Frontal-Attacke auf Youtube und Facebook

Die kontroversen Thesen des Martin Krapf

Martin Krapf attackiert Youtube und Facebook
Alexander Hassenstein / Getty Images
Martin Krapf attackiert Youtube und Facebook
Die TV-Branche hat einen neuen Lieblingsgegner. Nachdem man jahrelang vor allem gegen Print argumentiert hat, bläst Martin Krapf nun zum Generalangriff auf Facebook und Youtube. Youtube sei „ein Scheinriese“, Facebook „nicht geeignet für Markenkommunikation“. Der Chef der Gattungsinitiative Screenforce fährt alle Daten auf, die gegen die US-Internetriesen verfügbar sind, und sagt: „Die Netto-Reichweiten von Kampagnen lassen sich mit Youtube kaum steigern. Die inkrementelle Reichweite ist tatsächlich eine Legende.“
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Auch mit der GfK geht der TV-Manager, der von 2002 bis 2012 den RTL-Vermarkter IP Deutschland führte, hart ins Gericht. Das Marktforschungsinstitut steht für die klassische TV-Quotenmessung, weist mit seinem GXL-Panel aber auch die Reichweiten für Youtube aus - und trägt so mit dazu bei, dass eine Art Parallel-Währung entsteht. Krapf kritisiert: „Das GXL-Panel deckt sehr viel weniger Haushalte ab und basiert auf einer Erhebungsmethode, die bei weitem nicht so elaboriert ist wie die klassischen AGF-Reichweiten. Daher können wir es nicht akzeptieren, wenn der Eindruck entsteht, diese beiden Instrumente seien im Prinzip gleichwertig.“


Gefordert seien jetzt vor allem die Werbungtreibenden: „Sie dürfen es nicht zulassen, wenn sich einzelne Player der Vergleichbarkeit entziehen. Zieht eine Verweigerung  keine Konsequenzen nach sich, mutieren  die Joint Industry Committees zu einer unverbindlichen  Freiwilligen-Armee  und schaffen sich letztlich selbst ab. Das wäre eine Katastrophe, weil der Markt vergleichbare und kontrollierte Metriken für einen offenen, transparenten Wettbewerb dringend braucht.“ 

Die kontroversen Thesen von Martin Krapf

These 1: Youtube ist ein Scheinriese

„Das Inventar von Youtube ist auf dem ersten Blick absolut beeindruckend - aber eben wirklich nur auf den ersten Blick. Schaut man genauer hin, relativieren sich die hohen Nutzungszahlen, inklusive der mobilen Nutzung, dramatisch. Um es mit einem Bild deutlich zu machen: Die Nutzung von TV ist fast 500-mal höher als die von Youtube – das entspricht dem Größenverhältnis von Eifelturm zu einer Pylone. Ein Grund dafür ist, dass knapp 60 Prozent der Deutschen über 14 Jahre Youtube überhaupt nicht nutzen. Zum Vergleich: Bei TV beträgt die Abstinenz-Quote 0,7 Prozent.

Dabei leidet Youtube vor allem unter massiven strukturellen Problemen. Nur knapp 10 Prozent der Nutzer stehen für zwei Drittel des Traffics, wir haben es hier wegen der exzessiven Nutzung von wenigen Heavy-Usern also mit einer extremen Klumpung zu tun. Bei über 90 Prozent der User, die für ein Drittel der Nutzung verantwortlich sind und Youtube nur sehr selten nutzen, haben Sie als Werbungtreibender deshalb natürlich nur eine sehr geringe Kontaktwahrscheinlichkeit.

Ein weiterer Punkt sind die enorm kurzen Nutzungsintervalle, wenn man Youtube einmal im Vergleich mit TV-Maßstäben misst: Während rund 90 Prozent der TV-Zuschauer pro Tag länger als 30 Minuten fernsehen, beträgt die tägliche Verweildauer bei rund 45 Prozent der Youtube-User weniger als eine Minute. Das schränkt  die Möglichkeiten für Werbung natürlich weiter dramatisch ein.

Ein dritter, sehr heikler Punkt, der aber auch zeigt, dass es bei Youtube eher um „true size“ als um „true view“ geht:  Der Anteil von Non Human Traffic scheint  bei Plattformen wie Youtube inzwischen eine Größenordnung von 20 bis 50 Prozent zu erreichen. Wenn ich das auf das klassische Fernsehen übertrage und nur von 20 Prozent ausgehe: Den Aufschrei möchte ich hören, wenn sich herausstellen würde, dass 900 Millionen von den 4,5 Milliarden Euro jährlichen TV-Werbeinvestitionen rausgeschmissenes Geld sind!

Und ein letzter Punkt, der bisher im Markt viel zu wenig reflektiert wird: Ein Großteil des Youtube-Inventars ist nach wie vor User Generated Content und nur sehr eingeschränkt geeignet als Umfeld für Werbung. Wir sprechen hier ja nicht nur von gegrillten Katzen, sondern auch von Inhalten, die gesellschaftspolitisch mehr als bedenklich sind.

