Handelsblatt-Chef Gabar Steingart erklärt, wie er die die Leistungen seiner Journalisten siebenmal verkauft
Gabor Steingart, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt, Ex-"Handelsblatt"-Chefredakteur und -"Spiegel"-Büroleiter, sieht Journalismus als "vielleicht einzigen Beruf auf der Welt, bei dem man sein Geld mit Widersprechen verdient". In Zeiten der Digitalisierung sollen Journalisten von ihrem Thron steigen – ein "schmerzhafter Lernprozess" für viele Kollegen.
Seit dem Beginn Ihrer Karriere als Journalist hat sich das Berufsbild stark verändert. Wenn man heute aus Sicht junger Menschen auf den Journalismus schaut, müsste man wohl sagen: Print ist tot, und mit ein bisschen Glück überlebt der Hoodie-Journalismus?
Widerspruch. Print ist überhaupt nicht tot. Das Gegenteil ist meiner Ansicht nach der Fall: Der Journalismus lebt – in all seinen Darreichungsformen. Eine komplexer gewordene Welt, vernetzt und verwirrend, braucht den Beruf des Erklärers.
Aber braucht sie auch den Printjournalismus?Ich finde, wir beschäftigen uns zu viel mit der Frage, auf welcher technischen Plattform wir unsere Inhalte präsentieren. Dabei ist die Technik doch nur ein Instrument der Übermittlung. So wie es keine vinyle Musik gibt, gibt es für mich auch keinen printigen Journalismus. Vinyl ist nur ein Tonträger wie viele andere. Mick Jagger hat wahrscheinlich nie danach gefragt, auf welcher technischen Plattform seine Musik läuft. Vielleicht weiß er gar nicht, dass LP und Single de facto abgeschafft wurden. Weil er sich um den Inhalt kümmert, die Musik. Journalismus und Musik besitzen für mich eine Ewigkeitsgarantie.
Der Typus Redakteur, der sich als Erleuchteter sieht, der morgendlich seine Botschaften verkündet, ist dem Untergang geweiht.
Gabor Steingart
Die Journalisten hört man derzeit über kaum etwas anderes reden. Die Auflagenzahlen und Anzeigenerlöse von Printmedien sinken. Keiner weiß genau, ob die Transformation zu digitalen Geschäftsmodellen auch ökonomisch tragfähig sein wird. Die Angst vor dem Sterben des Berufsstands oder zumindest vor extremen Einschnitten und Veränderungen ist groß.Das ist meines Erachtens nur der Ausdruck einer großen Verwirrung. Jede Branche und jeder Beruf verändern sich – und das immer wieder. So wie der Mensch vom Baby über das Kind zum Pubertierenden und schließlich zum Erwachsenen reift, so entwickelt sich auch unser Beruf weiter. Es gibt auch eine Biologie der Berufe. Das Wort Berufsstand ist eben deshalb falsch, weil es impliziert, es gebe da etwas Statisches.
So wie es keine vinyle Musik gibt, gibt es für mich auch keinen printigen Journalismus.
Gabor Steingart
Und so sehen Sie derzeit die Printjournalisten: Sie wollen sich alle bloß nicht weiterentwickeln?Zumindest sehe ich dieses Phänomen derzeit bei einem Gutteil unserer Journalistenkollegen, die Probleme haben mit dem Erwachsenwerden. In Wahrheit passieren im Journalismus derzeit doch lauter großartige Sachen. Man kann so viele Menschen wie noch nie erreichen und braucht dafür so wenig Produktions- und Kapitalmittel wie noch nie. Die Digitalisierung hat erstmals eine gleichberechtigte Kommunikation mit unseren Leserinnen und Lesern ermöglicht. Das ist eine Sensation, die viele unserer Kollegen leider als Belästigung erleben. Dieser Typus des Redakteurs, der sich selbst als Erleuchteter sieht, der morgendlich seine Botschaften verkündet, ist dem Untergang geweiht. Der Journalismus ist interaktiv, oder gar nicht.
Nur verdienen die Verlage nicht mehr genug Geld. Eine ganze Reihe auch namhafter Printtitel ist bereits vom Markt verschwunden, weiteren drohen das Aus oder zumindest harte Einschnitte. Das monetäre Problem in der Branche ist evident.Widerspruch: Mit journalistischen Inhalten wird derzeit so viel Geld verdient wie noch nie. Nur fließen die Gelder eben nicht mehr ausschließlich in die Kassen der traditionellen Verlage. Jetzt verdienen auch Menschen wie Marc Zuckerberg von Facebook und Konzerne wie Google an journalistischen Inhalten. Google verdient pro Quartal mehr als alle deutschen Verlage im Jahr.
