeitung in die digitale Zukunft zu bringen.
Wer heute mit Leitartikeln, Kommentierungen, Analysen präsent sein will, der muss erreichbar und teilbar sein.
Mathias Müller von Blumencron
In die Zukunft? Wir leben doch schon im digitalen Jetzt. Bei der „FAZ“ hat ein Umschwung stattgefunden, gestützt durch die Herausgeber und die Verlagsspitze. Wir haben Apps gelauncht, die Website komplett überarbeitet, entwickeln einen Auftritt für die Apple Watch, bereiten den Launch einer innovativen Leseplattform vor, arbeiten an einer neuartigen News-App und vor allem an einer neuen digitalen Zeitung. Alles zukunftsweisende Technikprojekte. Eines allerdings ist geblieben: In erster Linie geht es bei der „FAZ“ um Journalismus, nicht um Technik.
Bei der Konkurrenz von der „Süddeutschen“ ist der Chefredakteur der Website auch Mitglied der Chefredaktion. Eigentlich wäre es doch sinnvoll, dass der „FAZ“-Digitalchef Mitglied im Herausgeberkreis wäre. Ich habe die Rückendeckung der Herausgeber und der Geschäftsführung. Wir besprechen alle Dinge, die wir umsetzen wollen. Die „FAZ“ wird auf eine einzigartige Weise kollektiv geführt und das hat bislang prima funktioniert. Ich fühle mich hier wohl, die Kultur des Hauses ist inspirierend.
Im besagten Interview hatte Lindner auch gesagt, dass das Haus sparen muss. Ist Digital davon ausgenommen? Wir schauen an jeder Ecke, ob wir effizienter und kostengünstiger arbeiten können. Das betrifft auch das Digitale. Aber hier geht es nicht darum, eine gerade aufblühende Pflanze wieder kleinzuschneiden. Im Gegenteil: Digital ist der Bereich, in dem die „FAZ“ investiert.
Die „Süddeutsche“ hat 50 Mitarbeiter im Digitalen. Wie viele haben Sie? Hier begeistert sich gerade eine ganze Redaktion und ein ganzer Verlag für die digitale Zukunft eines Zeitungshauses. Da machen solche Vergleiche überhaupt keinen Sinn. Wir sind mindestens so stark besetzt.
Wir haben den Anspruch, eine digitale Premiumzeitung zu publizieren, die Lesern alle multimedialen Möglichkeiten des Netzes anbietet.
Mathias Müller von Blumencron
Wie viel Prozent des Gesamtumsatzes von rund 260 Millionen Euro macht Digital inzwischen aus? Die „FAZ“ hat ja, im Gegensatz zu Springer oder Burda, kein Beteiligungsgeschäft, sondern bei uns geht es wirklich um die Erlöse unserer journalistischen Angebote. Hier liegen wir bei knapp 10 Prozent, was sehr ordentlich ist.
Die „Süddeutsche“ hat vor kurzem ihre neue Markenstrategie gelauncht. Ihre Einschätzung? Ein interessanter Weg. Wir beobachten das genau und wünschen den Kollegen gutes Gelingen.
Alle Welt wartet auf Ihre Antwort. Wie sieht denn nun die Strategie aus? Zum einen wollen wir den „FAZ“-Journalismus auf allen Kanälen ins Digitale führen und dort entwickeln. Zweitens wollen wir relevant sein, Debatten prägen und neue Leser an die
Marke heranführen. Dafür braucht man eine niveauvolle Reichweite, dafür müssen wir die sozialen Netzwerke durchdringen. Deshalb werden wir nicht den Weg der „Rhein-Zeitung“ einschlagen und die Seite komplett dichtmachen. Wer heute mit Leitartikeln, Kommentierungen, Analysen präsent sein will, der muss erreichbar und teilbar sein. Oder wollen wir dieses wichtige Feld der Orientierung aus der Hand geben? Und drittens wollen wir wie alle Medien deutlich mehr Umsatz im Digitalen.
Mehr Umsatz wollen alle. Aber bei Ihnen sind die Wachstumsperspektiven durch digitale Werbeerlöse begrenzt. Weil die Qualitätsreichweite der „FAZ“ niemals die Flughöhe von Boulevard-Reichweiten erzielen kann, brauchen wir noch andere Umsatzquellen als Werbung. Wir müssen unser Produkt digital noch besser verkaufen. Die „SZ“ mag den Hebel Richtung digitale Vertriebserlöse früher umgelegt haben als wir. Aber keine Bange: Wir sind mit höchster Energie dabei, uns in diesem Feld zu verbessern.
