Am heutigen Freitag wird die deutsche
Huffington Post ein Jahr alt. Nach dem aufmerksamkeitsstarken Start im Oktober 2013 war es zuletzt ein wenig still geworden um das Portal - Chefredakteur Sebastian Matthes und Herausgeber Cherno Jobatey sehen die deutsche HuffPo aber voll auf Kurs: "Wir sind in vielen Bereichen wesentlich schneller vorangekommen, als ich es mir vor einem Jahr hätte vorstellen können", betont Matthes im Interview mit HORIZONT Online. Im kommenden Jahr will er die Website, die in Deutschland mit der Burda-Tochter Tomorrow Focus kooperiert, unter die Top 10 der größten deutschen Nachrichtenangebote führen. Heute wird aber erst einmal der erste Geburtstag gefeiert - während Matthes und Jobatey die Verantwortung für die Website in fremde Hände legen.
Cherno Jobatey: Wenn man mir vor einem Jahr gesagt hätte, dass Deutschland ein Blogger-Land ist, hätte ich gesagt: Naja. Ich hätte nicht gedacht, dass man uns derart die Bude einrennt und es so viele Leute gibt, die da mitmachen wollen. Ich komme ja aus der Fernsehwelt, deswegen sag ich es mal so: Wir sind die größte Talkshow Deutschlands. Und Hut ab vor den Kollegen in der Blogger-Abteilung, die unsere Autoren so gut betreuen.
Wie viele redaktionelle Mitarbeiter hat die HuffPo aktuell?
Matthes: In Deutschland arbeiten 15 Festangestellte Journalisten für die Huffington Post. Gleichzeitig können wir jederzeit auf ein Netzwerk aus 800 Kollegen weltweit zurückgreifen – und es werden immer mehr: Noch in diesem Jahr startet die Huffington Post im arabischen Raum, in Griechenland und in Indien. Und in diesem Netzwerk entstehen spannende Geschichten. Eine unserer Kolleginnen etwa reist gerade durch Syrien und den Irak und liefert fantastische Foto-Reportagen. Zudem profitieren wir davon, dass in New York ein wachsendes Team von Kollegen sitzt, die uns dabei helfen, sehr schnell die spannendsten Inhalte zu finden.
Werden Sie das Team in nächster Zeit weiter aufstocken?
Matthes: Wir sind aktuell auf der Suche nach neuen Mitarbeitern für verschiedene Positionen. Die wohl wichtigste Stelle haben wir gerade besetzt: Wir haben ab sofort eine Art Nachrichtenchef für soziale Medien. Bislang gibt es in Redaktionen in der Regel einen klassischen Nachrichtenchef, der die Schlagzeilen für die Frontpage macht. Man sieht aber weltweit, dass die Frontpage an Bedeutung verliert. Auf der anderen Seite werden die sozialen Medien immer bedeutender. Facebook ist in den USA schon ein enorm wichtiger Nachrichtenkanal. Jeder dritte US-Amerikaner liest Nachrichten über Facebook. Über Facebook muss man Geschichten aber anders erzählen. Daher haben wir künftig neben einem Front Page Editor für die Homepage auch einen Front Page Editor Social, der nicht nur die sozialen Kanäle steuert. Er wird gemeinsam mit dem Team auch völlig neue Social-Formate entwickeln.
Wie viele Nutzer kommen über soziale Netzwerke zur Huffington Post?
Jobatey: Ein Drittel unserer Leser kommt bereits über Social Media auf unsere Seite. Viele Nutzer steuern die Homepage gar nicht mehr an, sondern lesen zum Beispiel ganz gezielt nur die politischen Nachrichten – übrigens die zweitgrößte Gruppe unserer Leser. Für diese Nutzer ist die Huffington Post ein politisches Magazin. Es gibt aber auch Menschen, die lesen nur Lifestyle-Geschichten oder folgen gezielt einzelnen Bloggern. Ich habe kürzlich die Chefredakteurin einer Psychologie-Zeitschrift getroffen, die sagte, ihre Hauptkonkurrenz ist die Huffington Post. Sie folgt ausschließlich dieser Rubrik. Die Frontpage fasst alles zusammen. In den USA ist das ähnlich: Die größte grüne Zeitung in den USA ist die Huffington Post. Das größte Schwulenmagazin in den USA ist ebenfalls die Huffington Post. Und das größte Politikmagazin in den USA ist mittlerweile auch die Huffington Post.
