Das heutige Urteil macht deutlich: Steuerhinterzieher verhalten sich genauso asozial wie andere Kriminelle auch. Wie normale Kriminelle müssen sie mit Verfolgung, Entdeckung und im Extremfall eben Gefängnis rechnen - ohne Elite-Bonus. Und, bei Prominenten wie Hoeneß besonders wichtig: Wie gewöhnliche Kriminelle verdienen sie nach dem Ende ihrer Strafe alle Chancen auf Rückkehr in die Gesellschaft.
Persönlich kann einem Hoeneß leidtun. Sein Kalkül, die schwere Straftat mit Worten zu bedauern, seine Steuerschuld zu begleichen und nach der Verurteilung auf Bewährung weiterzumachen wie bisher, war irrig. Er wird jetzt die beiden Ämter verlieren, die er in jedem Falle behalten wollte. Und irgendeiner aus dem Verein der Claqueure (zum Beispiel im Aufsichtsrat), die bislang zu feige dazu waren, dem Steuerhinterzieher zu sagen, dass er nicht mehr tragbar ist, wird ihm das beibringen müssen - falls es Hoeneß noch immer nicht selbst einsieht. Für Bayern wird damit alles anders. Der größte und wirtschaftlich erfolgreichste Fußballklub der Welt verliert seinen Antreiber, sein Bindeglied, seine Mitte. Es wäre falsch zu glauben, dass das nicht auch sportlich Folgen haben kann. Das käme zu all dem Schaden, den Hoeneß angerichtet hat, dann noch hinzu.
In München ist kein Sonderrecht gesprochen worden. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack: Zu viele Fragen sind nach dem Urteil noch offen. Warum war der vermögende Fußballmanager und Wurstfabrikant auf fremdes Startkapital für seine Schweizer Spekulationsgeschäfte angewiesen? Warum stammte dieses Geld von dem damaligen Adidas-Chef, mit dessen Unternehmen der FC Bayern eng verbunden war? Warum kam Adidas bei der Verlängerung eines Ausrüstervertrags zum Zuge, obwohl ein Konkurrent ein höheres Gebot abgegeben haben soll? Strafrechtliche Vorwürfe, die sich mit solchen Fragen stellen, sind verjährt aber um sich ein Bild von dem Angeklagten zu machen, hätte das Gericht einen Blick darauf werfen müssen.
Die Karriere von Uli Hoeneß war deswegen eine deutsche Heldengeschichte. Wir haben zu ihm aufgeschaut. Wir wollten alle ein bisschen Hoeneß sein. All das hat das Gericht auf der Habenseite in die Strafbemessung einfließen lassen. Die Tragik liegt darin, dass all das nun neben dem Urteil verblasst. Geradezu wie in einer antiken Tragödie hat sich der Held unter größtmöglicher Anteilnahme seiner Fans und Widersacher selbst vernichtet. Hoeneß' gesellschaftliche Anerkennung ist zerstört.
Auch für uns Journalisten ist der Fall Hoeneß ein Lehrstück. Der stern hat darin mit seinen Recherchen eine wichtige Rolle gespielt. Dass die Recherchen die Erstellung der Selbstanzeige beeinflusst haben, ist eine Sache. Eine andere ist es, dass Hoeneß die Redaktion für ihre Veröffentlichung mit allen Mitteln attackiert hat. Das ist okay. Aber es zeigt auch, wie unverzichtbar gut arbeitende, eigene Rechtsabteilungen für Journalisten sind. Auch sie müssen sich verteidigen lassen können, wenn die Großen große Geschütze auffahren.
Das Münchner Gericht hat der Versuchung widerstanden, ihm seine Verdienste gutzuschreiben. Es hat ihn aber auch nicht was mancherorts auf freudige Zustimmung gestoßen wäre seiner Prominenz wegen bluten lassen. Es wurde kein Exempel statuiert, sondern zügig ein Urteil gefällt. Wäre der Angeklagte mit einer Bewährungsstrafe davongekommen, hätte das den alten Volksverdacht genährt, dass man die Kleinen henkt und die Großen laufen lässt.
Das Gericht hat die Mitwirkung von Hoeneß ja durchaus strafmildernd gewertet. Es hat genau deshalb keinen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung angenommen, trotz der gewaltigen Summen. Ohne die versuchte Selbstanzeige hätte Hoeneß eine deutlich höhere Freiheitsstrafe erhalten. Aber natürlich konnte diese Aufklärungshilfe nicht so strafmildernd wirken, dass am Ende eine Bewährungsstrafe herauskommt. Schließlich handelte Hoeneß nicht völlig freiwillig, sondern weil Journalisten hinter ihm her waren. Außerdem ging es um Beträge, für die die meisten von uns ein Leben lang arbeiten.
Es wird jetzt auch spannend sein, zu beobachten, wie lange Hoeneß Freunde noch zu ihm halten. Die neuerliche Offenbarung der Millionenhinterziehung mag für sie ein Schock gewesen sein. Schlimmer allerdings ist der Imageschaden, der jetzt auch Konzernchefs wie Rupert Stadler (Audi), Herbert Hainer (Adidas), Timotheus Höttges (Telekom) oder Martin Winterkorn (VW) trifft. Sie alle sind wichtige Sponsoren des FC Bayern München und sitzen dort auch im Aufsichtsrat. Gut möglich, dass der eine oder andere von ihnen sich jetzt überlegt, wie er sein Verhältnis zu einem verurteilten Steuersünder neu ordnen wird. Und da hat Uli Hoeneß vielleicht dann doch etwas mit Christian Wulff gemein: Der weiß, wie es ist, wenn sich die Freunde abwenden.
Der Richter musste eine klare Botschaft senden, um die Steuer-Moral in Deutschland zu stärken: Wer 27,2 Millionen Euro Steuern hinterzieht und eine hektisch-schlampige Selbstanzeige erstellt, kann sich nicht freikaufen und mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Auch wenn er noch so aufrichtig bereut, was er getan hat. Natürlich wird Hoeneß jetzt von allen Bayern-Ämtern zurücktreten (Franz Beckenbauer dürfte erste Wahl als neuer Aufsichtsratsvorsitzender sein).
Nicht nur seine Karriere als weltweit erfolgreichster Fußballmanager ist gestern zu Ende gegangen, vorbei ist es auch mit seiner Rolle als öffentlicher Mahner, als vermeintliches Leit- und Vorbild. Ersteres mag man bedauern, Hoeneß Verschwinden aus der Öffentlichkeit hingegen ist kein Verlust. Der Moralist und der Doppelmoralist sind wenn auch feindliche Brüder. Das sollten diejenigen bedenken, die jetzt Ulrich Hoeneß im Namen der Moral zum Teufel wünschen. Es genügt vollkommen, dass er ins Gefängnis muss.
Was bleibt? Die Macher von Talkshows werden sich wieder nach anderen Themen umsehen müssen. Uli Hoeneß wird seine Wunden lecken, langsam wird wieder Ruhe einkehren. Klar ist: Bei Hoeneß sitzt die Schmach nun tief. Bei aller lederhosengestärkten Demonstration von Macht und Arroganz, die ihm seine vielen Feinde stets vorwarfen, ist die Haftstrafe nun ein Punkt, der den Mann ins Innere trifft. Hoeneß büßt nun sollte der BGH ihm das nicht noch ersparen - für den Schlamassel, den er selbst angerichtet hat.