Big Data-Beitrag in der FAZ

Der schwierige Kampf gegen den Überwachungskapitalismus

Die Ökonomie der Daten
James Thew/Fotolia
Die Ökonomie der Daten
Unter Frank Schirrmacher hat sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" als prominente Plattform in der Debatte über die Ökonomie der Daten positioniert. Auch nach dem Tod ihres Mitherausgebers spielt die „FAZ“ die Rolle weiter: In ihrer heutigen Ausgabe druckt die Zeitung ein Essay der ehemaligen Harvard-Professorin Shoshana Zuboff über die Gefahren von Big Data. Darin fordert die Wirtschaftswissenschaftlerin die Europäer dazu auf, zur Speerspitze im Kampf gegen Datenmissbrauch zu werden. Beim "Wie" bleibt Zuboff allerdings vage.
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Zuboff ist für das Feuilleton der "FAZ" eine mittlerweile gern gesehene Gastautorin: Im Juni vergangenen Jahres rief sie unter dem Titel "Seid Sand im Getriebe" dazu auf, "der Arroganz des Silicon Valley etwas entgegenzusetzen", im April dieses Jahres kritisierte sie die Macht von Google. Nun folgt unter der Überschrift "Lasst euch nicht enteignen!" ihr Beitrag zur Big Data-Debatte. Den Aufsatz, den sie zuerst als Keynote auf dem Potsdamer Sanssouci Media Colloquium vortrug, beginnt Zuboff mit einer Bestandsaufnahme: Wir befänden und im Zeitalter des "Überwachungskapitalismus", einer Epoche, in der Internetkonzerne Verhaltensdaten der Nutzer abschöpften, um daraus Geld zu machen. Google zählt Zuboff selbstverständlich dazu, aber auch "Facebook, LinkedIn, Yahoo, Twitter und Tausende anderer Unternehmen und Apps".


Das Perfide an dieser Strategie laut Zuboff: Die Konzerne hätten nie um Erlaubnis gefragt, die Daten nutzen zu dürfen. "Sie haben sie einfach als etwas deklariert, das sie nehmen durften – indem sie es genommen haben." Doch auch die Nutzer seien nicht ganz unschuldig: Sie würden von den Unternehmen vor vollendete Tatsachen gestellt - und nähmen es auch noch hin. Manche seien tatsächlich einverstanden mit dem Geschäftsmodell oder hielten es für alternativlos, andere hätten sich von Begriffen wie "Unternehmergeist" oder "schöpferische Zerstörung" blenden lassen. Als wesentlichster Grund für ihr Einverständnis macht Zuboff jedoch "Wissensmangel bei den Nutzern" aus. Viele Leute "akzeptieren oftmals institutionelle Fakten auch bloß deswegen, weil sie deren Bedeutung nicht verstehen", so Zuboff.

Wir haben nie gesagt, dass die Unternehmen diese Daten von uns nehmen durften. Sie haben sie einfach als etwas deklariert, das sie nehmen durften.
Shoshana Zuboff
Die Bemühungen vieler Bürger oder Organisationen, sich der ungefragten und unentlohnten Verwendung ihrer Daten durch Großkonzerne entgegenzustellen, erkennt Zuboff durchaus an. Sie nennt explizit Whistleblower Edward Snowden und Wikileaks sowie die zahlreichen Datenschutzklagen gegen Google und andere Internetunternehmen. Allein: diese Art des Widerstandes beseitige nicht das Problem, denn: "Verhandlung legitimiert zwangsläufig die andere Position."

An dieser Stelle ihres Aufsatzes befindet sich Zuboff just an jenem Punkt, an dem sich auch Springer-Chef Mathias Döpfner befand, als er vor gut einem halben Jahr ebenfalls in der "FAZ" einen viel beachteten Frontalangriff auf Google startete: Entweder, Google, Facebook und Co. vermessen weiterhin die Daten-Welt – oder man widersetzt sich aktiv den durch die Mega-Konzerne vorgegebenen Spielregeln. Zwar ist seither einiges passiert. So wurde Google vom Europäischen Gerichtshof dazu verdonnert, Verweise auf Webseiten mit sensiblen persönlichen Daten aus seiner Ergebnisliste zu streichen. Dieses Urteil, das als "Recht auf Vergessenwerden" Eingang in die Debatte fand, geht für Zuboff durchaus in die richtige Richtung. Dass sie aber jetzt, über ein halbes Jahr später, auf Döpfners Aufsatz rekurriert, zeigt, dass im Kampf gegen die Marktmacht von Google und Co. immer noch eine gehörige Portion Ratlosigkeit mitschwingt.

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Und in der Tat bleibt Zuboff bei der Formulierung eigener Lösungsansätze reichlich vage. "Wir benötigen neue Fakten, die das Primat der Humanität, die Würde der Person, die von individueller Emanzipation und Wissen gestärkten Bande demokratischer Gemeinschaft und das Wohlergehen unseres Planeten geltend machen", schreibt sie. Darauf kann sich mit Sicherheit ein Gutteil der Gesellschaft verständigen. Wie Google, Facebook und Co. auf diese Weise allerdings beim ungefragten Datensammeln im großen Stil gemäßigt werden sollen, bleibt ungenannt.

Deutlich wird bei Zuboff allerdings, auf wen sie ihre Hoffnungen in diesem Kampf richtet: "Europa muss die Fackel übernehmen und einen Weg in eine neue Heimat bahnen", so ihr pathetischer Appell. Insbesondere den Medien komme dabei eine wichtige Rolle zu – ein Gedanke, den Zuboff bei Frank Schirrmacher entlehnt hat. Das Erbe des verstorbenen "FAZ"-Herausgebers, der sich immer wieder in die Diskussion um die Datenökonomie einschaltete, gelte es forzuführen, so Zuboff. "Das soll unsere Erklärung sein." ire




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