Gruner + Jahr-Sitz in Hamburg
Raus aus der Redaktion: Gruner + Jahr schickt seine über 20 Chefredakteure auf Exkursion. Nicht gleich wie Axel Springer ins Silicon Valley und auch nicht monatelang, sondern nur zwei Wochen, vom 8. bis 19. Mai. Aber alle gleichzeitig. Auch die Redaktionen sollen in diesen „Grünen Wochen“ – so heißt die Aktion in Anspielung an die Corporate-Farbe und an frühere Ideenwettbewerbe („Grüner Wiese“) – anders arbeiten als sonst.
Dem Verlag geht es nicht darum, mal zwischendurch andere Hefte zu produzieren, sondern um Mitarbeitermotivation, um die Förderung von Ideenfindung sowie um die Selbstvergewisserung und die Außendarstellung als innovatives Unternehmen. „Unmittelbar werden die Leser von der Aktion erst einmal wenig mitbekommen, mittelbar hoffentlich einiges“, sagt G+J-Produktchef Stephan Schäfer. Nicht direkt Vorschläge für neue Produkte, Geschäfte oder Arbeitsformen seien das Ziel, sondern der Aufbruch selber, als Signal.
Die Chefs sollen sich komplett aus ihren Aufgaben zurückziehen und sich stattdessen in acht Arbeitsgruppen mit nichts weniger befassen als mit der Zukunft des Journalismus und der Verlagsbranche. Ein Team wird sich mit
Künstlicher Intelligenz beschäftigen, andere mit Start-ups, mit Kundenbindung oder mit Recruiting. Die Redaktionen sollen derweil neue Formen der Zusammenarbeit ausprobieren. Und auch bei anderen Unternehmen hospitieren.
Weil es auch um Symbolik, um Atmosphärisches geht und nebenbei ja noch Hefte und Websites produziert werden müssen, dürften sich die Abläufe jedoch wohl nicht übertrieben radikal verändern – vor allem bei Wochentiteln wie
„Stern“ und „Gala“ nicht. Vier Fragen an Stephan Schäfer.
"Ich bin für alle Überraschungen offen"Warum starten Sie diese Aktion – Mitarbeitermotivation nach innen plus Innovationsgeist-Beschwörung auch nach außen? Es geht uns um den Aufbruch. Um ein Signal: Wir leben in schöpferischen Zeiten – lasst uns nicht so tun, als wüssten wir alles, sondern mit möglichst viel Spaß dazulernen. Die Grünen Wochen stehen im Zeichen des Entdeckens. Die Chefredakteure werden auf Innovationsreise gehen und sich mit aktuellen Fragen zur Zukunft des Journalismus und der Verlagsbranche beschäftigen. Die Redaktionen probieren andere Formen der Zusammenarbeit aus, lernen andere Firmen kennen und erarbeiten andere journalistische Konzepte. Mit Routinen brechen, ungewohnte Pfade gehen – das ist es, was ich mir für G+J wünsche. Und was übrigens auch einen innovativen und attraktiven Arbeitgeber ausmacht.
Werden die Leser davon etwas mitbekommen? Vielleicht, weil die Hefte, die in dieser Zeit entstehen, anders aussehen oder weil die Aktion in den Blättern thematisiert wird? Darum geht es bei den Grünen Wochen gar nicht. Unmittelbar werden die Leser davon erst einmal wenig mitbekommen, mittelbar hoffentlich einiges. Wir suchen permanent Ideen für neue Magazine, neue Digitalangebote, neue Geschäfte rund um unsere Marken. „Barbara“ und Barbara Digital, „Stern Crime“, die Schöner-Wohnen-Möbelkollektion – sie alle sind ja Ergebnisse unseres Bemühens, Gruner + Jahr modern zu interpretieren.
Woran machen Sie am Ende fest, ob die Aktion ein Erfolg war? Und warum dürfen nicht auch die Kollegen in den Verlagsabteilungen mitmachen? Wir möchten in diesem Jahr zunächst in den Redaktionen ausprobieren, ob die Grünen Wochen genügend Anregungen bieten, ob der Gedanke aufgeht. Wenn ja, werden wir es ausweiten. Dass aus den Grünen Wochen direkt eine neue Geschäftsidee entsteht, erwarte ich gar nicht unbedingt. Innovation verläuft viel indirekter. Aber was es dafür braucht, ist eine gute Atmosphäre. Dazu sollen die Grünen Wochen etwas beitragen.
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie merken, dass es in diesen neuen Konstellationen – und vor allem ohne Chefs! – womöglich besser, schneller und motivierter lief als sonst? Ich bin wirklich für alle Überraschungen und Neuerungen offen, da spreche ich auch für die Chefredakteure von G+J, die selbstverständlich an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werden. Vergangenes Jahr hatte Horst von Buttlar die Idee, dass „Capital“ vier Wochen lang ohne Chef arbeitet. Die Redaktion übernahm – und änderte auch gleich etwas: Jeder arbeitete, wann und wo er wollte, und die Leser wurden stärker als zuvor eingebunden. Am Ende dann durfte der Chefredakteur wiederkommen, und alle hatten was erlebt. Genau das wünsche ich mir auch von den Grünen Wochen: Ideen, Impulse, Innovationen.
rp