Spiegel-Chaostage: Das sind die handelnden Personen
Nach Büchners Rede gab es sogar längeren und freundlichen Applaus, allein die über 1000 externen Gäste aus Medien, Politik und Wirtschaft sorgten dafür – da fiel es kaum auf, dass vielleicht einige
Print-Redakteure die Faust in der Tasche ballten. Dennoch gab es den Applaus für Büchners Rede wohl weniger für deren Strahlkraft, sondern eher deshalb, weil alle froh waren, dass Fremdschämen ausblieb. Niemand patzte, weder Büchner noch die Print-Redaktion, die zum Glück darauf verzichtete, sich vor den Augen von Medien-Deutschland wie im
Kindergarten aufzuführen. Dafür gibt es schließlich doch quasi-öffentliche Brandbriefe – am heutigen Dienstag soll es übrigens wieder einen geben, endlich mal wieder.
© Foto: Jürgen Herschelmann
Mehr zum Thema
Spiegel 3.0
Print-Betriebsrat schießt weiter gegen Büchner und Saffe
Im Spiegel-Verlag haben Geschäftsführer Ove Saffe und Chefredakteur Wolfgang Büchner weiter mit massivem Gegenwind zu kämpfen. Der Print-Betriebsrat wirft den beiden vor, verantwortungslos zu handeln. Die Existenz des Magazins stehe auf dem Spiel.
Nun, Büchners Rede. Er erinnerte an die Anfangstage des Internet, zitierte dessen Vordenker, außerdem „Spiegel“-Gründer
Rudolf Augstein, die Altvorderen von „Spiegel“ und Spiegel Online und auch die Statuten – damit kann man wenig falsch machen. Außerdem, und hier sagte Büchner dann doch annährend Programmatisches zu seinem umstrittenen digitalen Umbauprojekt
„Spiegel 3.0“ sowie indirekt auch etwas in eigener Sache, appellierte er an die Innovationskraft des „Spiegel“: Wenn alle mitziehen, „muss uns nicht bange sein“.
Büchner sieht die Digitalisierung als gemeinsame Herausforderung von Print und Online: „Kein anderes Haus hat bessere Voraussetzungen dafür, um die
digitale Transformation zu meistern.“ In einer digitalen Medienwelt werde der „Spiegel“ allerdings nur dann erfolgreich sein, „wenn wir verstehen, dass jeder einzelne diese Herausforderung für sich annehmen muss und sie nicht wegdelegieren kann“. Seine Vision sei, dass der Journalismus, für den der „Spiegel“ stehe, alle Menschen erreicht, die ihn wollen – wo, wann und wie sie wollen. „Dafür müssen alle im Haus gleichermaßen arbeiten und auch
davon profitieren.“ Nein, an dieser Stelle gab es weder „Bravo“-Rufe der Onliner noch „Buh“-Chöre der Printler. Auch nicht, als Büchner erklärte, „Spiegel 3.0“ solle bis Sommer 2015 umgesetzt sein. Doch wer glaubt das noch?
© Foto: Jürgen Herschelmann
Mehr zum Thema
Führungskrise beim Spiegel
Wie Giovanni di Lorenzo fast "Spiegel"-Chef wurde
Seit Wochen planen die "Spiegel"-Gesellschafter die Zukunft ohne den amtierenden Chefredakteur Wolfgang Büchner. Sie suchen einen Nachfolger. Einig werden konnten sie sich nur bei einem Kopf - "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Doch der kommt nun nicht.
Aber vielleicht ist das Thema auch einfach schon durch. Es war eine arg
skurrile Situation im „Spiegel“-Foyer: Da sprach ein Chefredakteur, von dem viele wussten, dass er es wohl nicht mehr allzu lange ist. Nämlich offenbar nur noch so lange, bis sich die Gesellschafter mit Geschäftsführer
Ove Saffe geeinigt haben, der aktuell vor der Entscheidung steht, weiterhin an seinem Kandidaten Büchner festzuhalten (und dann ebenfalls seinen Hut zu nehmen) – oder der Aufforderung der Gesellschafter zu folgen und einen neuen (internen Interims-) Chefredakteur zu berufen, wahrscheinlich den bisherigen Vize
Klaus Brinkbäumer, allein oder in einer Doppelspitze mit wem auch immer.
Zuvor hatte Festredner
Wolfgang Schäuble die „Spiegel“-Fechtereien aufgespießt, mit einer launigen, listigen und lustigen Rede. „Jetzt haben Sie in der letzten Zeit umgekehrt auch mal die Vorzüge des investigativen Journalismus kennengelernt und dabei erfahren, dass Insider-Informanten natürlich niemals interessengeleitet agieren“, stichelte der Finanzminister ironisch und freute sich, dass er (Büchner-Vorgänger) „
Mathias Müller von Blumencron hier noch erwähnen darf“. Schon etwas ernsthafter monierte Schäuble die „Gier nach Breaking News“ im Online-Journalismus: „Brauchen wir den Zustand permanenter Aufgeregtheit, der alle Beteiligten bald ganz neurotisch macht?“ Ein Shitstorm sei auch keine Weiterentwicklung der Demokratie. Und noch ein Schäuble-Satz fürs Merkheft: „Qualitativ anspruchsvoller Journalismus sollte nicht nur von
Werbung finanziert werden.“ Die Gefahren dabei könne man im Privatfernsehen betrachten, so der Minister.
20 Jahre Spiegel Online: Wie sich die Website über die Jahre entwickelt hat
Auch Hamburgs Erster Bürgermeister
Olaf Scholz sprach mahnend. Spiegel Online trage als Leitmedium im Netz eine besondere Verantwortung. Mit seiner Homepage sei es „Taktgeber der aktuellen Politik“, trage so zur Beschleunigung der politischen Kommunikation bei und lasse die nötigen politischen Prozesse umso
schwerfälliger erscheinen. Doch Scholz zweifelt, „ob man den Themen journalistisch gerecht wird, wenn sie nahezu stündlich wechseln“.
Zuvor hatten die beiden Spiegel-Online-Geschäftsführer
Katharina Borchert und
Matthias Schmolz an die Anfänge der Erfolgsgeschichte „SpOn“ erinnert, nachzulesen
am besten und schönsten dort selber. Seit 10 Jahren schreibe das Portal schwarze Zahlen und habe die Investitionen längst zurückverdient – das verschaffe die Freiheit für Experimente. So müsse man jetzt fast von neuem anfangen, denn die rasant steigende
Mobilnutzung erfordere neue Antworten und Angebote. Dies sei eine gemeinsame Aufgabe der Spiegel-Gruppe, ebenso wie „der Erfolg von Spiegel Online ein Erfolg der gesamten Gruppe ist, auch der der Print-Redaktion“.
Versöhnliche Worte an einem Abend mit diplomatisch austarierten Reden (bis auf Schäubles). Und dann ging es lautstark weiter. Die schwäbische Hip-Hop-Combo
„Die Fantastischen Vier“, die selber schon 25 Jahre auf dem Buckel hat, rockte das Haus.
rp