Statt der digitalen Revolution also eher die digitale Evolution. Wie sieht das konkret aus? Sie mögen das Evolution nennen, wir sehen das radikaler. Im Zentrum unserer Aktivitäten steht derzeit eine Erneuerung der digitalen Zeitung, des digitalen Gesichts der „FAZ“. Im Moment stellen wir ein E-Paper zur Verfügung, das ein Eins-zu-eins-Abbild der Printausgabe ist. Und auch wenn wir inklusive „FAS“ eine verkaufte digitale Auflage von 50000 erreicht haben und damit sehr erfolgreich sind, ist dies eine Größe, die wir deutlich steigern wollen. Wir haben den Anspruch, eine digitale Premiumzeitung zu publizieren, die Lesern alle multimedialen Möglichkeiten des Netzes anbietet.
Das klingt nicht nach einem Low-Budget-Angebot. Wir werden definitiv kein Billigprodukt auf den Markt bringen, das wir für 5 Euro im Monat verschleudern. Die „FAZ“ ist ein hochwertiges Produkt und deshalb hat sie im digitalen Bereich ihren Preis. Wir verlangen derzeit knapp 35 Euro pro Monat. In Zukunft wird der Leser für diesen Preis allerdings viel mehr bekommen als nur ein E-Paper.
Wir sind überzeugt: Bei uns werden die digitalen Vertriebserlöse ziemlich rasch höher sein als die digitalen Werbeumsätze.
Mathias Müller von Blumencron
Ein stolzer Preis für Nachrichten und Informationen, die man auf FAZ.net kostenlos erhält. Unser neues Produkt bekommen sie nirgendwo umsonst. Für eine dynamische Website, geprägt durch schnelle Nachrichten, kann man diesen Preis nicht aufrufen. Die Leser nehmen das als ein eher flüchtiges Wesen war. Für ein abgeschlossenes, sorgfältig zusammengestelltes und anspruchsvolles Produkt mit Anfang und Ende sind Leser dagegen bereit, relativ viel Geld auszugeben.Weil es für sie effizienter ist. Wir helfen dem Leser damit, das Wertvollste, was er hat, besser zu nutzen: seine Zeit. Die digitale Zeitung ist ein kuratiertes Stück Wirklichkeit. Der Leser kann sie herunterladen, im Browser anschauen, auf dem Smartphone. Wer will, kann stets auf die Website gehen, um zu schauen, ob die Welt noch steht, doch er ist nicht gezwungen, permanent online zu sein. Andere Redaktionen, etwa die „Washington Post“ oder der „Economist“, gehen derzeit einen ähnlichen Weg. Wir haben eine stärkere Fokussierung auf das Prinzip Zeitung, ein Produkt mit Anfang und Ende, ein Produkt, das Sie als Leser schaffen können und das Sie damit zufriedener zurücklässt.
Die Website wird weiterhin zu großen Teilen kostenfrei sein? Selbstverständlich wird es eine enge Verschränkung zwischen Website und digitaler Zeitung geben, beispielsweise kostenpflichtige Teaser auf die Zeitung und mehr. Aber in der Tat wollen wir einen großen Teil der Website kostenfrei halten, um in Debatten präsent zu sein und neue Leser an die Marke heranzuführen.
Wann werden Sie das Produkt launchen?Im Spätherbst.
Hat der Drang, im Netz Abos und Paid Content einzuführen, mit der Befürchtung zu tun, dass die Umsätze mit Onlinewerbung langfristig sinken? Sie reichen zumindest bei einem Qualitätsangebot wie der „FAZ“ nicht und lassen sich auch nicht beliebig steigern. Um unsere Form von werthaltigem Journalismus auf Dauer auf ein sicheres Fundament zu stellen, brauchen wir mehr Einnahmequellen. Wir sind überzeugt: Bei uns werden die digitalen Vertriebserlöse ziemlich rasch höher sein als die digitalen Werbeumsätze.
Gehört zu dem von Ihnen beschworenen Qualitätsjournalismus auch die volle Namensnennung des Co-Piloten des Germanwings-Flugs 4U9525? Selbstverständlich. Der Mann hat 149 Menschen in den Tod gerissen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wer dieser Mann war. Denn nur seine Biografie kann uns helfen, diesen Irrsinn zu verstehen. Und dabei helfen, dass wir die Mechanismen verbessern, um eine Wiederholung zu verhindern. Die ganze Diskussion darüber ist merkwürdig und wird außer in Deutschland auch nirgendwo geführt.