Die Art der Inhalte-Aufbereitung und –verbreitung von Facebook oder Google hat mit klassischem Journalismus aber nicht mehr viel zu tun. Die Schnelligkeit und Oberflächlichkeit des Onlinejournalismus führen zu ständigem Erregungsjournalismus und einer extremen Click-Hörigkeit.Journalismus, der aufregt, ist nichts Neues. Und Auflagenzahlen, TV-Zuschauerquoten und Click-Rates sind kein Selbstzweck, sie spiegeln wider, was Menschen bewegt und was sie langweilt. Das ist eine Rückmeldung derer, für die wir das alles veranstalten. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass nur die Auflage zählt. Aber sie liefert ein Argument.
careermag
Das komplette Interview mit Gabor steingart ist im neuen
careermag , dem Karrieremagazin von HORIZONTJobs zu finden. Im careermag gibt es außerdem einen Schwerpunkt zum Arbeiten in Mediaagenturen, ein Gespräch mit Vice-Chef Benjamin Ruth über kooperatives Arbeiten in seinem Team, ein Porträt des Berufsbilds Salesmanager Media und einen Bericht über das Recruiting-Event "Talent meets Bertelsmann". Im Interview schildern BBDO-Chef Frank Lotze und seine Personalchefin Romy Nickel ihre Suche nach Rohdiamanten und Studio 71-Manager Alexander Arndt erzählt von seinem Karriereweg im TV-Konzern Pro Sieben Sat 1 Media. Ausgewählte Traineeprogramme und die Adressen der wichtigsten Arbeitgeber der Kommunikationsbranche schließen das Magazin ab.
Und deshalb ist das Berufsbild des Journalisten heute eben doch ein anderes als vor der digitalen Revolution.In dieser Hinsicht natürlich – und hoffentlich. Der Journalist ist nicht mehr Verkünder, sondern Dialogpartner. Er muss von seinem Thron steigen und die Krone absetzen, die er sich wie einst Kaiser Napoleon selber aufgesetzt hat. Und: Wir müssen von der unglaublichen Tatsache ausgehen, dass der Leser nicht dümmer ist als wir selbst. In diesem Punkt machen Journalisten heute einen schmerzhaften Lernprozess durch. Diese Erkenntnis ist eine Zumutung, aber eine notwendige.
Sie treiben bei der Verlagsgruppe Handelsblatt die digitale Transformation sehr konsequent voran. Bislang aber sind Print- und Onlineredaktion auch bei Ihnen noch getrennt.Das stimmt, aber wir arbeiten sehr intensiv an einer Verschmelzung. Anfang 2015 werden beide Redaktionen zusammengelegt sein. Dann arbeiten bei uns Journalisten für Leser, gleichgültig wo sich diese Leser gerade technologisch befinden.
Der Journalist ist nicht mehr Verkünder, sondern Dialogpartner. Er muss von seinem Thron steigen und die Krone absetzen, die er sich wie einst Kaiser Napoleon selber aufgesetzt hat.
Gabort Steingart
Wobei Sie keinen Hehl daraus machen, dass Sie Journalisten vor allem als Ressource sehen, und sprechen gerne von einem "Eins-plus-sieben"- Prinzip, nach dem Sie die Arbeitskraft von Redakteuren nutzen.
Es ist leicht provokant und ironisch gemeint, wenn ich sage, dass ich jeden Journalisten siebenmal verkaufe. Meinen Kolleginnen und Kollegen sage ich: Ihr habt sieben Chancen, euch publizistisch zu präsentieren: Ein Artikel erscheint nicht mehr nur in der Printausgabe, sondern auch im E-Paper, Handelsblatt Live, als Einzelartikel auf Handelsblatt Online, als Dossier, in den Datenbanken und in der englischsprachigen Handelsblatt Global Edition. Hinzu kommt die Moderation von Kongressen und Events. Diese neue Wertschöpfungskette, die von A bis Z journalistisch geprägt ist, ist die Grundlage für eine höhere publizistische Durchschlagskraft. Und sie ist die Grundlage für das Verlagsgeschäft der Zukunft. Wenn "Eins plus sieben" richtig umgesetzt wird, steigt die Wirtschaftlichkeit unserer Branche auf neue Höhen.
Entsprechend steigt aber auch der Druck auf die Redakteure.Nicht unbedingt. Von den meisten Zweitverwertungen seiner Texte bekommt der Redakteur ja gar nichts mit beziehungsweise hat dadurch keine Mehrarbeit. Und wer ein Event moderiert, schreibt zu dieser Zeit ja nichts in der Zeitung. Es kommen zwar neue Aufgaben hinzu, aber nicht als Arbeitsstunden on top. Die Redaktion sagt zwar, dass die Mehrarbeit wächst. Und das nehme ich auch ernst. Doch der Eindruck, dass die Leute durch das "Eins-plus-sieben"-Prinzip ausgepresst würden, ist falsch.
Interview: Anja Sturm