Helmut Schmidt

So würdigen die Medien den verstorbenen Altkanzler

Helmut Schmidt starb gestern in Hamburg
Die Zeit
Helmut Schmidt starb gestern in Hamburg
Gestern verstarb Altkanzler Helmut Schmidt im Alter von 96 Jahren in Hamburg. Der kühle Hanseate, Regierungschef von 1974 bis 1982, regierte zu einer Zeit, als mit der RAF, dem Kalten Krieg und der Ölkrise viel Unsicherheit in der Welt herrschte. Bei ihm fühlten sich die Deutschen aufgehoben. Schmidt war deswegen immer so etwas wie ein Kompass und eine moralische Instanz für die Bundesrepublik - bis zuletzt. Das merkt man auch den Nachrufen auf den Altkanzler an. HORIZONT Online zeigt ausgewählte Beispiele, wie sich Medien an Helmut Schmidt erinnern.
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Exemplarisch dafür stehen die Nachrufe der "Zeit". Die Wochenzeitung aus Hamburg hat eine besonders enge Verbindung zu Schmidt, war er dort doch Geschäftsführer und Herausgeber. Für die "Zeit" erinnern sich Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und sein ehemaliger Stellvertreter Matthias Naß an Schmidt. "Mit ihm ist nicht nur für uns bei der Zeit eine Vater- und Großvaterfigur gestorben. Wer mag, kann das als eine regressive Projektion belächeln: Erwachsene Menschen, emanzipierte Gesellschaften brauchen doch keine paternalistischen Autoritäten! Aber damit wird man der Bedeutung von Helmut Schmidt nicht einmal im Ansatz gerecht", schreibt di Lorenzo, der Schmidts Rolle als weiser Ratgeber unter der Überschrift "Wie geht das - ohne ihn?" zusammenfasst.

Die "Zeit" würdigt Schmidt außerdem mit einer Sonderausgabe, die am Mittwoch am Kiosk erscheint und abends zum Download zur Verfügung steht. Der Reinerlös soll der Helmut- und Loki-Schmidt-Stiftung zugute kommen. Darüber hinaus hat die Zeitung ein Online-Kondolzenzbuch eingerichtet.

Spiegel Online und Welt Online wählen für die Erinnerung an Schmidt eine andere Form als einen reinen Text: Beide haben statt eines durchgeschriebenen Nachrufes ein Multimedia-Special mit Texten und Videos erstellt. Bei SpOn haben unter der Federführung von Hans-Jürgen Schlamp insgesamt zehn Redakteure und Programmierer an dem Online-Nachruf mitgearbeitet. Das Stück mit dem Titel "Der Jahrhundertlotse" erzählt Schmidts Leben in sechs Kapiteln nach, die mit großformatigen Fotos bebildert und durch Videos ergänzt werden.

Ebenfalls sechs Kapitel hat das Welt-Online-Special, das den simplen Titel "Helmut Schmidt  1918 - 2015" trägt. "Es gibt nicht mehr viele Menschen, die die Bundesrepublik von Anfang an begleitet und beeinflusst haben und trotzdem noch im Licht der Öffentlichkeit stehen. Helmut Schmidt war einer der letzten von ihnen", schreibt Autor Jaques Schuster.

Weitere ausgewählte Nachrufe auf Helmut Schmidt

Michael Naumann, Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Der Kanzler, der diese Anrede hanseatisch ablehnte ("Schmidt reicht"), war in der Neige seines Lebens zum Sinnbild einer verlorenen Übersichtlichkeit der Gesellschaft geworden. Dass quer zu seinem wachsenden Ruhm die beinahe heilig gesprochene Symbolgestalt Willy Brandt stand, hat ihn durchaus beschäftigt – nun zählt er selbst zu den großen Kanzlergestalten der Sozialdemokratie, die von den eigenen Genossen aus dem Amt befördert wurden – wie nach ihnen auch Gerhard Schröder. Doch bis an sein Lebensende beharrte er darauf, ein "Sozi" geblieben zu sein. Nur mit einer Anrede durfte man ihm nicht kommen: "Genosse." "Herr Schmidt" hat gereicht. Er war ein Herr."