Das mobile Internet ermöglicht es uns, so nah wie nie zuvor an die Leser heranzurücken.
Sebastian Matthes, Chefredakteur der Huffington Post Deutschland
Die Schlagzeilen auf der Homepage der Huffington Post wirken teilweise aber doch sehr reichweitengetrieben. Meine persönlichen Highlights der vergangenen Tage waren: "8 Lebensmittel, die sich gut für erotische Spiele eignen" oder "Arschgeweih geht gar nicht. Aber diese neuartigen Tattoos sind wirklich geschmackvoll"
Jobatey: (Lacht.) Vorgestern und gestern hatten wir aber auch lange die Geschichte "Brauchen wir eine neue Außenpolitik?" auf der Homepage, die sehr gute Zugriffe erzielt hat, kurz darauf einen exklusiven Live-Stream zum Vortrag von Paolo Coelho auf der Frankfurter Buchmesse. Wir bedienen alle Nutzergruppen: Die Politik-Freaks werden bei uns ebenso wie diejenigen, die wissen wollen, was die neuesten Trends im Bereich Körperschmuck sind.
Matthes: Das ist auch ein Ausdruck der neuen Zeit und der neuen Mediennutzungsgewohnheiten. Das mobile Internet ermöglicht es uns, so nah wie nie zuvor an die Leser heranzurücken. Wir können sie vom Aufstehen bis in die Nacht begleiten. Und das kann man nicht allein mit Kurstabellen. Auf unserer Startseite sind deshalb all die Themen zu finden, die die Menschen aktuell beschäftigen. Die Huffington Post ist eine Art Best of the Web, mit News, politischen Analysen, Gesundheitsthemen, Entertainment-Stücken – und Links zu anderen Websites. Wir wollen zur Startseite für die digitale Generation werden.
Nach den Zahlen der IVW belegt die HuffPo mit rund 10 Millionen Visits (August 2014) aktuell Rang 16 der größten deutschen Nachrichtenportale. Sind Sie damit zufrieden?
Jobatey: Wir sind nie zufrieden. Wir wollen immer weiter nach oben. Reinhold Messner hat mal gesagt: Wenn ich einen Berg sehe, dann muss ich da rauf. So ähnlich geht es uns auch.
Matthes: Unsere aktuelle Reichweite liegt deutlich über den Planungen. Aber natürlich wollen wir weiter wachsen und so bald wie möglich zu den zehn größten Nachrichtenseiten in Deutschland gehören. Das wollen wir nächstes Jahr erreichen. In den Jahren darauf peilen wir dann wie beim Start angekündigt die Top 5 an.
Klingt ziemlich optimistisch.
Matthes: Wenn man sich anschaut, wie sich die Huffington Post in anderen Ländern entwickelt, dann sieht man ja, dass es funktioniert. In Frankreich und Großbritannien ist die Huffington Post sehr gut unterwegs, in Spanien und Italien ebenfalls. Die deutsche Huffington Post gilt im Netzwerk übrigens als einer erfolgreichsten Neustarts und als Vorbild für den Launch weiterer Ausgaben. Wir sind eng in den Start der neuen Ausgaben involviert und beraten die Kollegen zum Beispiel in Indien.
Jobatey: Das Feedback, dass wir bekommen, ist auch sehr positiv. Wenn bei uns die Chefin einer linken Partei einen Beitrag veröffentlicht und uns dann erzählt, was für ein großes Echo sie bekommen hat, ist das doch bemerkenswert. Gleiche Reaktionen haben wir aber auch von Politikern aus der CDU, der FDP, der Grünen oder einem Dax-Vorstand bekommen, die bei uns geschrieben haben. Ich weiß nicht, ob das bei unseren Marktbegleitern in dieser Form funktionieren würde. Diese Kombination unterschiedlicher Positionen macht die Huffington Post so besonders. Wir haben kürzlich in London Kollegen aus der ganzen Welt getroffen. Wenn man dann mit Koreanern, Brasilianern, Japanern und Italienern über die Berichterstattung über den IS diskutiert, sieht man das Potenzial, das in diesem Netzwerk steckt.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Ausland konkret aus?
