Bundesjustizminister Heiko Maas
Alles Hass, oder was? Es war ein Medienanwalt, der die Gefahren des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes formulierte – und nicht die Chefredakteure. Jene scheinen ihren Frieden mit dem neuen NetzDG gemacht zu haben. Und beschuldigten den Anwalt wegen seiner deutlichen Worte der Demagogie. Demagogie pro Meinungsfreiheit sozusagen.
„Die Meinungsfreiheit endet da, wo das Strafrecht anfängt“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas am Montagabend auf einer Veranstaltung des Hamburger Presseclubs und der Hamburg Media School. Damit skizziert Maas die Rechtslage, die schon vor seinem NetzDG galt. Doch die sogenannt sozialen Netzwerke hätten sich nicht daran gehalten, deshalb verdonnere sie das NetzDG zu hohen Strafen, wenn sie strafbare Inhalte nicht innerhalb strenger Fristen löschen.
Wir müssen uns für jeden tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler gegenüber der Öffentlichkeit und Werbewirtschaft rechtfertigen – doch Google und Facebook lässt man alles durchgehen.
Giovanni di Lorenzo
Indirektes Verständnis lässt Zeit-Chefredakteur
Giovanni di Lorenzo durchblicken, „obwohl ich kein Regulierungsfetischist bin“. Er beklagt eine „unbegreifliche Asymmetrie“ zwischen Google/Facebook („übermächtige Konkurrenten im Werbemarkt“) einerseits und etwa den Verlagen andererseits. „Wir müssen uns für jeden tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler gegenüber der Öffentlichkeit und Werbewirtschaft rechtfertigen – doch Google und
Facebook lässt man alles durchgehen“. Marktlösungen, die dieses Phänomen langfristig vielleicht viel besser lösen als neue Gesetze, kamen an diesem Abend in Hamburg nicht zur Sprache.
Nicht durchgehen lässt di Lorenzo Facebooks Begründung, das gesetzlich verlangte Löschen sei nicht zu schaffen und gefährde die Meinungsfreiheit. „Es hatte ökonomische Gründe, warum sich Facebook bisher vor dem Löschen gedrückt hat. Die Kontrolle ist möglich, aber teuer.“ Davon weiß
Barbara Hans ein Lied zu singen: In ihrer Redaktion scannen fünf bis zehn Leute die jeden Tag über 10.000 Kommentare, sagt die Spiegel-Online-Chefredakteurin.
Hier glaubt Heiko Maas punkten zu können: „Warum beschwert sich niemand darüber, dass Spiegel Online und andere Medien Kommentare löschen – und für das NetzDG, das dies bei strafbaren Inhalten von Facebook verlangt, gibt es so viel Kritik?“ Facebook sei doch nicht konstitutiv für die
Meinungsfreiheit (laut di Lorenzo aber immerhin „ein Instrument der Meinungsfreiheit“). Die passende Antwort auf Maas‘ rhetorische Frage gibt niemand auf dem Podium: Hausrecht. Natürlich können Medien (in den Grenzen des Strafrechts) publizieren, was sie wollen. Facebook und Co, denen manche Medienköpfe im Gegenteil ja sogar eine
infrastrukturelle Neutralität abverlangen wollen, stellt das NetzDG die entscheidende Falle.
„Facebook wird nicht sanktioniert, wenn es zu viel löscht. Sondern nur dann, wenn es zu wenig löscht“, gibt Medienanwalt
Harro von Have zu bedenken. Deshalb werde die Plattform prophylaktisch auch nicht strafbare Inhalte löschen,
siehe Dunja Hayali. Der Jurist kritisiert, dass das NetzDG die knifflige Frage, wann eine Aussage noch von der Meinungsfreiheit gedeckt oder schon strafbar ist, einem Unternehmen aufdrängt. Und stattdessen? „Die
Justiz muss so aufgestellt werden, dass sie strafbare Äußerungen erkennen und verfolgen kann – nur dort gehören solche Fragen hin.“ Bloß „krasse Meinungen“ müsse die Gesellschaft aushalten.
Und noch einen Punkt macht von Have in der von Welt-Herausgeber
Stefan Aust moderierten Diskussion: Es seien nur wenige Leute, die im Netz Hass verbreiteten – doch die seien sehr laut und verzerrten das Bild. „Wir sollten die Gesetzgebung aber nicht allein auf diese nicht repräsentative Gruppe ausrichten.“ Hier bringt der Anwalt ein abgewandeltes Zitat des US-Staatsmanns Benjamin Franklin („Wer wesentliche
Freiheiten aufgibt, um vorübergehende Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren“) und fragt, ob das NetzDG nicht eher die staatlichen Institutionen als die individuellen Persönlichkeitsrechte schützen solle.
„Die kleine Minderheit der Hass-Verbreiter hört man auch deshalb so laut, weil die große Mehrheit schweigt“, merkt Minister Maas an. Jeder in der Zivilgesellschaft müsse sich überlegen, ob er weiter schweigen wolle. Zeit-Chefredakteur di Lorenzo regt hier eine „gesellschaftliche
Ächtung“ an. Keine Zustimmung auf dem Podium fand immerhin die – so ist es zumindest zu befürchten – offenbar ernst gemeinte Anregung aus dem Publikum, die Entwicklung von „Hass“- und „Fake“-eliminierenden Algorithmen staatlich zu fördern.
rp