In Wirklichkeit ist Youtube aus Sicht der Werbewirtschaft also ein Scheinriese: kurze Verweildauer, geklumpte Nutzung und am Großteil der Konsumenten vorbeigeschossen. Auch das Argument, man erreiche hier die jungen Menschen, die wenig lineares Fernsehen schauen, ist bei genauerer Betrachtung falsch. Fakt ist: 80 Prozent der TV-Wenigseher werden mit Youtube überhaupt nicht erreicht. Wenn man Mediapläne simuliert, zeigt sich: Die Netto-Reichweiten von Kampagnen lassen sich mit Youtube kaum steigern! Die inkrementelle Reichweite ist tatsächlich eine Legende.“ 

These 2: Facebook ist nicht geeignet für Markenkommunikation

Keine Frage: Facebook ist ein sensationelles Kommunikationstool und hat für das Leben vieler  Menschen eine überragende Bedeutung. Eine ganz andere Frage ist aber, was Facebook für die  Werbung leistet. Und da lautet das Urteil:  Die Plattform eignet sich nur sehr eingeschränkt für Markenkommunikation.

Was Facebook den Werbungtreibenden zunächst versprochen hat, war ja ein eins-zu-eins-Kontakt zu den Kunden. Die Beratungsfirma Companion hat dann nachgewiesen, dass sich nicht einmal 1 Prozent der sogenannten Fans wiederholt mit einer  Marke auseinandersetzen und man nur 0,18 Prozent als wirkliche Brand Advocats bezeichnen kann, von denen wiederum  etwa die Hälfte Mitarbeiter des eigenen Unternehmens sind. 

Diese frustrierenden Zahlen sind ja auch ein Grund, warum Facebook sich jetzt als  Anbieter von Bewegtbildwerbung positioniert. Aber da stellt sich das gleiche Problem wie bei Youtube: Rund 50 Prozent der Nutzungsdauer liegt unter einer Minute. Rund 3 Prozent der Nutzer stehen für ein  Drittel des Traffics, und diese Intensiv-User nutzen auch massiv andere Medien - der Effekt auf die Netto-Reichweite ist daher auch hier minimal.

Mein Hauptargument ist aber, dass Facebook sich kaum  für Markenkommunikation eignet, weil die Nutzer hier in einem zielorientierten Modus unterwegs sind. Das ist ein  sehr grundsätzlicher  Punkt, der sich am besten in einem Bild beschreiben lässt: Wenn ein Neandertaler auf Jagd geht, hat er kein Interesse an Werbung für einem Lendenschutz – er will schlicht  Tiere erlegen. Zuhause in der Höhle denkt er dann, inspiriert von den Höhlenmalereien, tiefenentspannt auf seinem Fell am Lagerfeuer über einen neuen Lendenschurz, über Sandalen oder einem Knochen-Ohrring für seine Frau nach. Diese Rezeptionsverfassung als Voraussetzung für die Aufnahmebereitschaft von Werbung ist genau der Unterschied zwischen Fernsehen oder auch Print auf der einen und Facebook auf der anderen Seite. Aus der Tatsache, dass Facebook für das Leben der Menschen wichtig ist, folgt eben noch nicht automatisch, dass Facebook auch geeignet ist für Markenkommunikation. Die Unternehmen und Agenturen  scheinen das auch irgendwie zu ahnen. Zumindest wäre das eine Erklärung dafür, dass die Werbeumsätze von Facebook in Relation zu den Kontakten absolut marginal sind - und  wohl auch bleiben werden. 

These 3: GfK muss sich der Verantwortung stellen

In der Öffentlichkeit steht die GfK für die TV-Reichweitenmessung der AGF und hat sich dem Thema JIC verschrieben. Das bringt eine große Verantwortung mit sich, der sich die GfK stellen muss.

Schwierig wird es, wenn man mit einem anderen Instrument, nämlich dem GXL-Panel, die Reichweiten von Youtube ausweist, und dabei nicht deutlich macht, dass es sich um ein Instrument von ganz anderer Qualität handelt. Das GXL-Panel deckt sehr viel weniger Haushalte ab und basiert auf einer Erhebungsmethode, die bei weitem nicht so elaboriert ist wie die klassischen AGF-Reichweiten. Daher können wir es nicht akzeptieren, wenn der Eindruck entsteht, diese beiden Instrumente seien im Prinzip gleichwertig.

Im Grunde gibt es zwei mögliche Sichtweisen. Entweder liefert das GXL-Panel genauso verlässliche Daten wie die AGF oder sie sie tut das eben nicht. Im ersten Fall stellt sich die Frage, warum wir bisher so viel Geld für Fernsehforschung ausgegeben haben, wenn das alles auch viel einfacher und vor allem billiger geht. Dann ist der Aufwand, den wir in der AGF treiben,  nicht mehr zu rechtfertigen. Oder - und das ist für mich die viel realistischere Sichtweise - das GXL-Panel taugt eben viel weniger als Markt-Standard als die klassische TV-Quotenmessung. Dann steht die GfK aber in der Verantwortung, das dem Markt auch in aller Deutlichkeit zu sagen. Aus meiner Sicht kann es da keine zwei Meinungen geben. Was nicht geht, ist, dass die GfK ihr Image, das eng mit ihrer Rolle im JIC verbunden ist, nutzt, um das GXL-Panel zu pushen.

Noch ein Wort zur Rolle der Mediaagenturen. Deren Argument lautet manchmal: Wir nutzen das GXL-Panel in der Planung, weil es nichts Besseres auf dem Markt gibt. Das bringt mich wirklich zum Nachdenken. Wenn es nichts Besseres gibt, nutze ich eben das Schlechte? Dann ist das Beste von heute das Schlechte von morgen. Eine solche Entwicklung möchte ich nicht fortgeschrieben haben. js




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