Der neue "Spiegel" im HORIZONT-Check

Leitartikel, Luftigkeit - und keine Satire

Jetzt mit mehr Themen auf dem Cover: Der neue "Spiegel"
Jetzt mit mehr Themen auf dem Cover: Der neue "Spiegel"
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Seit über 17 Jahren wurde das Layout des "Spiegel" nicht mehr verändert, seit fünf Monaten schreiben sich Medienjournalisten die Finger wund über das, was da kommt - und seit diesem Wochenende liegt das neue Heft nun endlich vor. Bei dieser Vorgeschichte quasi ein Großereignis der Branche. Doch sind die Veränderungen im Heft auch wirklich groß? Und sind es Verbesserungen? HORIZONT.NET liest des "Spiegels" neue Seiten.

Vorher aber noch mal ganz kurz, während des Warmlaufens zum Sonntagskiosk, die Chronologie der Ereignisse: Anfang Dezember 2013 hatte "Spiegel"-Chefredakteur Wolfgang Büchner seiner Redaktion erklärt, was er im Heft (und auch sonst so) verändern möchte - HORIZONT.NET hatte zwei, drei Stunden später darüber berichtet. Knapp zwei Monate später, im Januar, hatte Büchner seine Pläne (und noch einiges andere) zuerst im HORIZONT-Interview (Ausgabe 5/2014) erläutert. Geschäftsführer Ove Saffe hatte dies dann später mehrfach bekräftigt, im März im Fachdienst "New Business", im April gleich doppelt in der "Süddeutschen Zeitung" und in "W&V". Und dann hat Büchner in der letzten Woche alles nochmal sehr ausführlich erklärt und auch Probeseiten gezeigt, im "Medium Magazin". So, Kiosk endlich erreicht, das erste "echte" Heft ist da.

Chefredakteur Wolfgang Büchner (Foto: Carsten Milbret)
Chefredakteur Wolfgang Büchner (Foto: Carsten Milbret)
Und sieht schon auf dem Cover verändert aus - aber nicht anders. Der orange Rahmen ist schmaler geworden, der Schriftzug "Der Spiegel" wirkt ein bisschen nach oben gequetscht. Ob das in zwei, drei Wochen noch auffällt? Wohl nicht. Gewöhnungssache. Die im Markt ungewöhnliche und selbstbewusste Haltung, nur ein Thema auf dem Cover zu präsentieren, hat Büchner aufgegeben: Jetzt kündigt er am unteren Heftrand drei weitere Geschichten an, jedoch anders als beim Markttest in Hessen auf weißem statt auf orangem Grund. Stört dieser zusätzliche Themen-Teaser? Nein. Erweckt er große Aufmerksamkeit? Nein, auch nicht.

Also aufgeblättert. Nach dem Inhaltsverzeichnis, das die Themen nun auf einer Seite und Fotos dazu auf der gegenüberliegenden Seite präsentiert - was nicht besser ist, sondern nur anders -, und den Leserbriefen folgt die markanteste Neuerung, und das ist eine inhaltliche: Jede Woche gibt es nun einen namentlich nicht gezeichneten Leitartikel, der als Produkt einer Redaktionsdiskussion die Meinung des "Spiegel" zu einem nach eigener Auffassung zentralen Thema der Woche formuliert. Nun ist das Ergebnis einer kollektiven Meinungsbildung ja oft der kleinste gemeinsame Nenner, mit viel "sowohl als auch". Solche Kommentare sind meist weder mutig noch profilbildend noch lesevergnüglich. Um nicht zu sagen: Sie sind langeilig.

Der Premieren-Leitartikel zur Ukraine-Krise tappt aber nicht in diese Falle. Der "Spiegel" schlägt sich damit zwar nicht auf eine Seite, zeigt aber dennoch klare Haltung: "Frieden geht vor Einheit, und über die Einheit entscheidet die Mehrheit der jeweiligen Region. ... Siegt der Separatismus, hat sich der Westen damit abzufinden. Siegt die Einheit, gilt das Gleiche für Russland." Neu sind auch, quasi als Gegenstück zur offiziellen Heftmeinung, regelmäßige Namenskolumnen, die im Politik- und Kulturteil jeweils drei Autoren im Wechsel schreiben.