Gabor Steingart, Handelsblatt

"
Es wäre untertrieben zu sagen, der Verstorbene habe ein erfülltes Leben gelebt. In Wahrheit waren es mindestens drei in einem. Er war Politiker, Staatsmann und Publizist. Mensch war er auch. Und was für einer! Vielleicht ist sogar sein leidenschaftliches Mensch-Sein der Schlüssel zu allen anderen Erfolgen. Schmidt besaß die Gabe des Zuhörens und des Staunens. Neuigkeiten erschöpften ihn nicht, sie luden ihn auf. Selbst uns Journalisten, die er einst als "Wegelagerer" bezeichnet hatte, lernte er mit den Jahren schätzen."

Thorsten Denkler, Süddeutsche Zeitung

"Schmidt hatte seine Grundsätze. Darauf war immer Verlass, bis in den Tod. Zu schätzen gelernt haben das die Deutschen erst, als Schmidt längst nicht mehr in der Verantwortung war. Da war plötzlich ein großes Vertrauen in diesen Staatsmann. Ein Vertrauen, das womöglich auch ein Hinweis ist auf den Zustand und die Krisenfestigkeit der aktuellen politischen Klasse."

Jens Meyer-Odewald, Hamburger Abendblatt

"Letztlich bekannten auch die politischen Gegner: Schmidt war schlau. Nicht immer unbedingt weise, auf keinen Fall wortkarg, in jedem Fall beredt und von Grundsätzen geleitet. Unbeugsam, bisweilen besserwisserisch, stets intelligent. Der "ewige Kanzler" hieß es. Und da war was dran. Vielleicht mochten ihn die Hamburger auch deswegen so, weil er Weltökonom und gleichzeitig Hanseat war. Weil er es verstand, sich sowohl mit Pfeffersäcken als auch mit Sozis zu verstehen. Der Mann konnte polarisieren, aber auch Brücken bauen. Dabei dachte, sagte und tat er, was er wollte."

Stefan Reinecke, taz

"
Die Deutschen fassten zu ihm als altem Mann und Kanzler a.D. eine fast obsessive Zuneigung. Es gab kaum ein Jahr ohne ein Buch von ihm oder über ihn auf den Bestsellerlisten. In Talkshows wurde er andächtig zu anstehenden Weltproblemen befragt. Er rauchte unverdrossen – alle fanden es cool, dass ein hustender Altbundeskanzler in knappen Sätzen und mit knorriger Lakonie die Welt erklärte. Der mitunter bizarre Schmidt-Kult der letzten zehn, fünfzehn Jahre füllte eine Leerstelle – eine Sehnsucht nach Führung, Erfahrung, Autorität. Schmidt war die geeignete Projektionsfläche. Das allzu Brüske war im Alter ins Milde abgeschliffen. Aber nie so milde, dass nicht doch scharfe Urteile folgten."

Hermann Rudolph, Tagesspiegel

"In den letzten Jahren seines langen Lebens war er fast zu einer Ikone geworden. Mit Staunen sah man, wie eine Gesellschaft, die sich von der Politik und den Politikern zunehmend abwendet, in einem Politiker, in Helmut Schmidt, ein lebendes Denkmal entdeckte. Dabei hatte er den Jahren seinen Tribut entrichten müssen, war auf Rollstuhl und Hörgerät angewiesen, doch die Schwächen des Alters verstärkten eher seine Ausstrahlung."

Dieter Schnaas, Wirtschaftswoche

"Nein, als großer Kanzler bleibt Helmut Schmidt nicht in Erinnerung. Aber als großer Deutscher - und es tut nichts zur Sache, dass die Bilanz seines politischen Lebens von der schieren Länge seines politischen Nachlebens profitiert, von seiner publizistischen Betriebsamkeit und intellektuellen Agilität bis ins hohe Alter."



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