Die Berichterstattung über den Absturz der Germanwings-Maschine hat eine breite Debatte über den Umgang der Medien mit der Katastrophe an sich und dem Co-Piloten ausgelöst, der das Flugzeug offensichtlich absichtlich gegen eine Bergflanke gesteuert hat. Was dürfen, was müssen Medien berichten?
Es ist ein altbekannter Reflex: Sobald die Medien über ein schreckliches Ereignis berichten, dem zahlreiche Menschen zum Opfer gefallen sind, regt sich wenig später auch Kritik an den Medien selbst. Im Fall der Germanwings-Katastrophe hat die Debatte in und über die Medien allerdings eine bislang nicht bekannte Dimension erreicht. Abgesehen von der fast schon reflexartigen Medienschelte in den sozialen Netzwerken haben auch viele Journalisten in den vergangenen Tagen leidenschaftlich darüber diskutiert, was sie berichten dürfen und was nicht. Unter anderem ging es darum um die Frage, ob man den Namen des Co-Piloten öffentlich machen darf oder nicht. Auch HORIZONT hat sich an der Debatte beteiligt.
Am Wochenende haben sich erneut zahlreiche Journalisten zu Wort gemeldet: "Zeit"-Kolumnist und "Tagesspiegel"-Redakteur Harald Marstenstein reflektiert sein eigenes Interesse an der Katastrophe, Marion Horn, Chefredakteuring der "Bild am Sonntag" verteidigt in einem trotzigen Kommentar die Berichterstattung aus ihrem Haus und Medienjournalist Stefan Niggemeier analysiert für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" die neue Dimension der Medienkritik. Ein Überblick.
"Es heißt, wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd. Übersetzt: Man schlägt den Überbringer der schlechten Nachricht, weil man die Nachricht kaum ertragen kann.
Aber vielleicht muss man es mal so deutlich sagen: Wir Journalisten sind Menschen. Es lässt uns nicht kalt, wenn Unschuldige ermordet werden. Wir sind auch gegen die Todesstrafe. Und es lässt uns nicht kalt, wenn selbst ernannte Internet-Moralapostel uns drohen und den Mund verbieten wollen.
Oder uns vorwerfen, dass Zeitungen Geld verdienen. Himmelherrgott, das ist gut so! Sonst gäbe es keine unabhängige Presse. Oligarchen und Politiker würden entscheiden, was in der Zeitung stehen darf. Wir entscheiden selbst, wie wir unsere Zeitung machen. Weil wir es können.
"Wir, die Medienleute, handeln mit Gefühlen und mit Ängsten, das ist unsere Ware, nicht die einzige Ware in unserem Angebot, aber doch eine der wichtigsten. Selten sind auf der Welt so viele Zeitungen verkauft und so viele Sendungen angeschaut worden wie in den Tagen nach den Anschlägen auf das World Trade Center. Ich musste damals den ersten Text für diese Zeitung schreiben, eine Stunde nach dem Anschlag. Wir wussten fast nichts. Eigentlich konnte man nicht viel sagen, außer der Banalität: Furchtbar.
Aber es muss geschrieben werden. Das ist der Job. Ein leere Zeitung oder ein schwarzer Bildschirm sind keine Option. Der Ablauf ist immer gleich. Am Anfang schreibt man ins Leere, die Gefahr ist groß, dass man Phrasen drischt oder sich in Spekulationen verirrt. Dann weiß man mehr. Es gibt, meistens, eine Erklärung. Jetzt schlägt die Stunde der Experten, der Politiker, der Verschwörungstheorien. Es wird geredet und geredet, geschrieben und geschrieben. Und irgendwann setzt die Katharsis ein. Der Hunger, der am Anfang da war, ist weg.
Das Mitleid und die weniger gut beleumundete, gleichwohl menschliche Lust an der Tragödie liegen so eng beieinander, dass ich sie nicht auseinanderklamüsern kann. Ich schäme mich immer dafür, dass ich an solchen Tagen richtig gierig bin auf die "Tagesschau". Aber es ist Quatsch, für die eigene Lust an der Katastrophe die Medien zu kritisieren. Wir alle wollen nur unsere Angst besiegen."
"Es hat aber sicher auch damit zu tun, dass es die erste "Tat" dieser Dimension ist, die im Zeitalter der Allgegenwart sozialer Medien geschieht. Jeder ist plötzlich ein Medienkritiker, kann auf Facebook und Twitter oder in den Kommentarspalten der Medien seinen Widerspruch formulieren, seinen Dissens sichtbar machen, seiner Empörung ungehemmt Ausdruck verleihen. Diese kritischen Äußerungen mögen für viele Medien im Zweifel weniger entscheidend und überzeugend sein, als es die klare Sprache von Einschaltquoten, Klickzahlen und Auflagenmeldungen ist. Aber sie entwickeln eine Wucht, die sich schwer ignorieren lässt. Und die sich nicht mit Appellen, doch bitte den Ball flach zu halten, wie sie in der Kritik der Medienkritik formuliert werden, bremsen lassen werden."
"Nur die Medien haben eine eingeschränkte Freiheit. Wer es ernst meint mit seinem Job in dieser Branche, der hat die Pflicht zur Aufklärung. Nicht nur bei Unglücken, sondern auch bei jedem anderen relevanten Vorfall. Die Presse, und dazu gehören alle, die mit ernsthaftem Anspruch in diesem Bereich tätig sind, ob Blogger oder Redakteure, ist ein riesiges Unternehmen Aufklärung. Aufklärung bringt Erkenntnisse, Aufklärung beseitigt Ungewissheit und Angst. Und Aufklärung liefert auch Trost. Diese Pflicht zur Aufklärung besteht auch dann, wenn es in den sozialen Netzwerken rumort. Aufklärung ist kein Dienst an der Mehrheit, sondern ein Dienst an der Wahrheit, selbst wenn sie manchmal unbequem oder noch nicht zu ertragen ist."