Deutscher Medienkongress 2017

Warum hassen Sie Targeting, Herr Modenbach?

Diskutiert auf dem DMK 2017: Guido Modenbach
Seven One Media
Diskutiert auf dem DMK 2017: Guido Modenbach
Guido Modenbach, Geschäftsführer Market Intelligence bei Seven-One Media, schießt gern gegen Targeting. Sein Credo: Man muss nicht ganz genau wissen, an wen man seine Werbebotschaften richtet. Viel wichtiger sind große Reichweiten, um neue Käufer zu gewinnen. Ob die Online-Fraktion das auch so sieht, wird sich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Reichweite vs. Zielgruppe" beim Deutschen Medienkongress 2017 zeigen. HORIZONT ONLINE hat schon mal nachgefragt, wie er zu seinen Thesen kommt.
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Herr Modenbach, was haben Sie gegen Zielgruppenplanung und Targeting? Ich habe nicht prinzipiell etwas dagegen, es wird nur maßlos übertrieben. Zahlreiche Studien aus der Konsumforschung, etwa von der GfK, zeigen, dass erfolgreiche Marken wachsen, indem sie neue Käufer gewinnen – und nicht, weil bestehende Käufer plötzlich mehr kaufen. Daher sollte man versuchen, mit Werbung alle potenziellen Käufer zu erreichen. Heißt: Hohe Reichweiten sind unverzichtbar. Übertrieben enge Zielgruppendefinitionen schränken das Potenzial nur unnötig ein. Neue Käufer werden insbesondere auch außerhalb engerer Zielgruppendefinitionen hinzugewonnen.


DMK 2017
Der Deutsche Medienkongress 2017 findet am 17. und 18. Januar 2017 in der Alten Oper Frankfurt statt. Top-Manager aus Unternehmen, Agenturen und Medien werden dort die wichtigsten Zukunftstrends der Branche diskutieren. Einer der Höhepunkte der Veranstaltung ist die Verleihung des HORIZONT Award an die Männer und Frauen des Jahres 2016. Alle Informationen gibt es auf der Website des Deutschen Medienkongresses..

Der Normalpreis für die Teilnahme beträgt 1299 Euro. Wer sich frühzeitig für eine Anmeldung entscheidet, profitiert von einem reduzierten Preis von 999 Euro (bis 31. Dezember). HORIZONT-Abonnenten erhalten zusätzlich einen Rabatt von 100 Euro auf die Kongressgebühr. Darüber hinaus gibt es bei einer Anmeldung ab dem dritten Teilnehmer eines Unternehmens 50 Prozent Rabatt. Die Anmeldung berechtigt gleichzeitig zum kostenfreien Besuch des HORIZONT Award. Veranstalter des Deutschen Medienkongresses 2017 sind HORIZONT und dfv Conference Group.

Aber warum sollte man nicht das gesamte Käuferpotenzial genauer beschreiben? Bitte beachten: Ich plädiere ja gerade dafür das gesamte Käuferpotenzial zu adressieren. Das Missverständnis liegt in der Annahme, dass man das gesamte Käuferpotenzial präzise mit Targeting-Methoden fassen kann. Unbestritten ist sicher, dass Werbung dann besonders gut wirken kann, wenn dem beworbenen Produkt für den Konsumenten eine Relevanz zukommt oder dieser gar in einem konkreten Bedarfsmoment erreicht wird. Das sind jedoch keine statischen Eigenschaften, die ein Konsument hat oder nicht – das kann sich bei ein und derselben Person von Tag zu Tag ändern. Mit dem Schwarz-Weiß-Denken des Targeting – XY gehört zur Zielgruppe oder nicht – kommt man hier nicht weiter. Es gilt viel mehr, bei einer möglichst großen Zahl von Menschen im Kopf für die Marke relevante Assoziationen festzusetzen, die dann wirksam werden können, wenn eine Kaufentscheidung ansteht.

Aber ist nicht sinnvoll, in erster Linie die „heavy buyer“ anzusprechen, weil bei ihnen die Kaufwahrscheinlichkeit am höchsten ist? Nein. Weil die vielzitierte Faustregel, nach denen 20 Prozent der Käufer für 80 Prozent des Umsatzes stehen, in den allermeisten Branchen falsch ist. Meist stehen die 20 Prozent der umsatzstärksten Käufer nur für 50 bis 60 Prozent der Umsätze. Das heißt jedoch, dass relevante Umsatzanteile von den verbleibenden 80 Prozent der Käufer erbracht werden. Demnach sind viele Käufer einer Marke sogenannte „light buyer“. Sie sind nicht besonders loyal, beschäftigen sich häufig auch nicht näher mit der Marke. Wenn diese Basis an eher flüchtigen Käufern jedoch gemindert wird, verliert die Marke Umsätze und umgekehrt, wächst eine Marke mit dem Zugewinn solcher „light buyers“. Der Marktführer hat also immer auch die meisten Käufer. Übertriebenes Targeting führt also tendenziell in die falsche Richtung.

Das mag im FMCG-Bereich so sein. Aber gilt es wirklich für alle Branchen, etwa für Banken? Für die meisten. Selbst in der Finanzindustrie gibt es Cases, die das eindeutig beweisen.

Es gibt viele Manager aus dem Online-Bereich, deren Vision genau in die entgegengesetzte Richtung läuft: nur noch One-to-One-Beziehungen, den Kunden dadurch immer besser kennenlernen, ihn entlang der gesamten Customer Journey begleiten und immer die richtige Werbebotschaft zur richtigen Zeit ausspielen. Was ist daran falsch? Die Customer Journey lässt sich – wenn überhaupt – nur im digitalen Bereich einigermaßen nachverfolgen. Das wahre Leben ist aber analog. Und die Lücken, die das physische Leben in der Customer Journey hinterlässt, werden nie zu schließen sein, das  ist ein aussichtsloses Unterfangen. Bei Targeting kommt hinzu, dass es erst spät im Kaufprozess greifen kann. Wenn der Nutzer ein Stichwort bei Google eingegeben hat, dann kann es klappen, ihn bis zum Kauf im Netz zu begleiten. Aber um möglichst viele Leute zu motivieren, überhaupt nach etwas zu suchen, braucht man Reichweite, also TV. Schauen Sie sich doch die E-Commerce-Unternehmen an, oder Apple: Man möchte vermuten, dass sie ihre Zielgruppen gut kennen und Targeting beherrschen. Trotzdem schalten sie mit wachsender Begeisterung TV-Werbung – das sagt doch alles.

Breitseiten gegen Targeting und Online überraschen allerdings nicht, wenn sie aus dem Mund eines TV-Vermarkters kommen. Natürlich ist es angenehm, auf der richtigen Seite zu stehen und nicht gegen die eigenen, wissenschaftlich untermauerten Erkenntnisse argumentieren zu müssen. Aber es geht mir nicht um Online-Bashing. Auch innerhalb der TV-Welt übertreibt man es teilweise mit allzu spitzen Zielgruppendefinitionen. Damit schneidet man freiwillig viel Potenzial ab. Der verteufelte „Streuverlust“ wirkt sich bei manchen TV-Kampagnen sehr positiv aus, da es letztlich bedeutet, dass trotz einer ungeeigneten Zielgruppen-Definition viele potentielle Käufer erreicht werden. Die Bedeutung von Reichweite für erfolgreiches Marketing ist ungebrochen.

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