Absurd war die Diskussion, weil viele Medien wortreich begründeten, warum der Name genannt oder eben nicht genannt wurde. War dies quasi das Gegenstück zum Eskalationsjournalismus? Statt lautstarker Versuche, mit mehr oder weniger wichtigen Informationen große Resonanz zu erzeugen, die anbiedernde, fast peinliche Erklärung, warum man etwas so oder so sieht? Zunächst: Bei der Berichterstattung über dieses Ereignis gab es nichts zum Eskalieren. Diese Tat selbst ist eine der größten vorstellbaren Eskalationen. Selbst wenn ich mich dem Ereignis ganz nüchtern nähere, und nichts anderes ist angemessen, entfalten die Berichte eine ungeheuerliche Wucht. Und das ist für viele Leser verstörend: Die Wirklichkeit ist kaum auszuhalten. Nun leben wir in einer Zeit, in der sich Leser viel häufiger artikulieren – und damit auch ihr spontanes Unbehagen. Das bedeutet: Journalisten müssen manchmal erklären, warum sie wie berichten. Das ist gut so, das ist nicht anbiedernd. Man darf allerdings keinesfalls das Gefühl erzeugen, permanent über sich selbst zu philosophieren. Unser Geschäft ist die Aufklärung über den Gang der Welt, nicht über den Gang einer Redaktion.
US-Amerikaner schwärmen davon, dass es noch nie eine bessere Zeit für Journalismus gegeben hätte. Das Internet ist das beste Instrument, was Journalisten je an die Hand gegeben wurde. Punkt. Deshalb gibt es auch eine gewaltige Dynamik im journalistischen Bereich, besonders in den USA. Überall dort ist zu hören: Es ist eine tolle Zeit, Journalismus zu machen. Viele in Deutschland sehen das anders. Und wenn man betrachtet, wie viel Venture Capital in unterschiedliche Journalismus-Projekte im angelsächsischen Raum fließt, schaue ich mit gewissem Neid, aber auch mit gewissem Unbehagen über den Atlantik.
Inwiefern? Ich habe das Gefühl, dass wir hierzulande diesen finanziellen Einsatz für Investitionen in zukunftsweisenden Journalismus nicht leisten können und deshalb ein Auseinanderklaffen zwischen den medialen Darstellungsmöglichkeiten der angelsächsischen und der kontinentaleuropäischen Welt erleben werden. Unser Sprachraum ist viel kleiner, unsere Umsätze aus journalistischen Qualitätsprodukten sind deshalb geringer. Wir können hochwertigen Journalismus digital nicht so rasch weiterentwickeln. Hier müsste die Politik nachdenken, wie man es Verlagen in diesen investitionsstarken Zeiten einfacher machen kann.
Facebook will künftig Medien-Inhalte nicht nur als Link, sondern ganz und direkt integrieren: Ist das eine Chance oder der Todesstoß für Medien? Facebook will das Rückgrat des Internets werden. Und es ist auf dem besten Weg dahin: Schon heute ist Facebook für die meisten die erste Seite, die sie morgens ansteuern. Und wenn nicht, dann eben Whatsapp, aber das gehört auch zu Facebook. Oder den Messenger, auch der gehört zu Facebook. Oder Instagram, aber das gehört denen auch. Das ist schon eine gefährliche Ballung von Macht. Nahezu alle Medien sind gezwungen, ihre Inhalte möglichst stark in den Netzen zu platzieren, um an ihre Leser heranzukommen, vor allem die jüngeren. Die Frage ist nur: Wie weit wollen wir gehen? Wenn Angebote beginnen, Artikel ausschließlich für Facebook zu schreiben, können sie das machen. Aber wo bleibt das Geschäftsmodell? Wo die Unabhängigkeit?
Die „FAZ“ würde nicht mitmachen? Wir sehen uns das an und sind selbstverständlich sehr aktiv bei Facebook und Twitter. Dort sind schließlich auch unsere Leser. Aber man muss aufpassen, dass Medien nicht völlig abhängig von einer Plattform werden. Viele Medienhäuser haben sich im Kampf gegen Google verrannt. Dabei führt Google den Websites Leser zu. Das hat Facebook bisher auch getan. Allerdings wird sich das rasch ändern, wenn das Netzwerk ein abgeschlossener Kosmos wird, der den Nutzer gar nicht mehr loslässt. Für Medienmarken bleibt dann außerhalb von Facebook nicht viel Raum.
Muss man sich vom Traum vom Netz als Medium der Aufklärung verabschieden? Ökonomisch dominieren US-Konzerne, in den Diskursen gewinnt Desinformation die Überhand. Das Netz war nie ein Platz der Romantik. Es sollte aber nicht ein Platz der Unfreiheit werden. Was mir derzeit große Sorge bereitet: Das Vertrauen in das Netz, diesen großartigen Raum des Wissens und der Kommunikation, nimmt rapide ab. Kriminelle, Geheimdienste und andere Datenschnüffler treiben ihr Unwesen. Algorithmen lenken uns zum Zweck der Umsatzmaximierung, statt dass wir ihnen Richtung und Sinn geben. Wir müssen die Freiheit im Netz viel stärker verteidigen, rigoroser schützen, genauso wie die Freiheit in der analogen Existenz.