ARD-Vorsitzender Lutz Marmor hinterfragt die Neutralität von Googles Suchergebnissen
Alle gegen Google, Folge 537: Die Politik läuft sich schon mal warm für quasi-staatliche Eingriffe in die Algorithmen oder in die Ergebnislisten der Suchmaschine. Schützenhilfe erhält die Politik von einer großen Koalition aus Juristen, systemnahen Wissenschaftlern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkern. Dies wurde frappierend deutlich auf einem ARD-Symposium in Hamburg. Beobachtungen von HORIZONT-Korrespondent Roland Pimpl.
"Wir müssen schauen, ob intermediäre Plattformen die Inhalte, bei denen wir wollen, dass sie gefunden werden, tatsächlich angemessen auffindbar machen", sagte
Jacqueline Kraege, Chefin der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, auf einer Podiumsdiskussion bei einem Symposium der Historischen Kommission der
ARD am Mittwoch. Kraege ist nicht irgendwer: Die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz koordiniert die
Rundfunkpolitik der Bundesländer.
Jacqueline Kraege, Chefin der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz
Und was bei Kraege so gleichsam sperrig wie harmlos klingt, bedeutet unter dem Stichwort
"Plattformregulierung": Die Politik beginnt sich anzumaßen, Inhalte im Internet zu werten und Unternehmen (Benutzeroberflächen, Kanälen, Plattformen) vorzuschreiben, bestimmte Inhalte in einer bestimmten Weise auffindbar zu machen und anzuzeigen. Schon zuvor hatte Hamburgs Erster Bürgermeister
Olaf Scholz in seiner Keynote - wie bereits
vor einem Jahr - eine Neuordnung der Medienkontrolle gefordert, inklusive Plattformregulierung.
Natürlich bietet
Google für solche Regulierungsphantasien die schönste Projektionsfläche. In der schrägen Annahme, Googles Produkte seien für das Surfen im Web, gar für das digitale Leben genauso notwendig und alternativlos wie das
Stromnetz ("Infrastruktur"), drehte sich vieles in der Diskussion um den Suchmaschinenriesen. "Google ist für die Meinungsvielfalt ein Problem", sekundiert
Dieter Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts. Und niemand im Saal lacht.
Diese Diskussion über das, was Google
anzeigen muss, erhält zusätzliches Gewicht durch die parallele Debatte darüber, was Google
nicht anzeigen darf. Hier hatte der Europäische Gerichtshof die Suchmaschine Mitte Mai
dazu verdonnert (und
jetzt hat Google pariert), in bestimmten Fällen Links zu personenbezogenen Daten zu löschen. Wohlgemerkt die Links - und nicht die Quellen an sich; diese können nur die jeweiligen Herausgeber löschen. Alle Infos sind also noch im Netz, können nur nicht mehr so leicht gefunden werden. Auf diese Weise hat der EuGH den
Profi-Rechercheuren bei Geheimdiensten, Detekteien, Firmen und Medien
ein Stück Informationshoheit zurückgegeben - und der Allgemeinheit genommen.
Zurück zur Frage, was Google wie und wo anzeigen "muss": Auch der NDR-Intendant und amtierende ARD-Vorsitzende
Lutz Marmor hinterfragt die Neutralität von Googles Suchergebnissen. Vielleicht, weil er sich als Chef eines Apparates, der mit den Gebühren per se unfreiwilliger Zahler finanziert wird, kaum vorstellen kann, dass Googles Business und
große Marktmacht schnell wieder zusammenbrechen kann. Dann nämlich, wenn sich Googles (freiwillige!) Nutzer - viele einzelne Menschen, aber auch Verlage und Vermarkter - mit einem Klick abwenden, wenn sie mit dessen Diensten unzufrieden werden.
Schon jetzt darf man gespannt sein, wie denn die politische Lösung einer
"Zugangssicherung" für offiziell "wichtige" Inhalte aussehen wird. Welche Treffer dürfen oder müssen in Googles Ergebnisliste vorne stehen? Wer entscheidet das? Ein Losverfahren? Quotenregelungen? Rotationsverfahren? Irgendeine
Kommission? Oder sind nicht doch Algorithmen, die reales, milliardenfaches Suchverhalten abbilden, die neutralste und nutzerfreundlichste Lösung?
Algorithmen eines Unternehmens, das seine Gewinne maximieren will und dafür langfristig, jede Minute aufs Neue, Nutzer braucht, die sich freiwillig für die Nutzung entscheiden?
Jens Redmer, Director Business Development bei Google
Klar, das ist ein Argument der Google-Fraktion. Aber muss es deshalb gleich falsch sein? Von Google war
Jens Redmer gekommen, Director Business Development, der nichts Neues sagte, dies aber freundlich. Auch hier merkte man wieder, wie schlecht Google Deutschland (zumindest offiziell) alle
Attacken parieren kann, die gerade aufs Unternehmen einprasseln. Durch lange Abstimmungen mit der Zentrale in Kalifornien ist Google hierzulande immer wieder spontan sprachlos - bis es Blogposts aus Mountain View gibt, die man zitieren kann.
Dafür sind die Google-Kritiker umso agiler. So war sich deren illustre Runde einig darin, dass allein das öffentlich-rechtliche System - dessen
Bestandsgarantie auch im digitalen Zeitalter der Verfassungsrichter
Peter Müller erläuterte - "strukturelle Medienvielfalt" sichern könne. Ob das alles noch zu angemessenen Kosten geschieht (aktuelles Stichwort: die
Zeitbombe der Pensionen), diese Frage sparte die Diskussionsrunde aus. Vielleicht ist das ja erst rückwirkend mal ein Thema für eine der künftigen Historischen Kommissionen der ARD.
rp