IDG-Chef York von Heimburg

"Fundamentaler mentaler Wandel in Redaktionen nötig"

York von Heimburg
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York von Heimburg
Wenn es stimmt, dass die Technologiebranche und ihre Medien den Taktgeber spielen für weitere Bereiche, dann steht den Presseverlagen noch einiges bevor. Die Wanderung der Leser in digitale Kanäle, dort die Behinderung der Werbevermarktung durch Adblocker - bei alledem sind die IT-Medien meist unfreiwillige Vorreiter. Die übrige Verlagswelt sollte also ganz genau hinschauen, was dort passiert. Und vielleicht York von Heimburg zuhören, dem Vorstand von IDG Communications Media ("Computerwoche", "PC Welt").
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Und sei es nur als Impuls für die eigene Meinungsbildung durch harschen Widerspruch. Denn das, was der IDG-Chef sagt, ist starker Tobak, irgendwo zwischen Provokation und Prophezeiung. Kurzformel: Medienmarken werden im Digitalen unwichtiger, sagt von Heimburg. Stattdessen sollten die Redaktionen - nicht mehr nach Titeln organisiert, sondern nach Themen - doch lieber gleich die Algorithmen von Such- und Social-Media-Plattformen füttern, dies gar parallel für mehrere Titel. Und weil die Redaktionen das alles dann nicht mehr schaffen, sollten sie externe Inhalte hinzuziehen, etwa von Bloggern.


Im Gespräch mit HORIZONT erklärt von Heimburg seine Thesen. Abonnenten lesen dies in der Print- und E-Paper-Ausgabe 38/2014, die am Donnerstag, 18. September erschien. Und hier an dieser Stelle in HORIZONT Online hebt von Heimburg einen Punkt dabei hervor. In seinem Textbeitrag erklärt er, wie Data Science als publizistisches Steuerungstool den Digitaljournalismus verändert:

"Permanentes Feintuning von Websites"

Von York von Heimburg

Was früher die klassische redaktionelle Marktforschung war, ist heute der konsequente Einsatz von Analytics bei der täglichen digitalen redaktionellen Arbeit. Ich weiß noch ganz genau, wie wir damals die gedruckte "PC Welt" zur "Landlust" der 90er Jahre gemacht haben. Wir haben den Leser in den Mittelpunkt unserer Strategie gestellt und seine Wünsche stringent umgesetzt. Der Erfolg gab uns damals recht: Die "PC Welt" legte von 35.000 verkauften Exemplaren bis in der Spitze auf über 550.000 verkaufte Exemplare zu. Wir fragten damals eine fest definierte Lesergruppe kontinuierlich jeweils nach dem Erhalt einer Ausgabe, wie viele, welche und wie intensiv sie Seiten gelesen haben. Außerdem wurden sie danach gefragt, welchen Nutzen sie vom Lesen dieser Seite hatten. Daraus errechneten wir eine Art von "Einschaltquote" für jede einzelne Seite. Das war damals revolutionär und führte zum Erfolg auch ohne den Einsatz von viel Technologie.

In der digitalen Welt ist es umso wichtiger, dass Redaktionen sich an den Informationsbedürfnissen der Leser orientieren.
York von Heimburg
In der digitalen Welt, in der Medien in wesentlich stärkerem Wettbewerb zueinander stehen als dies in der Printwelt der Fall war, ist es umso wichtiger, dass Redaktionen sich an den Informationsbedürfnissen der Leser orientieren. Im Internet ist es wesentlich leichter den Leser heute durch den Einsatz diverser, intelligent miteinander vernetzter Technologien effizient zu tracken, um dessen Interessen und Präferenzen kennen zu lernen - und dies dazu noch in Echtzeit. Dazu werden in Medienhäusern immer mehr speziell ausgebildete Analyse-Teams notwendig sein, die auf der Basis einer verlegerischen Vision und definierter Ziele Nutzungsdaten einer Website systematisch und permanent auswerten und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse den Redakteuren sofort zur Verfügung stellen. Die Redakteure können dann im Rahmen des permanenten Feintunings einer Website bis hinunter zur Formulierung einzelner Schlagzeilen die Reaktion auf verschiedene Textalternativen austesten, die dann ebenfalls wieder von Data-Science-Spezialisten analysiert werden. Algorithmen machen dann beispielsweise automatisiert transparent, welche Wörter eine Schlagzeile erfolgreich machen und welche nicht.

Anzustreben ist bei dieser Art von permanenter Realtime redaktioneller Performance-Optimierung, diesen Vorgang in ein extra dafür programmiertes Redaktionssystem zu integrieren. Deshalb sehen heute immer mehr Medienhäuser einen großen Mehrwert darin, ein auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittenes Redaktionssystem auf die Beine zu stellen. So können Redaktionen deutlich besser als bisher die Bedürfnisse des Lesers testen, Inhalte in Echtzeit optimieren und die immer zahlreicher werdenden externen Kontributoren bzw. Autoren mit deren Social Media-Aktivitäten smart verbinden, auf der Website optimal einbinden und den Content "easy to share" machen. Vox Media in den USA ist dafür ein gutes Beispiel.

Wie immer bei solchen technologischen Prozess-Optimierungen geht es aber nicht um den Einsatz von Technologien allein, sondern um den menschlichen Willen, den Bedürfnissen der Leser bzw. den von ihm vorliegenden Daten auch konsequent zu folgen. Da ist ein fundamentaler mentaler Wandel in den Redaktionen vonnöten. Man braucht Journalisten mit kreativen Fähigkeiten und gleichzeitiger Freude und Begeisterung für analytisch basiertes Arbeiten. Sicherlich arbeiten ihnen die Data-Service-Experten zu, aber in nicht allzu ferner Zeit werden deren Kenntnisse und Aufgaben mit zu den Standards einer integrierten redaktionellen Arbeit gehören. Deshalb müssen Technologie und Kreativität in den digitalen Welten der Medienhäuser eine Symbiose bilden. Denn eines gilt auch in der neuen Welt: Ohne qualitativ guten Inhalt wird es auch in Zukunft nicht gehen!

Darüber hinaus sollten sich die Redakteure mit den Marketing- und Marktforschungsexperten sowie den SEO-Spezialisten zusammentun. Wenn dieses wertvolle Know-how noch auf die Inhalte-Erstellung in der Social Media-Welt übertragen wird, steht einem Markentransfer in diese äußerst attraktive Welt nichts im Wege. Zumindest ist es eine gute Voraussetzung für die erfolgreiche Monetarisierung von Inhalten in diesen Kanälen. Das wird einer der Wege sein, wie die klassischen redaktionellen Angebote im Web, die in den letzten Jahren kaum Reichweite hinzugewonnen haben, wieder wachsen können, um dem schleichenden Verfall des TKPs überhaupt irgendetwas entgegen zu setzen. In der digitalen Werbewirtschaft werden zudem schon sehr bald andere Metriken als die jetzt üblichen mit Pageimpression und Unique Usern gelten. Dann werden die Qualität der Nutzungsdaten, die Nutzungsdauer von spezifischen Inhalten und der Nachweis, welche Inhalte von definierten Zielgruppen wie genutzt werden, die neue, von Kunden und Agenturen nachgefragte Währung sein.




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