"Kinder lieben Zetschriften": Burda-Vorstand Philipp Welte
So radikal wie Burda-Vorstand Philipp Welte hat das noch kein führender Verlagsmanager gesagt: Print hat im Kampf um die Werbebudgets zunehmend schlechte Karten - daher sei es Zeit für eine "Unabhängigkeitserklärung" vom Werbegeschäft. Die Werbeerlöse der Zeitschriften werden in diesem, spätestens aber im nächsten Jahr unter die 1-Milliarde-Euro-Grenze fallen - und auch danach werde man "nicht irgendwann wieder wachsen". Welte ist zwar überzeugt von der Werbewirkung von Print, jedoch: "Das Glaubensbekenntnis im Werbegeschäft ist heute ein anderes. Es geht eben nicht mehr um Qualität, sondern um Quantität. Es geht nicht mehr um Marke, sondern um Abverkauf."
Auch das digitale Werbegeschäft verspricht keine Erlösung - das gehört den US-Internetgiganten. In den USA landeten inzwischen 85 Prozent der Online-Werbeumsätze bei Google und Facebook. Welte: "Ist digitale Werbung unsere Überlebensstrategie? Ganz sicher nicht. Auf dem digitalen Werbemarkt werden wir alle keinen wirklich großen Blumenstrauß gewinnen können."
HORIZONT Online fasst die wichtigsten Punkte aus dem Interview mit Philipp Welte zusammen, das in der aktuellen Printausgabe von Horizont erschienen ist. Außerdem sprachen wir mit dem Burda-Manager über die aktuelle Entwicklung beim Nachrichtenmagazin "Focus".
1. Weltes Unabhängigkeitserklärung
Sind die Entwicklungen im Werbemarkt für die Verlage eine Katastrophe? Nein, sie sind nur die logische Folge einer fundamentalen Transformation. Und mit der muss man eben zurechtkommen. Laut Welte klappt das bei Burda ganz gut - im deutschen Magazingeschäft erwartet er bei Umsatz und Gewinn 2016 ein moderates Plus. Für Welte stellt sich die Situation folgendermaßen dar: "Unsere Industrie durchläuft einen Normalisierungsprozess, der bei weitem noch nicht abgeschlossen ist und an dessen Ende die Erkenntnis steht, dass wir eben nicht in erster Linie Werbeträger herstellen, sondern Markenartikel, Konsumgüter für Menschen. Und die Menschen lieben diese Produkte! Deswegen bin ich auch leidenschaftlich optimistisch für unsere gesamte Industrie."
2. Die Unternehmen gefährden die Kraft ihrer Marken
Wie gesagt: Welte ist durchaus überzeugt, dass Werbung in Print besonders gut funktioniert, dafür sprechen auch die Ergebnisse aus der aktuellen Werbewirkungsforschung. Allein: "Genosse Trend" ist anderweitig unterwegs. Besonders schlau sei das aber nicht. Welte: "Seit 2009 trimmen viele Unternehmen ihr Marketing massiv auf Abverkaufswerbung - und erkennen jetzt langsam, wie sehr ihre Marken darunter leiden. Viele Marken sind regelrecht entwertet worden. Irgendwann weiß der Kunde nicht mehr, warum er ein bestimmtes Produkt kaufen soll."
3. Edeka ist für Print wichtiger als Programmatic und Co
Bei Burda trägt das Werbegeschäft nur noch 25 Prozent zum Umsatz im nationalen Zeitschriftengeschäft bei - und 60 Prozent der klassische Vertrieb. Und dieser Bereich ist laut Welte stabil: "Laut IVW ist der Einzelverkauf aller Burda-Zeitschriften im 1. Quartal im Vergleich zum Vorjahr gerade mal um 1 Prozent gesunken! 1 Prozent! Da vom Niedergang unserer Industrie zu sprechen oder fatalistische Untergangsszenarien zu entwerfen, wäre doch einfach lächerlich. Wir haben unglaublich loyale Konsumenten - und deswegen auch eine kerngesunde Zukunft."
Und weil der Vertrieb so wichtig ist, "entscheidet sich sich unsere Zukunft hier sehr viel konkreter als über Programmatic Buying oder irgendwelche Hypes im Werbemarkt", so Welte. Allerdings müsse das Grossosystem in Deutschland gründlich reformiert werden. Hier will Burda in den anstehenden Spannenverhandlungen gemeinsam mit anderen großen Verlagen nun gehörig Druck machen.