Matthes: Alle Redaktionen der Huffington Post weltweit nutzen das gleiche Redaktionssystem. In diesem System sehen wir sehr schnell, was bei wem funktioniert und können dann bei Bedarf sehr schnell Texte und Bildergalerien zu uns rüberziehen. Davon profitieren wir enorm, weil wir sehr früh Sachen sehen, die anderswo gut laufen.
Jobatey: Agenturen spielen bei uns nicht so eine große Rolle, Auslandskorrespondenten brauchen wir gar nicht, weil wir im Zweifelsfall eigene Mitarbeiter vor Ort haben. Unsere italienischen Kollegen sind zum Beispiel bessere Vatikan-Experten als wir es je sein könnten.
Wie läuft es in der Vermarktung?
Matthes: Auch die Vermarktung läuft aktuell besser als gedacht. Wir erleben derzeit einen enormen Ansturm auf Native Advertising. Die Huffington Post wird in Deutschland als Pionier in dem Feld wahrgenommen. Weltweit machen wir schon ein Drittel unseres Werbeumsatzes mit dieser Weiterentwicklung von Advertorials – Tendenz stark steigend. In Deutschland schwankt der Anteil 20 und 30 Prozent.
Gibt es auf Kundenseite noch Berührungsängste mit Native Advertising?
Matthes: Nein. Wir machen hier ja ganz transparent was Werbung ist und was nicht. Auch unsere Leser haben da keine Probleme, das zeigen unsere Umfragen. Ein Teil der Befragten findet die „Sponsored Posts“ sogar nützlich. Doch all das ist Thema unseres Commercial-Teams. Wir legen großen Wert auf eine klare Trennung von Redaktion und unserem Partner Studio, das die Native-Advertising-Lösungen entwickelt. Die Redaktion wird in das Thema daher nicht mit einbezogen.
Jobatey: Eigentlich spielen Sie doch auf eine ganz alte Diskussion an, die wir schon im Zusammenhang mit Advertorials erlebt haben. Unsere Kollegen aus anderen Ländern staunen, wenn wir von der hiesigen Debatte erzählen. Mich fragte gerade beim HuffPost-Familientreffen ein Kanadier: Ist den Kritikern von Werbung nicht klar, dass Medien etwas verdienen müssen? Ist nicht klar, dass auch Werbung sich verändern muss? Oder ist das nur heuchlerisch bei Euch? Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich drauf sagen sollte.
Was haben Sie sich für das nächste Jahr vorgenommen?
Matthes: Zwei wichtige Schwerpunkte sind Mobile und Video. Im schnell wachsenden Bereich Mobile wollen wir schon deutlich früher unter den zehn größten Nachrichtenseiten sein als mit der stationären Website. Außerdem haben wir uns vorgenommen, noch konsequenter auf Bewegtbild zu setzen. Das ist eines der wichtigsten Ziele der Huffington Post in allen Ländern. Schon heute haben wir ja etwa doppelt so viele Videoabrufe wie etwa Süddeutsche.de. Auch hier wollen wir noch deutlich größer werden. Außerdem wollen wir uns auf zwei großen Themenfeldern inhaltlich noch stärker positionieren: Erstens soll unsere Stimme im politischen Bereich mehr Gewicht bekommen. Zusätzlich zu den Autoren, die sich bei uns jetzt schon regelmäßig zu Wort melden, wollen wir künftig vor allem der jüngeren Generation eine Stimme geben. Aber auch gesellschaftliche Fragen sind für uns wichtig: Wie Familien im Spannungsfeld zwischen Karriere und Beruf ihr Leben organisieren; wie sich eine vernünftige Balance zwischen Beruf und Privatleben organisieren lässt – aber auch die Frage, weshalb Deutschland so große Angst vor neuen Technologien hat.
Jobatey: Jetzt freuen wir uns erst einmal auf unsere erste Geburtstagsfeier. Am Freitag geben Sebastian und ich die Redaktion aus der Hand. So wird die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium Brigitte Zypries das Politikressort übernehmen, um die Wirtschaftsthemen kümmert sich Arvato-Chef Achim Berg, um den Sport Sky-Kommentator Kai Dittmann und die bekannte Bloggerin Yonni Meyer um die Blogs.
dh