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Christoph Keese: "Die richtige Disruption kommt erst noch"

Christoph Keese ist Executive Vice President von Axel Springer
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Christoph Keese ist Executive Vice President von Axel Springer
Sind die großen US-Aggregatoren dabei, Verlage in reine "Content-Uploader" zu verwandeln? Ist die Zeit reif für ein Spotify-Modell für News? Und werden Internetgiganten wie Google, Facebook und Amazon Schwergewichte der deutschen Wirtschaft übernehmen? "Die Vermutung, dass es zu großen Übernahmen kommen kann, ist überhaupt nicht unrealistisch", sagt Christoph Keese, Executive Vice President von Axel Springer und einer der Vordenker im Konzern. HORIZONT sprach mit Keese über sein soeben erschienenes Buch "Silicon Valley" und darüber, warum die Politik dem Expansionsstreben von Google Einhalt gebieten sollte.
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Christoph Keese über…

… das wirtschaftstheoretische Glaubensgebäude von Google:

"Aus meiner Sicht tritt das 1999 erschienene Buch "Information Rules: A strategic Guide to the Network Economy" von Hal Varian und Carl Shapiro, das eine neue Ökonomie unter den Bedingungen des Netzwerk-Effekts beschreibt, an die Stelle von Joseph Schumpeter. Diese Theorie gibt Unternehmen Hilfestellungen, wie sie ihr eigentlich fragiles Monopol verstetigen können, indem sie sich in andere Bereiche ausdehnen. Man nutze, so der Ratschlag, das bestehende Monopol, um sich neue Monopolstellungen in benachbarten Märkten zu verschaffen. Interessanterweise hat Google einen der Autoren, nämlich Hal Varian, 2007 als Chefökonomen eingestellt. Wenn man das Buch heute liest, sieht man, dass Google fast alle Vorschläge aus "Information Rules" übernommen hat und seit 2007 in der Umsetzung noch einmal radikaler geworden ist. Dazu gehört zentral die Technik der Selbstbevorzugung eigener neuer Produkte in bestehenden Monopolen."

… den Handel mit Daten:

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"Das Narrativ, das sich in das öffentliche Denken eingeschlichen hat, lautet: Die Leute bekommen gratis ungeheuer leistungsstarke Produkte, die perfekt auf ihre Wünsche abgestimmt sind. Man weiß inzwischen, dass man mit seinen Daten bezahlt. Aber man stellt sich zu selten die Frage nach den Wertverhältnissen. Sie sind ungleich verteilt. Google und Co sind Wirtschaftsunternehmen, die teilweise enorme Renditen erzielen. Das bedeutet für die Konsumenten: In Wirklichkeit sind ihre Daten sehr viel wertvoller als das, was sie als Gegenleistung dafür bekommen. So gesehen wäre es ein faireres Geschäftsmodell, wenn die Verbraucher nicht nur die Leistungen vermeintlich kostenlos bekämen, sondern darüber hinaus noch Geld oder geldwerte Vorteile. Heute werden wir mit umfangreichen allgemeinen Geschäftsbedingungen konfrontiert, die mit einem Klick in toto freigeben werden sollen. Denkbar und wünschenswert wäre es, zu differenzierten Einwilligungserklärungen zu kommen. Erst wenn die Konsumenten ihre legitimen Interessen durchsetzen, kehrt wieder ein wirtschaftliches Gleichgewicht ein."

… Gedankenspiele, Google, Facebook und Amazon könnten Unternehmen wie Deutsche Telekom, Deutsche Post oder Volkswagen übernehmen: 

"Solche Übernahmen lägen völlig in der Logik der Strategie dieser Unternehmen. Der Kampf auf den Märkten ist heute ein Kampf um die Kontrolle von Plattformen. Eine Plattform ist derjenige Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammenkommen, man könnte auch sagen: die Wasserscheide zwischen Angebot und Nachfrage. Gewissermaßen ein Isolationsmechanismus, bei dem der Anbieter aufhört, den Nachfragenden zu kennen. U2 weiß nicht, wer ein Album auf iTunes kauft, weil es keine direkte wirtschaftliche Verbindung zwischen der Band und den Käufern mehr gibt. Und es gibt eben auch keine breitgefächerte Handelsstruktur. In einer Netzwerk-Ökonomie kommt es entscheidend darauf an, im Besitz von Kreditkarten- und Kundendaten zu sein. Nach dieser Logik stehen Telekommunikationsfirmen wie Telekom oder Telefonica mit ihren Kundendaten dem Betreiber großer Netzwerke im Wege. Erkennbar ist Google bemüht, diese Lücken zu schließen und selbst in unmittelbaren Kontakt zu den Kunden zu treten. Dafür gibt es zwei mögliche Strategien. Die eine lautet Wettbewerb, also dem Kunden ein disruptives Angebot zu unterbreiten, die andere besteht darin, andere Unternehmen zu übernehmen und sie in ihre eigene Wertschöpfungskette zu integrieren. Das ist sozusagen der große Pokal, den es abzuholen gilt. Daher ist die Vermutung, dass es zu großen Übernahmen kommen kann, überhaupt nicht unrealistisch. Sie liegt vielmehr in der Logik des Systems."

