Um was geht es? Es geht darum, großen (bisher nur US-) Plattformen wie Google/Youtube, Facebook und Amazon im datenbasierten Werbegeschäft qua Masse besser Paroli bieten zu können. Zudem will man gemeinsam effiziente Lösungen für die ab Mai 2018 geltenden Datenschutzvorschriften entwickeln. Diese schreiben unter anderem strenge Opt-in-Verfahren vor. Würde jedoch jede einzelne Website, die Targeting-basiert Werbung vermarktet, jeden User aufs Neue informieren, ihn um seine Zustimmung für die Datennutzung, um Registrierung und Passwort bitten, wäre das für alle wenig praktikabel. Und ein weiterer Wettbewerbsnachteil gegenüber den US-Riesen mit ihren geschlossenen Ökosystemen und Log-in-Modellen, die wohl schon jetzt EU-datenschutzkonform wären. Websites, die schon bisher Log-ins verlangen, behelfen sich oft mit Anmeldungen über die Facebook-Profile der User - doch dann landen eben viele Daten bei Facebook.
Deshalb der Schulterschluss, den die Initiatoren als Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Internetwirtschaft verstehen. Dafür gründen
Pro Sieben Sat 1, die Mediengruppe
RTL Deutschland und
United Internet eine Stiftung, die einen übergreifenden Standard für Registrierungsverfahren im Internet entwickeln und etablieren soll. Und zwar nach neuem EU-Datenschutzrecht – wenn die dafür maßgebliche E-Privacy-Verordnung denn dann irgendwann mal konkretisiert und verabschiedet ist (bisher liegt erst ein
umstrittener Entwurf vor).
Die drei Stiftungsgründer betonen, offen für weitere Partner zu sein und sprechen sogar ausdrückliche
Einladungen aus – nicht nur an weitere Vermarkter und E-Commerce-Unternehmen, sondern auch an „andere Initiativen“. Dies darf als Gruß an den
geplanten Datenverbund von
Axel Springer, Allianz, Daimler und Deutsche Bank mit Postbank verstanden werden, die ab 2018 branchenübergreifend Ähnliches vorhaben, allerdings wohl eher mit den Schwerpunkten Zahlungsverkehr und digitale Behördengänge. Doch wenn Springer mitmischt, dürfte es auch hier im Hinterkopf um
Werbevermarktung gehen. Eine Kooperation beider Allianzen, vielleicht mit Springer als verbindendes Doppelmitglied - so etwas scheinen sich die Neu-Koalitionäre vorstellen zu können.
Die betonte
Offenheit von Pro Sieben Sat 1, RTL-Gruppe und United Internet hat zwei Gründe: Zum einen wird eine solche Lösung umso attraktiver (und erst dadurch zum Standard), je mehr Partner mitmachen – attraktiver für die Partner selber und für die Nutzer, die dann mehr Internetdienste mit ein und derselben Passwort-Registrierung nutzen können. Und auch die Datenmenge, auf die die beteiligten Unternehmen fürs
Targeting zugreifen können, wächst. Der zweite Grund dürfte das Signal an die
Kartellbehörden sein, dass sich hier eben nicht große Anbieter zusammentun, um sich abzuschotten und den Wettbewerb zu behindern. Immerhin geht es darum, Standards für Mediensite-Registrierung und -Datenverarbeitung zu schaffen. Einige Autohersteller haben auf ihren Sachgebieten da ja
gerade ein Thema.
Und groß sind die Initiatoren, zumindest auf nationaler Bühne und jenseits von Google und Facebook: United Internet Media (1&1,
GMX, Web.de) ist der nach Reichweite (37 Millionen Unique User) zweitgrößte deutsche Digitalvermarkter und bringt seine millionenfachen E-Mail-Kontakte und -Infrastruktur zur Kommunikation mit den Nutzern ein. Hinzu kommt das mächtige deutsche
TV-Duopol. Eine Kombination, die davon ausgehen lässt, dass man bei den Kartellbehörden vorgefühlt hat – auch wenn diese keine Vorab-Blankoschecks ausstellen.
Offen ist, ob weitere Mitstreiter sich ebenfalls an der
Stiftung beteiligen sollen oder wollen, also Geld investieren und Vertreter in deren Gremien entsenden. Die Stiftung soll die Einhaltung und Weiterentwicklung des künftigen Standards fürs Procedere, Verwaltung und Dokumentation der Zustimmung von Usern zur Verarbeitung ihrer Daten überwachen und zertifizieren. Über ein einheitlich gestaltetes
„Privacy Center“ sollen die Nutzer ihre Daten zentral verwalten, das Passwort ändern und Einwilligungen erteilen oder widerrufen können.
Der Modeversender
Zalando hat sich – immerhin – für das weniger enge Commitment entschieden: Für die Implementierung und Anwendung der künftigen Log-in-Lösung. Für das neue Bündnis ist die Einbindung eines großen E-Commerce-Unternehmens mit seinen Käuferdaten ein entscheidender
Punktgewinn gleich am Anfang, auch wenn es zwischen Zalando und dem P7S1-Vermarkter Seven-One Media ohnehin bereits
einen bilateralen Deal gibt. Jetzt wird es spannend sein zu sehen, für welches der beiden geplanten Großbündnisse sich der Großversender
Otto entscheidet – oder ob ihm die
Kooperation mit Ströer Digital ausreicht. Auch die
Deutsche Telekom dürfte ein Schlüsselpartner für beide Großbündnisse sein.
Und die übrigen
Medienvermarkter? Man darf davon ausgehen, dass in den kommenden Wochen – spätestens zur Digitalmesse Dmexco im September – weitere hinzukommen, ob nun als Co-Stiftungsmitglieder oder lediglich als Nutzungspartner. Nach Informationen von HORIZONT Online wurden und werden hier intensive Gespräche geführt.
Keine riesige Überraschung wäre es, wenn etwa RTLs Bertelsmann-Konzernschwester
Gruner + Jahr dazu stieße, oder auch
IQ Digital (etwa SZ.de, FAZ.de, Zeit Online, Handelsblatt Online). Burdas Digitalvermarkter
Forward Ad Group hat schon
öffentlich Interesse signalisiert. Warum sind sie alle nicht von Anfang an dabei? Weil Grundsätzliches und Sensibles zu klären ist, da sollte man erstmal in überschaubarer Runde anfangen – immerhin legen hier Wettbewerber mit ihren Daten Teile ihrer Geschäftsgeheimnisse auf einen Tisch. Daher dürfte solch ein sukzessives Vorgehen auch mit Blick auf Kartellargwohn sinnvoller sein. Und vielleicht glaubt der eine oder andere
Verlags-Digitalvermarkter auch noch, er kommt bei der E-Privacy-Verordnung trotz Tracking-basierter Werbevermarktung um ein Log-in-Modell herum.
Während die Initiatoren die Bedeutung ihres Bündnisses für einen EU-datenschutzkonformen
Log-in-Standard im Kampf gegen die US-Riesen betonen, geht es ihnen natürlich auch um die Aggregation und Auswertung noch größerer Datensätze für die eigene noch umfassendere Zielgruppen-Aussteuerung digitaler Werbung, für
Tracking und Targeting. Allerdings dürften die Partner hier kaum planen, ihre Datenpools zusammenzulegen – so viel Business wollen (und dürften sie kartellrechtlich) dann doch nicht vergesellschaften. Aber um Datentransfer, -tausch und -vergleiche für neue Vermarktungsprodukte, darum geht es dann wohl schon.
rp