Den Anfang macht "Spiegel"-Gesellschafter, Spiegel-Online-Kolumnist und "Freitag"-Verleger Jakob Augstein, der, obwohl "im Zweifel links" (so der Kolumnenname), trotzdem manchmal Recht hat, wie jetzt zum NSA-Skandal: "Bundeskanzlerin und Bundespräsident sorgen sich mehr um die Zukunft der Ukraine und die Meinungsfreiheit in der Türkei als um die Integrität deutscher Regierungsorgane und die Bürgerrechte der Deutschen." Fazit: Zwar gab es schon bisher sporadisch Kommentare im Heft. Doch durch den gewichtig auftretenden Leitartikel plus im Bestfall polarisierende Meinungskolumnen von Autoren ("Spiegels" Quoten-Konservativer Jan Fleischhauer ist auch dabei), die Marke sind oder zu einer aufgebaut werden, kann der "Spiegel" an Reibungsfläche und damit Profil gewinnen. Beziehungsweise verlorene Deutungshoheit zurückgewinnen.

Polarisieren sollte auch die neue Satireseite, doch sie fehlt noch im Premierenheft. Wann sie kommt - unklar. Vielleicht hat sich der frühere "Titanic"-Chefredakteur Martin Sonneborn, der die Satireseite verantwortet, ja im "Postillon" festgelesen; das kann die eigene Ideenfindung natürlich blockieren. Ebenso fehlt das "Netzwelt"-Ressort, über das Büchner bekanntlich seit Monaten nachdenkt. Solange die Redaktion zu wenig, zu "ethnologisch" und zu kulturpessimistisch über die (anstatt aus der) digitale(n) Welt berichte, solange wolle er ein eigenes Ressort dafür. Jetzt fehlt es. Weil die bestehenden Ressorts nun in seinem Sinne umsteuern? Oder kommen sie noch, die "Netzwelt"-Seiten? Man berät weiter, heißt es.

Ach ja, das Layout. Im gesamten Heft sind die bisherige Grundfarbe Dunkelrot und mit ihr alle Balken und Fonts verschwunden. Stattdessen ziert jetzt das Cover-Orange dezent die Ressortköpfe, die Spitzmarken über den Meldungen und vor den Textvorspännen (statt der früheren Dachzeilen). Dadurch wirkt alles etwas leichter und milder, am oberen Rand unterstützt von mehr Weißraum, den der leicht vergrößerte Satzspiegel nun hergibt. Die Überschriften kommen linksbündig (statt zentriert), etwas kleiner und breiter daher. Auf den Ressort-Aufschlagsseiten sind die zusätzlichen Rubrizierungen (etwa "Panorama") weggefallen. Außerdem stehen dort unter den Meldungen nun Autorenkürzel, was man vielleicht als Anreizinstrument lesen darf, auch für dort möglichst viel guten Stoff zu liefern - oder als Trostpflaster, wenn eine größere Geschichte zur kleinen Meldung heruntergedampft wurde.

Die angekündigte Reduzierung wenig aussagekräftiger Belegbilder ist im ersten Heft selten erkennbar, dafür aber ein Mehr an - sinnvollen - 3-D-Schaubildern (etwa im Stück über den Berliner Flughafen) und Infografiken, vor allem im Wirtschaftsteil. An anderen Stellen jedoch fällt ein eher liebloser Umgang mit Fotos auf, etwa beim Reisebericht des Historikers Karl Schlögel (der einen langen Riemen schreibt und dann auch noch interviewt wird, insgesamt fünf Seiten) durch die Ukraine: Fünf Fotos sind über den Text geklatscht, schlicht nummeriert und am Rand durch Stichworte wie im Fotoalbum von Tante Erna beschriftet ("Stadtansicht von Donezk"). Manchmal fehlen der Mut, sich für weniger Fotos zu entscheiden und die Lust, auch Bildunterschriften als Textebene mit zusätzlichen Aussagechancen zu bespielen.

Zurück zu den Ausgangsfragen: Sind die Veränderungen im Heft wirklich groß?
Nein.
Artdirector Uwe C. Beyer, seit 2012 wieder beim "Spiegel", nachdem er schon 1997 die damaligen Neuerungen (Vierfarbdruck, neue Schriften) umgesetzt hatte, hat jetzt nur nachjustiert, modernisiert, die Seiten ein bisschen aufgehellt. Das Heimatgefühl langjähriger "Spiegel"-Leser bleibt erhalten, eine Flut von Texthäppchen und Grafiken zulasten längerer, ruhiger Lesestücke ist zum Glück ausgeblieben.
Und sind es Verbesserungen?
Ja - solange die neue Milde, Blässe und Luftigkeit des Layouts nicht in die Themen, Texte und Thesen hineinwehen. Denn eine spitze Geschichte ist eine spitze Geschichte, egal ob mit roter oder oranger Spitzmarke. rp



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