Bekommt noch handgeschriebene Leserbriefe: Hans-Jürgen Jakobs
Das "Handelsblatt" öffnet sich stärker für seine Leser. Auf der Doppelseite "Debatte" kommen ab sofort regelmäßig Leser sowie Nutzer, Follower und Fans der Wirtschaftszeitung zu Wort. "Den Wert einer Zeitung machen ihre Leser aus. Je aktiver sie sind, desto besser ist die Zeitung", begründet Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs die neue Rubrik. Im Interview mit HORIZONT spricht er über die neue Debattenseite, handgeschriebene Leserbriefe, und die mitunter befreiende Funktion von Online-Kommentaren.
Die neue Rubrik "Handelsblatt Debatte" soll regelmäßig die Meinung von Lesern und Nutzern dokumentieren. Wie oft wird die Seite erscheinen?
Wir peilen einmal in der Woche eine Doppelseite an. Ich will aber auch flexibel auf die Ereignisse reagieren können. Wenn es große Themen gibt, die bei den Lesern für viele Reaktionen sorgen, kann die Seite auch zweimal in der Woche erscheinen.
Wonach wählen Sie die Themen für die Debattenseiten aus? Hauptkriterium ist sicherlich, für wie viele Reaktionen ein Thema sorgt. Wie kommt eine Geschichte an, was bewegt die Leute? Wir machen ganz unterschiedliche Erfahrungen über die unterschiedlichen Kanäle und das wollen wir hier auch abbilden. Wir haben jetzt mit zwei großen politischen Themen angefangen, die Lohnleitlinien der Bundesbank und der Umgang mit Russland. Ich kann mir aber auch vorstellen, populäre Themen abseits der großen Politik auszuwählen, die online für viele Reaktionen sorgen.
Ist es sinnvoll, Reaktionen aus dem Netz einen Tag später noch einmal in Print zu bündeln? Eine wichtige Funktion von Printmedien ist es ja, Informationen zu bündeln und den Lesern eine Übersicht zu verschaffen. Einen Eindruck zu vermitteln, wie Leser bestimmte Themen sehen und bewerten, bietet durchaus einen Mehrwert.
Über welche Kanäle bekommen Sie das meiste Feedback? Bekommen Sie noch klassische Leserbriefe? Ich bekomme nach wie vor handschriftlich geschriebene Leserbriefe. Aber das schwindet. Das meiste erreicht uns inzwischen online, entweder per Mail über unsere zentrale Mailbox oder in Form von direkten Kommentaren auf unsere Artikel. Die Reaktionen über Twitter und Facebook entwickeln sich ebenfalls sehr gut. Auch zu unserem Morning Briefing bekommen wir viel Feedback.
Gibt es große Unterschiede in der Tonalität, je nachdem über welche Kanäle Sie die Reaktionen erreichen? Gerade online wird ja gerne auch polemisiert.Ja, aber unsere Redakteure achten darauf, dass es hier keine Pöbeleien gibt. Die Kommentare werden entsprechend kuratiert.
Verleitet die Debattenkultur im Netz dazu, einfach mal eine steile These in den Raum zu stellen und auf Reaktionen zu spekulieren? Das ist durchaus so. Nach meiner Erfahrung auch bei Süddeutsche.de sind es oft die Bürgerlichsten, die sich im Netz am unbürgerlichsten verhalten. Die unter einem Alias-Namen richtig spontan und emotional sind und all das machen dürfen, was sie im bürgerlichen Leben nicht dürfen. Das ist vielleicht auch eine Form der Katharsis. Wir haben bei Süddeutsche.de mal einen User eingeladen, der sehr aktiv war und der uns das auch ganz freimütig geschildert hat. Das ist auch ein gewisses Spiel mit der Unbürgerlichkeit im Internet. Wir wollen aber auch in unseren Debatten auf Qualität achten. Bei der Form sind wir allerdings nicht festgelegt. Hier kann ich mir auch neue Formen der Kommunikation vorstellen, beispielsweise mal ein Interview mit einem Leser.
Das "Handelsblatt" setzt seit geraumer Zeit verstärkt auf Meinungsbeiträge. Ist das der Königsweg für Zeitungen?
Die Leser werden überversorgt mit Nachrichten aller Art. Damit geht eine Sehnsucht nach Orientierung, Priorisierung und Wertigkeit einher. Wie habe ich eine Nachricht einzuordnen, wie entwickelt sich das weiter? Ich glaube, hier können wir unseren Lesern Hilfestellung bieten und eine Annäherung an die Zukunft geben. Hier macht sich die Kompetenz unserer Redakteure und Gastkommentatoren bezahlt. Daher ist es wichtig, ganz viel Meinung im Blatt zu haben. Das hilft unseren Lesern, ihr Wissen zu vergrößern.
dh