4. Welte setzt auf neue Geschäftsfelder
25 Prozent Werbung, 60 Prozent Vertrieb - die restlichen 15 Prozent stammen aus "nicht-traditionellen" Erlösformen. Seit 2014 wird dieser Bereich massiv ausgebaut, bei Burda nennt man das "unsere Unabhängigkeitserklärung von der Volatilität des klassischen Werbegeschäfts".
Jüngstes Beispiel für diese Strategie: Burda beteiligt sich diese Woche an der digitalen Plattform Vicampo, auf der über 1000 Winzer ihre Weine anbieten. Welte: "Unsere Zusammenarbeit mit diesem Marktplatz hat mit einem normalen Media-for-Revenue-Geschäft begonnen, das fantastisch funktioniert. Über 20 Prozent des Umsatzes von Vicampo wurde 2015 über unsere Medien generiert, was auch ein wunderbarer Beleg für die Wirkung von Printmedien ist."
Fazit: "Wenn man erkennt, dass Magazine in erster Linie eben keine Werbeträger sind, sondern Markenartikel, ändert sich der Blick auf unser Geschäft fundamental. Im Grunde ist das die Strategie, die wir seit 2009 und forciert seit 2014 verfolgen."
Bleibt noch die Frage, wie sich die aktuelle Entwicklung bei "Focus" darstellt:
Herr Welte, lassen Sie uns zum Schluss noch über Ihr ewiges Sorgenkind "Focus" sprechen. Klappt mit dem neuen Chefredakteur Robert Schneider endlich die Wende zum Besseren?
Das klappt ganz sicher. Die Herausforderung bei "Focus" ist wie bei jedem Nachrichtenmagazin auf der ganzen Welt, dass der Nutzungskern von Nachrichtenmagazinen durch die Digitalisierung komplett aufgeraucht ist. Die erste wichtige und richtige Antwort auf diese Entwicklung war, mit "Focus" gemeinsam mit dem "Spiegel" in den Wochenendmarkt zu gehen. Was bisher gefehlt hat, war der zweite Schritt, der zwingend dazu gehört: eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie denn ein Produkt für den Medienkonsum am Wochenende aussehen muss. Ich hatte darüber viele Diskussionen auch mit Jörg Quoos, in dessen Ära die Entscheidung für den Samstag gefallen ist.
"Focus"
Robert Schneider löst Ulrich Reitz als Chefredakteur ab
Der Chefsessel des "Focus" bleibt ein heißer Stuhl: Nach nur etwa anderhalb Jahren im Amt muss Ulrich Reitz seinen Posten als Chefredakteur des Magazins schon wieder räumen. Seine Nachfolge tritt "Super Illu"-Chefredakteur Robert Schneider an. ...
Und zusammen mit Robert Schneider haben Sie jetzt endlich die richtige Antwort gefunden?
Ich kenne Robert Schneider schon sehr lange und bin absolut glücklich, ihn vor fünf Jahren für uns gewonnen zu haben. Er steht für eine neue Generation von Journalisten und für die Zukunftsfähigkeit von Print. "Focus" zeigt heute die Protagonisten hinter den Nachrichten, die Entscheider und ihre Motivation. Wir bewegen uns in der Lebenswelt einer jungen, aufstiegsorientierten Zielgruppe. Es geht unverändert investigativ um Politik und Wirtschaft, aber eben auch um Gesundheit, um Sport, um Lifestyle. Das ist immer schon wesentlicher Kern der Marke "Focus", und diesen Kern gilt es jetzt zeitgemäß zu interpretieren. Wir müssen den Geschichten hinter der Nachricht moderner erzählen, um das Lebensgefühl unserer Leser zu treffen. Robert Schneider ist dafür der ideale Mann. Das Heft hat sich schon jetzt positiv verändert. Ich bin absolut überzeugt, dass "Focus" eine großartige Zukunft hat.
Haben Sie konkrete Ziele, was die Auflage betrifft?
Ziel ist, die Auflage stabil zu halten.
"Focus" ist bei weitem nicht mehr die Cash-Cow früherer Jahre. Ist das Magazin überhaupt noch profitabel?
Was denken Sie denn! "Focus" ist für sich allein profitabel, und nimmt man die Produktfamilie dazu, die Burkhard Graßmann um die Marke herum aufgebaut hat, sprechen wir sogar von einem sehr profitablen Geschäft. "Focus" war, ist und bleibt eine unserer wichtigsten Marken.
js