In "Ach Mensch" stellt Ingeborg Trampe die Start-Gründerin Claudia Langer vor
"Ach Mensch" heißt eine neue Kolumne von HORIZONT.NET, in der die ehemalige HORIZONT-Kollegin Ingeborg Trampe künftig bekannte und unbekannte Persönlichkeiten der Werbeszene jenseits von aktuellen Etat- und Personalmeldungen porträtiert. Diesmal: Claudia Langer, Gründerin von Start Advertising, Utopia.de und Autorin von "Die Generation 'Man müsste mal'".
Die streitbare Utopistin
Buchcover "Die Generation 'Man müsste mal'"
Wer mit Claudia Langer Schritt halten will, muss schnell sein. Schnell im Zuhören, schnell im Antworten und schnell beim Essen-aussuchen. Die 47-jährige ehemalige Werberin hat nämlich den Hang, allen immer mindestens eine Nasenspitze voraus zu sein. Bei unserem vegetarischen Lunch an einem schönen Spätsommertag auf der Dachterrasse des Bayerischen Hofs in München sprudeln die Gedanken nur so aus ihr heraus. "Alles ist besser als Weiter-wie-bisher. Wir delegieren Verantwortung an Organisationen. Protestbewegungen fallen immer schneller in sich zusammen. Warum berühren viele Themen Menschen heute nicht mehr wirklich? Was wir brauchen, ist eine neue Aufbruchstimmung." Langer ist in ihrem Element, angetrieben von dem Gedanken, Mittel und Wege zu finden, echte Veränderungen in unserer Gesellschaft anzustoßen. Klimaveränderung, Hungersnot, strategischer Konsum, aber auch Gleichgültigkeit in der Politik sind ihre Themen, seit sie vor sieben Jahren mit Utopia.de die erste Plattform für nachhaltigen Konsum gründete. Sie verfolgt sie mit einer gewissen Gnadenlosigkeit. Gegenüber anderen, aber auch sich selbst. Das spürt selbst der Salat auf ihrem Teller, der zackig aufgespießt wird.
Utopia steht mittlerweile als Gütesiegel für nachhaltige Produkte
In diesen Tagen ist sie viel unterwegs und prangert als Autorin des Buches "Die Generation 'Man müsste mal'" jene Zeitgenossen an, die gerne am Dinner-Tisch bei einem guten Glas Wein über die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit und Energiewende schwadronieren, um gleich danach mit umweltfeindlichen Kaffeekapseln den Espresso zu brühen oder am nächsten Tag irgendein hippes T-Shirt einer Billigmodekette zu kaufen, das garantiert nicht unter ökologisch und sozial einwandfreien Bedingungen produziert wurde. Die Hoffnung, mit der Macht der Utopia-Community schnell viel zu bewegen, hat sich nicht erfüllt. Langer musste erleben, dass Konsumenten häufig inkonsequent agieren, wenn es an die eigene Geldbörse geht. Bei Umfragen fordern Verbraucher zwar von Unternehmen und Politik höhere Umwelt- und Sozialstandards, aber kosten sollen diese bitte nichts. Hauptsache, alle können den Lebensstandard halten. Antatt das Auto mal stehen zu lassen, werden die Autos eher größer. Auch auf den Billigflug übers Wochenende nach Mallorca will kaum jemand verzichten. Am Ende sind vielen Menschen Statussysmbole doch wichtiger als die Zukunft ihrer Kinder, schlechtes Gewissen hin oder her. Genau dieses Pharisäertum, das Claudia Langer auch im eigenen Bekanntenkreis beobachtet, gab den Ausschlag, ihr Buch zu schreiben: "Ich wollte einfach mal alle richtig wachrütteln. Es reicht mir nicht, dass Utopia eine tolle Marke ist, wenn wir am Ende die immer gleichen 15 Prozent des Marktes erreichen", konstatiert sie nüchtern, aber gar nicht desillusioniert. Mit ihrem Buch und dem Generationenmanifest, das unter anderem auch von prominenten Mitstreitern wie der Wissenschaftlerin Dr. Gesine Schwan, Sänger Marius Müller-Westernhagen und TV-Köchin Sarah Wiener unterzeichnet wurde, will Langer eine Bewegung initiieren, die so groß wird, dass niemand in Politik und Unternehmen sie ignorieren kann. Über 82.000 Menschen haben das Manifest innerhalb weniger Wochen unterschrieben. Sogar im Ausland wurde man schon auf das Manifest aufmerksam. Gerade gründen sich in einigen Ländern eigene Initiativen.
