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Im Berliner Verlag gilt Kontaktverbot zu den neuen Chefs

Das Gebäude des Berliner Verlags am Berliner Alexanderplatz
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Das Gebäude des Berliner Verlags am Berliner Alexanderplatz
Michael Heun soll unter Jochen Arntz den künftigen Newsroom leiten. Vorerst gilt jedoch: „Bitte kein kleiner Dienstweg“. Alte und neue Welt sind strikt voneinander getrennt. Unter welchen Bedingungen derzeit täglich „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ entstehen.
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Der Weg zur Redaktion der „Berliner Zeitung“ am alten Standort Alexanderplatz führt durch Geisterflure. Bald wird der Standort geschlossen. Die Kantine in der achten Etage gibt es bereits nicht mehr. Sie hat ihren Betrieb zum Jahresende eingestellt. Im zwölften Stock, wo ein Pfeil links zur DuMont Hauptstadtredaktion weist und rechts zum Feuilleton führt, sind die Bürotüren ausnahmslos verschlossen.


Etliche Zimmer sind verwaist. Auf den Türschildern stehen zum Teil noch die Namen ehemaliger Redakteure, die schon seit Jahren nicht mehr hier arbeiten. Im November zog als Vorhut die komplette DuMont Hauptstadtredaktion wie auch die Online-Kollegen der Berlin24 Digital GmbH an den neuen Standort in der Alten Jakobstraße. Im Hochhaus am Alex sind ungezwungene Gespräche trotz der Leere dennoch kaum möglich. Jeder achtet darauf, wer was mithören könnte. Bei einer Zeitung, die eine Vergangenheit als SED-Bezirksblatt hinter sich hat, wirkt das umso befremdlicher.

Im Neubau in der Alten Jakobstraße will die Kölner DuMont Mediengruppe am Standort Berlin den Neustart wagen. So stellt sie es jedenfalls dar. Im fünften Stock befindet sich der Newsroom. Von März an, so sieht es der Zeitplan vor, werden hier „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ produziert, digital wie gedruckt, aus einer Hand, wie auch immer das gehen soll. Die meisten Arbeitsplätze sind unbesetzt. Bisher arbeiten hier nur ein paar Dutzend Redakteure und die Chefs: zuoberst Jochen Arntz, als weitere Mitglieder der Chefredaktion Thilo Knott und Elmar Jehn. Neu hinzukommen soll nach Informationen von HORIZONT Michael Heun, 49, einst bei der „Berliner Morgenpost“, dann beim „Berliner Kurier“, zwischendurch immer mal wieder bei Bauers Fernsehzeitschriften, zuletzt war er Chefredakteur der „Hildesheimer Allgemeinen Zeitung“. Zu der Personalie äußern will sich DuMont nicht.

Auf jedem der Tische, von denen sich jeweils zwei in Dreierreihen gegenüberstehen, ist Platz für zwei Bildschirme, Tastatur und Laptop, für viel mehr aber nicht. Drei, maximal vier Umzugskartons durfte jeder mitnehmen. Der Raum strahle Kälte aus, erzählt ein Kollege. Er fühle sich wie in einem Callcenter, „allerdings ohne Call“. Telefonieren ist vorerst nur über Skype möglich, mit Knopf im Ohr. Die meisten nutzen lieber ihr Handy. Sie müssen allerdings aufpassen, nicht bei Absprachen mit den Kollegen im Hochhaus am Alex erwischt zu werden.

„Aus den bekannten Gründen“, die in einer Mail an die Redaktion nicht näher erläutert sind, sei „direkte Kommunikation nicht mehr möglich“. Die Redakteure am Alex sind angewiesen, auch bei Fragen, Fehlermeldungen in online erschienenen Artikeln, Korrekturwünschen oder Vorschlägen zu den Kollegen in der Alten Jakobstraße keinen Kontakt zu suchen: „Grundsätzlich darf die Kommunikation nur noch über Arno Schupp und Tobias Miller erfolgen“, heißt es bei der „Berliner Zeitung“, deren Redaktionsleiter Schupp und Miller sind. Beim „Berliner Kurier“ gibt es ähnliche Anweisungen. Weiter heißt es in der Mail: „Wir werden im Laufe des Tages mehrfach mit den Onlinern Kontakt haben, um zu erfahren, was sie von uns wollen/brauchen und um ihnen mitzuteilen, was wir anbieten“. Es gilt: „Bitte kein kleiner Dienstweg.“

Mit den „bekannten Gründen“ ist der Betriebsübergang gemeint. Diesen Verdacht will die DuMont Mediengruppe unter allen Umständen vermeiden. Nur so entgeht sie der gesetzlichen Pflicht, die alte Belegschaft zu übernehmen. Also tun alle so, als habe die Berliner Newsroom GmbH nichts, aber auch gar nichts mit den bisherigen Redaktionen von „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ zu tun. Ein DuMont-Sprecher nennt sie „die alte Welt“. Die neue Welt entstehe im Newsroom in der Alten Jakobstraße. Arbeitsweise, Zuschnitt, Funktionen und Rollen seien dort gänzlich andere. Für Details bittet er um Geduld.

