In dem Brief, der HORIZONT vorliegt, weisen die Ressortleiter Büchners "Vorschlag zur raschen Einführung gemeinsamer Ressortleitungen Print/SpOn" zurück. "Alle sollen alles können, und alle sollen alles müssen, unabhängig von Qualifikationen und Kompetenzen", so die Kritik der Ressortleiter. "Was entstehen würde, wäre eine schnelle Vereinheitlichung der Führungsstrukturen, die die bewährten Arbeitsweisen in der Redaktion sowie die journalistische Qualität der eingeführten Produkte gefährdet. Für diesen Totalumbau der hierarchischen Struktur gibt es keine Notwendigkeit." Man empfehle zwar "an den Zielen von Spiegel 3.0 festzuhalten", für die Umsetzung aber einen Weg zu wählen, der die Mitarbeiter einbindet und die Qualität der jeweiligen Produkte nicht gefährdet.
Stattdessen plädieren die Ressortleiter "für die Schaffung einer zeitlich flexibel zu handhabenden Übergangsstruktur, die eine gleitende Entwicklung in die digitale Zukunft gewährleistet". In dieser Zeit sollten die getrennten Ressortleitungen von Print und Online erhalten bleiben, in den Arbeitsverträgen aber die enge Zusammenarbeit zwischen den Redaktionen sowie die Entwicklung geeigneter Inhalte für das geplante digitale Paid-Content-Angebot als "vorrangige Führungsaufgabe" definiert werden. Als ersten Schritt zur Umsetzung empfehlen die Verfasser die Einrichtung gemeinsamer "Kopfstellen", in denen die Ressortleiter von Print und Online Themen gemeinsam steuern. Die Print-Ressortleiter zeigen sich also kompromissbereit, wollen die Umsetzung des Projekts "Spiegel 3.0" aber aktiv mitgestalten.
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Spiegel-Machtkampf
Entscheidung wurde vertagt
Die „Spiegel"-Gesellschafter haben die Entscheidung über die Zukunft ihrer Medienmarke vertagt. Nach einer lebhaften Diskussion über Wolfgang Büchners Strategie „Spiegel 3.0", die auch Geschäftsführer Ove Saffe aktiv unterstützte, einigten sich die Vertreter der Mitarbeiter KG und Gruner + Jahr auf eine Verschiebung der Entscheidung.
Zur Erinnerung: Vor drei Wochen hatte der Machtkampf zwischen Büchner und der ebenso selbst- wie machtbewussten Print-Redaktion des "Spiegel" einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Redakteure waren gegen die Pläne des ungeliebten Chefredakteurs, sämtliche Ressortleiterstellen neu auszuschreiben, auf die Barrikaden gegangen. Die Gesellschafter des "Spiegel" sahen sich auch angesichts des enormen öffentlichen Interesses zu einer Mitteilung gezwungen, in der sie die engere Verzahnung von Print und Online ausdrücklich unterstützen.
Das Projekt solle "in enger Zusammenarbeit mit den Redaktionen von 'Spiegel' und Spiegel Online" verwirklicht werden, "sowohl was die Umsetzung als auch was den Zeitablauf angeht". Die Botschaft: Das Projekt steht außer Frage, was die Umsetzung angeht, mögen sich Geschäftsführung und Chefredaktion bitteschön mit der widerwilligen Print-Redaktion zusammenraufen. Das Ringen um die Zukunft des "Spiegel" geht weiter.
dh