Von der Werberin zur Gesellschaftskritikerin
"Claudia denkt, schreibt und handelt seit Jahren für eine bessere Welt. Leidenschaftlich, streitbar, unbeirrbar und stur bis zur Utopiegrenze", konstatiert Hubertus von Lobenstein, Partner der Berliner Agentur Aimaq von Lobenstein, der Langer ewig kennt. Schon in der Werbung galt Langer als streitbare Zeitgenossin. So manchem in ihrer Umgebung ist sie damit gehörig auf die Nerven gefallen, doch ihre Ziele hat sie dennoch unbeirrt verfolgt und umgesetzt. Ihre erste Firma Avantgarde startete sie schon auf dem Gymnasium. 1992 gründete sie dann in München mit Gregor Wöltje die Werbeagentur Start, die überaus erfolgreich für Kunden wie MTV, Deutsche Bank und Eon arbeitete und in Sachen Mitarbeiterführung viel von dem vorwegnahm, was heute in deutschen Werbeagenturen zum Standardrepertoire gehört. Als Beraterin machte sie es ihren Kunden nie leicht, aber genau dafür wurde sie von vielen geschätzt. Auch weil sie bei aller Zielorientierung nie ihren Humor und Optimismus verloren hat. Unumwunden gibt sie zu, in der Werbung "tierisch viel Spaß gehabt zu haben" und ab und an das "Rumspielen mit den Kollegen" zu vermissen. Lange hält diese Sehnsucht freilich nicht an.
Mit Generationenmanifest.de will Langer gegen die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit antreten
Der Wendepunkt in ihrem Leben kam 1999 mit der Geburt ihres ersten Kindes und der Frage, was sie der nächsten Generation eigentlich hinterlassen will. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Werteorientierung und ihrem Job, Unternehmen dabei zu helfen, den Konsum anzufeuern, wurde zum unlösbaren inneren Konflikt. Als sie und ihr damaliger Ehemann ihre Agentur 2004 verkauften und für die drei Kinder eine Auszeit nahmen, war klar, dass sie nicht mehr in die Werbebranche zurückkehren würde. Als vergeudete Zeit empfindet sie diese Lebensphase aber nicht. "Ich hatte immer das Gefühl, später alles brauchen zu können, was ich in der Werbung gelernt habe." Dazu gehört, komplexe Sachverhalte in verständliche Worte zu packen. Quasi Storytelling im politischen Betrieb. Als eine unfassbare Gabe und Gnade beschreibt die herzliche Bayerin diese Fähigkeit selbst. Sie öffnet ihr Türen, die vorher verschlossen blieben. Während Utopia heute erfolgreich Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit berät, so tragen etwa manche Produkte bei der Elektromarktkette Saturn ein Utopia-Gütesiegel, konzentriert sich Langer in diesem Jahr voll und ganz ehrenamtlich auf das "Generationenmanifest".
Einen großen Schub bekam die Initiative, als sich die Piraten-Partei vor kurzem entschloss, das Manifest zu unterstützen. Inzwischen sammeln zahlreiche Helfer aus der Bevölkerung Unterschriften und tragen das Thema in eine breitere Öffentlichkeit. Und immer mehr Prominente machen das Generationenmanifest mit Unterschriften und eigenen Videos zu ihrer Sache. Claudia Langer selbst diskutiert mit namhaften Politikern und Unternehmern und durfte kürzlich sogar bei Markus Lanz und in der Sat-1-Talkshow "Eins gegen Eins" für ihre Sache werben. Damit ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Genügen tut ihr das natürlich nicht. Es nagt an ihr, dass noch zu wenige etwas Konkretes tun, um etwa die Klimakatastrophe aufzuhalten. Obwohl sie vor Energie sprüht, wirkt sie zarter, dünnhäutiger als früher und nährt sich von den "tausenden Mails von Unterstützern, die mir ein echten Einblick in die Seele der Nation geben". Nicht ausgeschlossen ist, dass aus der Bewegung des Generationenmanifests noch zahlreiche weitere Ideen geboren werden. "Vieles ist denkbar", sagt sie vielsagend. Als Nächstes will sie mit ihrem Team Tools entwickeln, mit denen man die Taten der nächsten Regierung messen kann, um ihr im Zweifelsfall auf die Finger zu klopfen. Sie würde gerne einen Think Tank gründen, für den sie gerade Sponsoren sucht. "87 Prozent aller Deutschen haben Angst davor, dass es ihren Kindern einmal schlechter geht als ihnen selbst. Wenn wir diese Menschen erreichen, ist das Generationenmanifest keine Eintagsfliege", ist sich Langer sicher. Sie hat sich jedenfalls auf einen langen Marsch durch die Institutionen eingestellt. Politisch tätig zu sein, ist für sie eine langfristige Perspektive. Wichtig ist ihr dabei, dass sie sich selbst treu bleiben kann. Aber damit hatte Claudia Langer eigentlich noch nie ein Problem.
Die Autorin
Ingeborg Trampe ist noch immer Journalistin im Herzen, auch wenn sie nach Stationen bei HORIZONT, Y&R, Neue Sentimental Film und BBDO heute überwiegend als PR-Beraterin für mittelständische Unternehmen in Hamburg arbeitet. Zum Leidwesen mancher Mitmenschen mag sie französische Dialogfilme, singt Jazz und Chansons und schwimmt viel und intensiv, um den Kopf freizukriegen. Ihr Lieblingslogo ist das vom Kaffee Wacker in Frankfurt, wo es den besten Espresso in Deutschland gibt.
www.trampe-communication.de