Zwar liegt der Zeitpunkt, zu dem die Studie durchgeführt wurde, schon einige Zeit zurück. Doch der allmächtige Facebook-Algorithmus ist jederzeit dazu angetan, Debatten auszulösen. Und so verursacht das Bekanntwerden des sozialen Experiments aus dem Januar 2012 heute hohe Wellen. Über einen Zeitraum von einer Woche war bei gut 700.000 Nutzern der englischsprachigen Facebook-Version die Timeline dahingehend beeinflusst worden, dass einigen hauptsächlich positive Beiträge angezeigt wurden, anderen überwiegend negative. Ergebnis: Diejenigen, die eher positive Posts in ihrer Timeline hatten, posteten ihrerseits auch eher fröhliche Dinge.
Veröffentlicht wurden die Erkenntnisse Anfang Juni 2014 in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences".
Einer der bei Facebook für die Studie verantwortlichen Forscher
rechtfertigte die Arbeit damit, dass es wichtig sei zu verstehen, welche emotionalen Effekte die Nutzung von Facebook auf die Nutzer habe. Ziel der Studie sei es, das Produkt und den Service zu verbessern. Man überlege sich genau, welche Art Forschung man betreibe, überprüfe aber gleichwohl permanent die internen Aufsichtsverfahren. Ein Verstoß gegen die eigenen Datenschutzbestimmungen liegt laut Facebook nicht vor, dort wird erklärt, dass Nutzerdaten auch zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen.
Kramer
Das sei aber nicht genug, monieren Kritiker: "Es ist wirklich lächerlich, zu behaupten, dass ein Klick auf ein Kästchen auf einer Webseite eine informierte Einwilligung darstellt",
zitiert das "Wall Street Journal Deutschland" den Chirurgen und Medizin-Blogger David Gorski. Die Nutzer sollten vielmehr die Wahl haben, ob sie an einer Studie teilnehmen oder nicht. Derselben Meinung ist auch Nina Heise vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg: "Facebook hätte die betroffenen Nutzer um Einwilligung bitten und ihnen erklären müssen, wofür die Daten verwendet werden",
so Heise zur "Süddeutschen Zeitung".
Daran, dass Facebook die Inhalte im Newsfeed ohnehin schon von einem eigenen Sortier-Algorithmus anordnen lässt, scheiden sich die Geister indes kaum noch. Holger Dambeck bezeichnet die - seiner Ansicht nach berechtigte - Empörung um die Studie daher gar als "Glücksfall", weil die Berichterstattung das Bewusstsein der Nutzer schärfe. Denn,
so Dambeck auf Spiegel Online: "Facebook ist ein kommerzielles Unternehmen und möchte, dass seine Nutzer so viel Zeit wie möglich auf der Plattform verbringen, damit der Werbeumsatz stimmt. Und je attraktiver der Newsfeed erscheint, umso lieber öffnen Nutzer die Facebook-App." Ohne Experimente geht das jedoch nicht,
wie Jens Wiese auf Allfacebook ausführt: "Wie Facebook aussieht, welche Anzeigen wir zu sehen bekommen, welche Themen im Newsfeed erscheinen, all das sind die Ergebnisse von Tests am Nutzer. Und das Meiste davon ist mehr 'Psycho' als wir es uns vorstellen wollen."
Veränderungen wie
die Optimierung des Newsfeeds in Hinblick auf relevanten Content sind also bereits das Ergebnis von Tests. Doch natürlich regt Facebooks Experiment die Phantasie an. Was ist möglich mit den Erkenntnissen aus der Studie? Wäre es nicht sogar denkbar, durch gezieltes Sortieren im Newsfeed die Stimmung der Nutzer an die gezeigten Werbebotschaften anzupassen? Immerhin lebt Facebook von Werbekunden und davon, dass deren Kampagnen gut funktionieren. Den Gedanken einmal weitergedacht, könnten etwa Anzeigen von Coca-Cola im Umfeld von recht fröhlichen Postings erscheinen. Das Motto des Getränkeriesen ist bekanntlich "Happiness". Und glückliche Facebooker werden für diese Botschaft möglicherweise empfänglicher.
Rechtsanwalt Thomas Schwenke hält die Studie für "gerade noch zulässig (Bild: Kanzlei Schwenke)
Rechtsanwalt
Thomas Schwenke äußert jedoch Bedenken, ob ein derartiges Vorgehen datenschutzrechtlich in Ordnung wäre. "Eine Anpassung der Verbraucher an die Werbung mit der Hilfe von Algorithmen ist nach meiner Ansicht ohne deutliche Hinweise und Erklärungen ein menschenunwürdiger Datenschutz- und Wettbewerbsverstoß",
schreibt Schwenke in einem Blogbeitrag. Die Aufklärung der Nutzer müsse dabei eindeutig und verständlich erfolgen, etwa durch eine Opt-In-Option, so Schwenke. Ob ein soziales Netzwerk wie Facebook dann überhaupt noch funktionieren kann, ist eine andere Frage. "Denn", so merkt Schwenke an, "von einer wirtschaftlichen zu einer politischen Beeinflussung ist nur ein kleiner Schritt."
Die umstrittene Newsfeed-Studie hält Schwenke übrigens für "rechtlich als (gerade noch) zulässig", weil sie zur Verbesserung der sozialen Interaktion durchgeführt wurde und Facebook damit argumentieren könne, dass "die Datenverarbeitungserlaubnis zur Erfüllung der Geschäftszwecke" erfolgt sei.
ire Update 1.7., 15.45 Uhr
Laut eines "Forbes"-Berichts habe es den Passus in den Facebook-AGB, wonach Daten zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen, noch gar nicht gegeben, als die Studie durchgeführt wurde. Der Passus sei erst 4 Monate später hinzugefügt worden. Träfe das zu, hätten die Nutzer auch durch Annahme der AGB nicht der Teilnahme an der Studie zugestimmt. Falsch, sagt Facebook: "Neue Nutzer werden immer um die Erlaubnis gefragt, ihre Informationen zu verwenden, um unsere Services zu verbessern", so ein Facebook-Sprecher zu Forbes.