"Kanzlerinnendämmerung nicht ausgeschlossen"

So kommentieren die Medien den Wahlausgang

Deutschland hat gewählt
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Deutschland hat gewählt
Deutschland hat gewählt - und der Wahlausgang gibt zur Sorge Anlass. Die beiden einstigen Volksparteien CDU und SPD haben dramatisch an Zustimmung verloren. Am schwersten wiegt jedoch das Ergebnis der AfD: Der Einzug der Rechtspopulisten in den Bundestag als drittstärkste Kraft sorgt bundesweit für Entsetzen. Im Netz reagieren die Nutzer geschockt. Und auch die Leitartikler machen aus ihrer Besorgnis keinen Hehl. Gleichzeitig versuchen die Journalisten, die richtigen Lehren aus dem Wahlergebnis zu ziehen. HORIZONT Online zeigt ausgewählte Medien-Reaktionen.
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Barbara Hans, Spiegel Online

"Schulz wählt einen komfortablen Weg: Die AfD, so seine Botschaft, ist Merkels Problem und eines der Union. Doch auf einem zu schlanken Fuß kann man schlecht stehen. Es scheint an diesem Abend ein wenig so, als sei die Opposition die noblere Regierung. Auf der Strecke bleibt dabei die SPD selbst, als einst so stolze Partei. Sie tut so, als übernähme sie die Verantwortung, in Wahrheit stiehlt sie sich fort."

Mathias Müller von Blumencron, Faz.net

"Der Einzug der AfD ist Demokratie bei der Arbeit, es ist der manifest gewordene Protest gegen die ungelösten Fragen der Einwanderung. Es ist Ausdruck der Angst und Unsicherheit, die einen Teil der Republik erfasst hat. Aber: Demokratie bei der Arbeit ist eben auch, dass der Rest des Parlaments und des Landes – also die weit überwiegende gemäßigte Mehrheit – sich der Verachtung dieser Rückwärts-Bewegung entgegenstellt und diese mit allen Methoden der parlamentarischen Demokratie bekämpft, nicht zuletzt mit überzeugender Regierungsarbeit. Es werden turbulente Jahre!"

Heribert Prantl, Sueddeutsche.de

"Zu viele Wähler haben eine Partei gewählt, die als Parteifarbe ein schmeichelndes Blau auf ihre Plakate druckt, die aber im Inneren immer brauner wird. Die AfD hat es nicht geschafft, den Neonazi Höcke auszuschließen. Im Gegenteil: Sein völkisches Getöne hat in dieser Partei immer mehr Echo gefunden. Viel zu viele Wähler haben sich davon nicht abschrecken lassen, weil sie 'der Merkel' und 'der Flüchtlingspolitik' eins auf den Deckel geben wollten - und weil sie wussten, dass die Stimme für die AfD eine Schockkraft hat. Heilsam wäre es, wenn AfD-Wähler geschockt werden von dem, was sie anrichten. Der parlamentarische Betrieb wird giftig werden."

Torsten Krauel, Welt Online

"Sind die Parteien imstande, ihre Interessen mit denen des großen Ganzen abzuwägen, ohne falscher Leidenschaft zu frönen? Die Zersplitterung des einst von der Union dominierten Wählerspektrums ist zunächst Tatsache. Das neue 1968 von rechts könnte zu einer Tatsache werden, wenn die Polarisierung in Deutschland so tiefe Gräben reißt wie in den USA. Berlin ist aber weder das bundespolitisch eher nachrangige Kiel noch ist es das ferne geschichtliche Weimar. Berlin ist die Probe aufs Exempel, ob Deutschland in den kommenden Jahren krisensicher und standfest ist."

Georg Löwisch, Taz.de

"Der Wahlkampf hat schon gezeigt, was passiert, wenn ein kostbares Gut namens Aufmerksamkeit verplempert wird. Gauland und Weidel haben eine Falle nach der anderen gestellt. Die Politiker tappten sehenden Auges hinein – und oft genug auch die Medien. Nicht wir haben uns aufgeregt. Sondern sie haben es geschafft, uns aufzuregen. So geht es nicht. Wenn die AfD im Bundestag schäumt, sollten die anderen mit der Sachlichkeit einer Grundbuchratsschreiberin reagieren."

Tanit Koch, Bild.de

"Angela Merkel ist es nicht gelungen, einer verunsicherten Bevölkerung die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung zu nehmen. Die Angst davor gab es lange vor der Flüchtlingskrise. Doch man war sich zu fein dafür, sie zu adressieren. Nun hat die AfD die Früchte dieser Angst geerntet. Ab jetzt gilt es, zu handeln, das Vertrauen zurückzuerobern. Damit Deutschland kein Gauland wird."

Toralf Staud, Zeit Online

"Ohne die AfD mit der NSDAP vergleichen zu wollen, so halten die 1930er Jahre doch eine Lehre bereit: Die Verteidigung der Demokratie gegen die extreme Rechte steht und fällt mit den Konservativen. Leuten wie Wolfgang Bosbach ist das bewusst: Gerade weil er konservativ sei, grenze er sich "glasklar" nach rechtsaußen ab, sagte er schon vor Jahren. Bosbach ist nicht mehr zur Wahl angetreten. Er wird im Bundestag fehlen, auch wegen der AfD."

Stephan-Andreas Casdorff, Tagesspiegel.de

"Diese Wahl war der letzte Warnruf. Die Parteien sollten ihn richtig verstehen: Sie dürfen sich nicht in selbstbezogenen Diskussionen verlieren, sondern müssen überlegen, wie sie ihre Effektivität erhöhen. Wo Probleme abgewählt werden sollen, müssen Probleme der Gesellschaft schneller als bisher angenommen und gelöst werden. Sie bloß anzusprechen reicht nicht. Pflege, Gesundheit, Rente, Steuern, etliches weitere – kurz: die Probleme sind erkannt, Abhilfe ist möglich."

Andreas Petzold, Stern.de

"Den anderen Parteien wird nichts anderes übrig bleiben, als jede Auseinandersetzung kühl und sachlich zu führen, die Emotionen im Zaum zu halten und sich nicht auf das zu erwartende Debatten-Niveau der AfD herabzulassen. Die Sozialdemokraten unter Martin Schulz verabschieden sich in die Opposition. Gut so, denn es ist ein – wenn auch unfreiwilliger – Dienst an der Demokratie, der AfD nicht die Rolle der stärksten Opposition zu überlassen."

Norbert Tiemann, Westfälische Nachrichten

"Ihr schlechtes Abschneiden wird CDU und CSU noch schwer erschüttern, denn Angela Merkel bleibt zum Weiterregieren jetzt nur das Bunt-Bündnis mit FDP und Grünen. Dass Merkel – und insbesondere die 2018 vor Landtagswahlen stehende CSU – in einer solchen Konstellation konservative Inhalte im Bereich der Flüchtlingspolitik und der inneren Sicherheit betonen wollen, um der AfD das Wasser wieder abzugraben, grenzt an die Quadratur des Kreises. Kanzlerinnendämmerung nicht ausgeschlossen."

Sebastian Christ, Huffington Post

"Wer auch immer Frau Merkel geraten hat, noch einmal die Filzpantoffeln für eine Runde Leisetreterei anzuziehen, hat einen großen Fehler gemacht. Das konnte nicht gut gehen. Und es hat der AfD die Tür geöffnet für ihren aggressiven Wahlkampf, der auf diese Weise viel besser wahrnehmbar war, als er es sonst gewesen wäre. Die Rechten haben das Kanzlerinnen-Vakuum gut ausgefüllt."
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