FAZ-Chef Thomas Lindner

"Google argumentiert wie ein Senfhändler"

FAZ-Geschäftsführer Thomas Lindner
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FAZ-Geschäftsführer Thomas Lindner
Die "FAZ" bereitet den Ausbau ihrer Paid-Content-Strategie vor. Derzeit basteln die klugen Köpfe an einem ersten Bezahlpaket, bestehend etwa aus einer neu konzipierten digitalen Zeitung und Newslettern. Dies kündigte Geschäftsführer Thomas Lindner in einem Vortrag vor Marketingpublikum an – und stichelte gegen die Gratismentalität und Google.
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Neben der Erweiterung des Pay-Portfolios will die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zudem das Volumen der Zeitungsinhalte, die gratis ins Netz gestellt werden, zurückfahren. Denn Werbefinanzierung allein reiche immer weniger aus, um Qualitätsjournalismus zu finanzieren, so Lindner am Donnerstagabend vor dem Marketeer Club Europe in Hamburg: "Die einzigen, die das lange Zeit nicht glauben wollten, waren die Redakteure, in allen Häusern." Nun stehen die Zeitungen endlich "kurz davor, die vor Jahren selbst gewählte Gratisfalle zu verlassen".



Die traditionelle Rechnung, wonach Reichweite die Werbeerlöse treibt, gehe im Web wegen des Werbepreisverfalls immer weniger auf, erklärt der "FAZ"-Chef. Doch nicht nur deshalb sollten es Qualitätsmedien mit ihrer Jagd nach Klicks nicht übertreiben – sondern auch, weil das Reichweitenrennen dazu führe, breitere Zielgruppen anzusprechen, sich vom Kern und Profil der Marke zu entfernen und deren wahrgenommenes Niveau somit abzusenken.

"Spiegel" und "Süddeutsche Zeitung" liefen deshalb im Internet "Gefahr, zu Marken für Vermischtes zu werden", sagt Lindner. Bei Focus Online sei es schon so weit. Davor, dass die Gratis-Website auf diese Weise das Pay-Produkt, von dem sie sich gar noch subventionieren lässt, schädigen und kannibalisieren könnte, sieht der Geschäftsführer auch sein Haus nicht gefeit. Deshalb müsse sich ein Titel wie die "FAZ" zu seiner zahlenden Kernzielgruppe – im Vergleich zur Gesamtbevölkerung natürlich eine Nische – bekennen. Lindner: "Wir können nicht Everybody‘s Darling sein."
Google verhält sich hier wie ein Senfhändler, der das Verteilen von Gratiswürsten propagiert.
Thomas Lindner
Dann räumt er mit der These vieler Internetgurus auf, dass das Digitalzeitalter Informationen im Überfluss beschere – und Aufmerksamkeit das knappe Gut sei. Nun, dies sei die Argumentation der Google-Lobbyisten, um immer mehr freie Inhalte anderer verwerten zu können: "Google verhält sich hier wie ein Senfhändler, der das Verteilen von Gratiswürsten propagiert."

Das Gegenteil sei wahr: Wirklich verlässliche Informationen seien in der "Gerüchte- und Verschwörungstheorieschleuder Internet" knapp. Und in einer modernen Sozialstaats- und Freizeitgesellschaft habe das Gros der Bevölkerung außerdem immer mehr Zeit und suche nach Zerstreuung, siehe die prosperierende Unterhaltungsindustrie. Nicht Aufmerksamkeit sei also das knappe Gut, sondern verlässliche Information vertrauenswürdiger Absender.

Qualitätszeitungen – nicht unbedingt nur auf Papier, sondern auch als kuratierte und in sich geschlossene Digitalprodukte – blieben deshalb die Informationsquelle Nummer Eins, glaubt Lindner. Vertrauen müsse zur Währung im Netz werden, auch für die Werbewirtschaft, die sich bisher zu oft allein auf das Maximieren bloßer Aufmerksamkeitskontakte beschränke. rp
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