Giovanni di Lorenzo
Oft sagt allein die Tatsache, dass jemand eine bestimmte Frage stellt, bereits etwas über die Richtung seiner Antwort aus. "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, schon von Haus aus eher Skeptiker als Lautsprecher, ist solch ein Kandidat für das Lesen zwischen seinen Zeilen – gerade beim Ideologiethema Print-/Online-Journalismus und gerade in einer Zeit, in der besonders eine Seite die Deutungshoheit in den (Online-)Medien zu genießen scheint.
Das Nebeneinander journalistischer Bezahlprodukte (Heft, E-Paper, App) und Gratisangebote (Internetauftritt) sei "Problem und Chance zugleich – doch die Richtung ist noch nicht klar", sagte di Lorenzo am Montagabend vor dem Club Hamburger Wirtschafsjournalisten (CHW). Er glaube nicht ohne weiteres daran, dass Verlage mit der fortwährenden Aufrüstung ihrer Websites den dazugehörigen Heften nützten. Damit stellt sich der "Zeit"-Chef den meisten Stimmen – auch im eigenen Haus – entgegen, die interessengeleitet (Online-Fraktion) oder zweckoptimistisch (Verlagsmanager) stets irgendwelche wertigen positiven Zusammenhänge zwischen Aufrüstung der Gratis-Sites und Erfolg der Bezahlausgaben behaupten.
Zum einen unterschieden die Leser immer weniger zwischen beiden Produkten und bevorzugten daher die Gratisangebote, so di Lorenzo, zum anderen stagnierten die
Online-Werbeerlöse, auf die das Web-Reichweitenmodell einzig baut, auf einem Niveau, das große Redaktionen kaum finanzieren kann. "Das absterbende Bezahlprodukt subventioniert das Gratis-Zukunftsmedium – das klingt nicht nach Geschäftsmodell", spottet der Chefredakteur der "Zeit", die nach seinen Angaben 80 Prozent ihrer (Werbe- plus Vertriebs-)Erlöse mit dem Heft erzielt. Auch deshalb werde man "nicht umhin kommen, im Netz auch
Paid Content auszuprobieren". Sollten die Redaktionen fusioniert werden? "Derzeit ist es wohl der richtige Weg, sie nicht zusammenzulegen, sondern projektweise zusammenzuführen."
Auch in Sachen
Social Media äußert di Lorenzo eine Einstellung, die wohltuend nüchtern (oder irritierend ernüchtert?) gegen den aktuellen Mainstream schwimmt. Wie stark müssen Verlage auf
Facebook, Twitter und Co aktiv sein? "Auch hier müssen wir uns immer fragen: Was haben wir eigentlich davon? Inwieweit bekommen wir dadurch zahlende Leser?" Die ehrliche Beantwortung dieser Fragen sei dringlicher denn je, denn auch – oder besser: sogar – die relativ erfolgsverwöhnte "Zeit" müsse in diesem Jahr bis jetzt ein "überschaubares"
Anzeigenminus verbuchen, freilich nach dem "Rekordjahr" 2013.
Und im Vertrieb? "Ich glaube, dass unsere
hohen Auflagen kaum zu halten sind", sagt di Lorenzo. Auch die "Zeit" tue sich schwer, neue Leser gerade unter den 30- bis 45-Jährigen "in der Rushhour ihres Lebens“ zu gewinnen. Was also tun? Schnelle Lösungen hat gerade er nicht parat, aber immerhin eine Hoffnung in Richtung Management: "Ich wünsche mir in den großen Verlagen
mehr strategische Leitwölfe!" Der eigenen Zunft schreibt di Lorenzo vor allem mehr Besonnenheit ins Stammbuch: "Die permanente Skandalisierung vieler Themen, die große, kleine und keine News mit derselben Lautstärke herausposaunt, sägt an dem Ast, auf dem wir alle sitzen, weil sie uns Medien austauschbar und irrelevant erscheinen lässt."
rp