Das Bemerkenswerte an Reden von Hubert Burda ist, dass sie oft so wirken, als würde der Redner dem Vorschlag des Schriftstellers Heinrich von Kleist folgen und seine Gedanken erst beim Reden allmählich verfertigen. Persönliche Anekdoten gehen über in hellsichtige kunsttheoretische Erkenntnisse. Kleine Spitzen Richtung Konkurrenz werden konterkariert durch Verweise auf eigene Erfolge oder Misserfolge. Zuhörer werden nicht mit Buzzwords oder Politphrasen müde geredet. Selbst Grundsätzliches bekommt anekdotenhaften Charakter. Von all dem gab es genug bei der Präsentation des neuen Burda-Buches „Notizen zur Digitalen Revolution 1990 – 2015“ Anfang der Woche in der Münchner Innenstadt-Residenz des Verlegers. Anwesend: einige Journalisten, die Burda-Führungsriege und der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber.
Burdas Buch ist wie seine Reden kein Traktat. Die bunte Mischung aus in altmodischen Oktavheften gesammelten Erkenntnissen, Auszügen aus Reden und Vorträgen, aktuellen Fotos und Bildern mittelalterlicher Kunst machen den Reiz der Lektüre aus. Und beweisen, dass die in der Szene und in Blogs seit Jahren kolportierten Märchen von den Medienhäusern, die viel zu spät auf digitale Entwicklungen reagieren, auf den Münchner Verleger definitiv nicht zutreffen.
2009 war Mark Zuckerberg Gastredner auf Burdas DLD. Zuckerberg war zu diesem Zeitpunkt ein „junger, blasser Mann“, erinnert sich Burda im Buch, der in München mit „dünner Stimme“ verkündete, dass er in Deutschland zwei Millionen Nutzer habe (Zwei Jahre später nutzen weltweit über eine Milliarde das soziale Netzwerk.). Als Zuckerberg zum Essen bei Burda/Furtwängler eingeladen war, tauchte er zwar auf. Gegessen hatte er aber nichts. Statt am Tisch mit Burda zu philosophieren, hatte sich Zuckerberg stattdessen ein Stockwerk höher mit den Kindern über die Nutzerführung auf der Facebook-Site unterhalten. Soweit die Anekdote. Die harten Erkenntnisse über Facebook und Co. notiert Burda einige Jahre später: „Das ist der größte Switch, den es je in den Medien gegeben hat, dass die sogenannten Press-Lords oder Medienfürsten oder Mogule im Sinne von Murdoch abtreten. Die neuen sind oft keine 30 Jahre alt wie die Gründer und Besitzer von Google, Facebook und Apple. Dieser Generationswechsel ist auch nicht mehr zu revidieren. Sie sind die Herrscher über die Plattformen und Google kann im Grunde alle Konkurrenten plattmachen, wenn es will.“ 2011 schreibt er auch: „Man sagt, Facebook sei kostenlos, aber man bezahlt mit seinen Daten.“ Dieses Statement hätte genauso ein Statement von Tim Cook sein können. Der Apple-Chef hatte vor einigen Wochen genau mit diesem Argument eine Diskussion über Facebooks Geschäftspolitik ausgelöst.
Wie kann man mit Journalismus Geld verdienen im Internet? Mit der Frage beschäftigen sich Medienhäuser seit 1995, als auf Spiegel Online der ersten Werbebanner in Deutschland geschaltet wurde. Für sein Statement, dass mit Qualitätsjournalismus nur „lousy pennies“ zu verdienen sind, habe er viel Prügel einstecken müssen, erinnert sich Burda. Genauso wie für die Burda-Strategie, im Internet neben Journalismus auch E-Commerce- und Transaktionsplattformen zu betreiben: „Wir wurden verprügelt für Hundefutter“ – eine Anspielung auf das Zooplus und andere Burda-Unternehmen, die mit Journalismus nichts zu tun haben. In seinem Buch gibt es eine Notiz aus dem Jahr 2012: „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich der gesamte Handel verändert hat. Mich packt manchmal die Wut, dass sich auch die besten Verleger kaum um das E-Book gekümmert haben. Kaum jemand will anerkennen, welche Genialität in Jeff Bezos und Amazon steckt.“
Zu seinen größten Erfolgen zählt Burda – zu Recht – den Launch von „Focus“ im Jahr 1993. Fast beiläufig schildert er bei der Buch-Präsentation, unter welch abenteuerlichen Bedingungen das Magazin 1993 gelauncht wurde: „Ich war vorher fast pleite, hatte es nur nicht zur Kenntnis genommen.“ Das änderte sich erst, „nachdem Markwort für mich schön Geld verdient hat“. Richtig sei die Entscheidung, „Focus“ und den deutlich boulevardeskeren Netzableger als zwei Marken zu führen. Was den Verleger zu einer freundlichen Stichelei Richtung Hamburger Konkurrenz veranlasst: „Der Spiegel hat so viel Zeit mit der Debatte vertrödelt.“
Fast 20 Jahre vor Kai Diekmann und Peter Würtenberger zieht die Burda-Familie 1994 nach Kalifornien. „Das Silicon Valley erinnerte mich an meine Studentenzeit: Es war eine Mischung zwischen Boheme und Rock’n Roll“, erinnert er sich. Die Rock’n Roll-Phase ist noch nicht vorbei. Es scheint zu den Besonderheiten der digitalen Revolution zu gehören, dass sie vielleicht einen Anfang hat, aber kein Ende findet. „Wir sind am Anfang einer Sache, die jetzt schon 25 Jahre am Laufen ist“, ist Burda überzeugt. Das passt thematisch gut zum nächsten DLD Ende Januar in Berlin. Thema der Veranstaltung: „It’s only the beginning.“