… die Gefahr, von Facebook und Co zu reinen Content-Lieferanten degradiert zu werden: 

"Zweifellos bemühen sich Aggregatoren, Verlage in Content-Uploader zu verwandeln, die ihre Inhalte auf Plattformen hochladen und sich auf die Konditionen dieser Plattformen einlassen. Ob Pinterest, Youtube et cetera damit durchkommen, ist aber noch lange nicht ausgemacht. Tatsächlich wird unsere Branche selbstbewusster und begreift: Wenn wir die direkte Kundenbeziehungen und die Preishoheit über unsere Produkte aus der Hand geben, verlieren wir einen wichtigen Teil unseres Geschäftsmodells. Es wäre daher strategisch ein unglaublicher Fehler, sich zum reinen Uploader degradieren zu lassen."

.… eine disruptive Strategie für Verlage:

"Das Transformieren von Printinhalten in digitale Geschäftsmodelle hat meist nichts Disruptives. Lassen Sie mich das Prinzip am Beispiel der Musikindustrie verdeutlichen. Der Übergang von der Vinylschallplatte zur CD war nicht disruptiv, der von der CD zu Spotify dagegen schon. Statt 15 Euro für eine Platte auszugeben, hat der Konsument heute für eine Flatrate von 10 Euro pro Monat Zugriff auf weite Teile des Musik-Repertoires. Disruptive Innovation setzt immer auf einem dramatisch niedrigeren Preispunkt an. Übertragen auf unsere Branche würde das bedeuten, für eine Flatrate von 10 oder 15 Euro die Inhalte aller wichtigen Tageszeitungen zu bekommen. In den USA gibt es ein solches Projekt der größten Zeitschriftenverlage, Next Issue. Und bei uns? Gibt es ein Spotify für News? Gibt es ein Spotify für Magazine? Nein. Hierzulande gibt es keinen von Verlagen betriebenen Aggregator dieses Typs."

… eine Art Spotify für News: 

"Gibt aus Sicht der Konsumenten einen Markt, für 10 oder 15 Euro alle wichtigen Tageszeitungen oder Auszüge zu bekommen? Die Antwort ist Ja, die Leser hätten sicherlich gern ein iTunes- beziehungsweise Flatrate-Modell für News. Doch die Verlage stecken in einem Dilemma: Wer ein Zeitungs-Abonnements heute für 30 Euro monatlich verkauft, tut sich schwer, bei einer Plattform mitzumachen, die für 10 Euro im Monat das komplette Angebot des Landes anbietet. Ich verstehe beide Seiten sehr gut. Was man aber sehen muss, ist: Disruptive Innovation bedeutet nicht einfach nur moderne Technik, disruptive Innovation bedeutet, einen völlig neuen, radikalen Preispunkt zu setzen. Ein News-Spotify wäre disruptiv. Ich sage nicht, dass Verlage das unbedingt machen sollen, ich sage nur, dass ein solches Angebot aus Sicht der Konsumenten attraktiv wäre. Und wenn das so ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand ein solches Angebot auf den Markt bringt. Daher stellt sich Verlagen die Frage, ob es sinnvoller ist, diese Disruption selbst voranzutreiben oder sie Dritten zu überlassen." 

… die Zukunft des Journalismus: 

"Ich bin seit Anfang der 80er Jahre Journalist und habe noch nie eine so spannende und faszinierende Zeit erlebt wie jetzt. Es findet gerade eine kreative Explosion statt, es kommen jede Menge neue journalistische Angebote auf den Markt. Sehen Sie nach Frankreich, nach Spanien, nach Südamerika und vor allem natürlich in die USA. Für mich sind das regelrecht Gänsehaut-Momente, es passiert so viel Elektrisierendes, eigentlich könnten wir uns gar keine bessere Zeit wünschen. Wie bei jeder disruptiven Entwicklung kommt es nun aber auch auf die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an. Ich bin ein entschiedener Verfechter einer liberalen Wirtschaftsordnung, aber Liberalität bedeutet für mich nicht einfach laisser faire. Ohne kluge Regulierung gibt es keine Freiheit.  Am Beginn einer Debatte steht immer der intellektuelle Diskurs. Und dieser intellektuelle Diskurs hat gerade erst begonnen."





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