Fest steht, dass die Redaktion vor dem Hintergrund anhaltender Verluste am neuen Standort mit 50 Stellen weniger auskommen soll. So hat es der Kölner Verlag Ende Oktober vorigen Jahres angekündigt. Vorgesehen sind künftig also 140 Stellen, von denen 30 auf die bereits umgezogenen DuMont Hauptstadtredaktion und die Berlin24 Digital entfallen. Die restlichen 110 Stellen besetzt DuMont nur teilweise mit den bisher beim „Berliner Kurier“ oder bei der „Berliner Zeitung“ Beschäftigten.

Zwar konnten sie sich auf die ausgeschriebenen Stellen bewerben, was längst nicht jeder tat. Bessere Chancen durften sie sich aber nicht davon erhoffen, dass sie auf zum Teil 20 Jahre und mehr Betriebszugehörigkeit und Berufserfahrung zurückblicken. 450 Bewerbungen von außen, darunter etliche Absolventen von Journalistenschulen, soll es geben. Der Verlag will das als Zeichen für die attraktiven Arbeitsbedingungen verstanden wissen. Genauso gut lässt sich die hohe Zahl mit dem desolaten Arbeitsmarkt für Journalisten erklären.

Mag das eine die alte Welt, das andere die neue Welt sein, in der realen gilt es täglich eine Zeitung zu produzieren. Das fällt zunehmend schwer. Nicht nur wegen des Kontaktverbots zu den Chefs und wegen des Krankenstands. „Einige Kollegen haben bereits einen neuen Arbeitsvertrag zugeschickt bekommen, andere hoffen inständig, dass sie ein solcher Brief demnächst erreicht. Etliche aber haben ihre Hoffnung schon aufgegeben. Gewissheit haben diese Kollegen allerdings nicht“, schrieb der Redaktionsausschuss vor ein paar Tagen an die Adresse der Newsroom-Chefredaktion und erhielt die Antwort, man möge sich weiter gedulden. Das tut die Redaktion seit November. Bis einen Tag vor Weihnachten wurden sie zu Einzelgesprächen gebeten. Doch nur ein Teil erhielt zwischen den Jahren neue Verträge. Manche, die bisher Vollzeit gearbeitet haben, auch nur für halbe Stellen. Mit den Verträgen wurden sie zu Stillschweigen verpflichtet. Seither wird die Arbeitsatmosphäre immer unerträglicher.

Die einen sitzen hinter verschlossener Tür und halten sich an die Verschwiegenheitspflicht, die anderen haben Verträge unterschrieben und meiden vor lauter schlechtem Gewissen jede Begegnung mit denen, die weiterhin im Unklaren sind. Wieder andere lehnen ab, weiterhin für den Verlag zu arbeiten oder hadern mit sich, ob sie die angebotenen Bedingungen akzeptieren sollen.  Doch selbst diejenigen, die entschieden haben, den neuen Weg von DuMont mitzugehen, fragen sich, wohin er führen wird. Obwohl das Lokale gestärkt werden soll, hat im Lokalressort etwa der „Berliner Zeitung“ bisher nicht einmal die Hälfte der Mitarbeiter einen neuen Vertrag. Andere, darunter solche, die seit Jahren aus den Berliner Bezirken und über die Landespolitik berichten, gingen bisher leer aus. Wegen der steigenden Frustration soll das Lokalressort nun bereits am ersten Februar-Wochenende in den neuen Newsroom ziehen. Vorerst wurde Urlaubssperre verhängt.

Ein anderes Beispiel ist das Feuilleton. In wenigen Tagen beginnt die Berlinale. Schon unter normalen Umständen ist in dieser Zeit die Belastung hoch. Jedes Jahr müssen sich Feuilletonjournalisten aller Hauptstadtzeitungen von den Kollegen anderer Ressorts Witze anhören, weil sich bei ihnen schon nach wenigen Tagen dunkle Ringe um die Augen bilden und es in ihren Büros anfängt zu müffeln. Die Berlinale ist die Zeit der vielen Termine bis in die Nacht hinein, daneben gilt es täglich Sonderseiten zu stemmen. Die Leipziger Buchmesse steht ebenfalls an. Und das alles mit einem Ressortchef, der wohl bald keiner mehr ist. Dem Vernehmen nach wird den Posten im dann integrierten Newsroom Harry Nutt bekommen, bisher Meinungschef der „Berliner Zeitung“.

Derweil sind aus der Alten Jakobstraße die ersten in ihr altes Büro im Hochhaus am Alex zurückgekehrt. Von dem, was sie über die Bedingungen im neuen Newsroom berichten, fühlen sich jene bestärkt, die darum gebeten haben, künftig von zu Hause aus arbeiten zu dürfen. Die Rückkehrer nutzen die Zeit, bis der Letzte im Hochhaus am Alexanderplatz das Licht ausmacht. Solange haben sie wenigstens ein Telefon und ein eigenes Büro, wenn auch ohne Zugang zum Redaktionssystem der Newsroom-Kollegen – auch das wohl „aus den bekannten Gründen“.

In Köln, wo mit digitalem Zeitungsgeschäft nur drei Prozent des Umsatzes erwirtschaftet wird, heißt es, die alte Welt sei eben vorbei. Der Betrieb am Alex wird geschlossen. In dieser Woche werden die Verhandlungen über einen Sozialplan fortgesetzt. Den Neujahrsempfang hält DuMont bei seiner anderen Tochterunternehmung, der „Mitteldeutschen Zeitung“ in Halle ab. Auch beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Express“ in Köln werden in Kürze gravierende Einschnitte erwartet. usi

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