„Bild“-Chef Kai Diekmann

„Medienhäuser müssen raus aus der Komfortzone“

"Bild"-Chef Kai Diekmann
Foto: Jens Neumann / Neumann und Rodtmann
"Bild"-Chef Kai Diekmann
Wer durch die täglichen Krisenmeldungen aus der Verlagswelt in Trübsinn zu verfallen droht, dem seien ein paar Minuten Kai Diekmann empfohlen. Dem „Bild“-Herausgeber fehlen die US-Technologie-Phobie und die Regulierungsreflexe der Verlagslobbyisten, seines eigenen CEOs Mathias Döpfner sowie des „FAZ“-Feuilletons. Aber ihm fehlt eben auch jener blind-naive Glaube vieler Internetjünger, dass sich in der Netzwelt das Geld schon irgendwie von alleine verdiene. Und dass die Frage obsolet sei, Link- und Share-Ökonomie und so. Gegen das alles blitzte Diekmanns renditebewusster Technologie-Pragmatismus jetzt mal wieder auf.
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„Wenn wir nicht anfangen, für unsere Inhalte Geld zu nehmen, dann gibt es kein Geschäftsmodell – und ohne Geschäftsmodell keinen Journalismus“, sagte der „Bild“-Chef am Montagabend auf einer Veranstaltung der Hamburg School of Business Administration. In diesem Kontext lobt er die jüngste saftige Preiserhöhung der „FAZ“. Auch mit niedrigeren (digitalen) Auflagen und deutlich höheren Preisen könnten Qualitätszeitungen überleben.


Auf Social Traffic kann niemand mehr verzichten.
Kai Diekmann
Neben dem Old-school-Argument Paid Content – Bild.de habe 14 Monate nach dem Start nun über 230.000 zahlende Abonnenten gewinnen können – nennt Diekmann weitere Faktoren, die (einem neu definierten) Journalismus zu einem Geschäftsmodell verhelfen können und die sicher auch von der Internet-Avantgarde laut beklatscht werden: Etwa die Aggregation und redaktionelle Pflege von Blogs. „Viele Blogger kennen sich in ihren Spezialthemen besser aus als jeder Redakteur“, sagt Diekmann und verweist auf die Fußball-Blogs bei Bild.de.

Zudem schwärmt er von Algorithmen, die künftig besser dabei helfen sollen, den Lesern weitere interessante Inhalte vorzuschlagen. Und von Technologien, mit denen „Bild“ seine Inhalte auch auf ausgeschaltete Handy-Displays (Lock-Screens) pushen kann. Und von den Traffic-Bringern Google (aktueller Anteil bei Bild.de: 11 Prozent) und Facebook (8 Prozent) – wobei er Facebook vorzieht, weil hier persönliche Empfehlungen von Usern für Klicks sorgen und nicht allein eine Maschine. „Wir nutzen Facebook wie eine zweite Homepage“, sagt Diekmann. Twitter hingegen spiele bisher nur eine nachrangige Rolle.

„Auf Social Traffic kann niemand mehr verzichten“, so der „Bild“-Chef. Damit sei die Reichweite von Bild.de trotz der Bezahlschranken gestiegen. Denn am Ende sollen alle Such- und Social-Media-Aktivitäten ja kein Selbstzweck sein, sondern müssen auf die digitalen Geschäftsmodelle der Medienmarken einzahlen. Und es seien vor allem die rein journalistischen Inhalte, die Klicks in Abo-Registrierungen konvertierten. Als weiteren Faktor eines Geschäftsmodells nennt Diekmann die niedrigeren Herstellungs- und Vertriebskosten, wenn Abonnenten ihre Exemplare eines Tages nur noch digital erhalten möchten.

Viele der Einsichten hat er von seinem Sabbatical im Silicon Valley mitgebracht. Steigende Mobile-Nutzung, die Möglichkeiten der Echtzeit-Datenverarbeitung und des „Internet of Things“ zwingen auch Medienhäuser „raus aus der Komfortzone“. Die Digitalisierung habe vieles verändert, auch ihn selber, sagt der „Bild“-Kopf und wirft Vergleichsfotos (früher Gel-Frisur, heute Rauschebart) an die Wand: „Der Kerl da mit dem glitschigen Haar, das war ich.“




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