"Spiegel": Warum Verlagsleiter Christian Schlottau wirklich gehen muss

Verlässt den "Spiegel": Christian Schlottau
Verlässt den "Spiegel": Christian Schlottau
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Und noch eine Paukenschlag-Personalie kurz vor Weihnachten, offiziell verkündet am Freitagabend vor dem 3. Advent - zu einem Zeitpunkt also, an dem die Verantwortlichen mit nur minimalen Reaktionen und Interpretationen rechnen mussten: „Spiegel"-Verlagsleiter Christian Schlottau, 52, verlässt das Haus zum Jahresende, laut Presseinfo „in bestem Einvernehmen und aller Freundschaft". Und das stimmt sogar - wenn man es allein auf Geschäftsführer Ove Saffe bezieht. Beide kennen sich seit Jahrzehnten, sind privat befreundet, inklusive beider Familien.

Hinzu kommt die Pikanterie, dass Schlottau früher einmal Saffes Chef war - nun war es umgekehrt. Es muss Saffe schwer fallen, sich von Schlottau zu trennen. Dass er es nun trotzdem tut, zeigt, dass Saffe keine Sentimentalitäten kennt, wenn er glaubt, es nütze dem Unternehmen - und damit letztlich auch ihm. „Saffe sieht seinen ,Spiegel‘-Posten noch nicht als das Ende seiner Karriere", sagt jemand, der ihn lange kennt.

Warum also muss Schlottau, seit über 14 Jahren „Mr. Vermarktung" beim „Spiegel", nun gehen? Die Presseinfo versucht, seine Demission mit dem Wegfall seiner Position zu erklären. Dies sei „ausschließlich vor dem Hintergrund der neuen, schlankeren Strukturen zu sehen". Gemeint ist wohl: Wenn alle anderen (vor allem kaufmännische) Abteilungen im letztlich mittelständischen Spiegel-Verlag sparen müssen, dann auch ganz oben: in der Chefetage. Seltsam nur, dass Saffe seinen Weggefährten Schlottau erst Anfang dieses Jahres zum Verlagsleiter geadelt hat. Und seltsam auch, dass es mit Schlottau ausgerechnet jenen der drei Verlagsleiter trifft, der für die Märkte - Anzeigen, Online, Vertrieb, Marketing - zuständig ist. Weitere Verlagsleiter sind Matthias Schmolz (Objektverantwortung, Finanzen, Verwaltung, Herstellung) und Fried von Bismarck (Spiegel.Net, Spiegel TV, IT). Letzterer steht kurz vor der Pensionierung - das hätte die Strukturen bald von ganz alleine verschlankt.

Nein, es gibt (auch) andere Gründe. Aber nicht etwa das fast 30-prozentige Anzeigenminus, das - auch - der „Spiegel" in diesem für alle Verlage heftigen Werbejahr erwarten muss. Auch Schlottaus interne Kritiker werfen ihm nicht vor, den „Spiegel" schlecht verkauft zu haben, obwohl er auf Kunden- und Agenturseite durchaus zu polarisieren vermochte. Die wahre Erklärung für Schlottaus scheinbar plötzlichen Abgang dürfte im Inneren des „Spiegel" liegen: Die neue, fusionierte Vermarktungssparte Spiegel QC, die seit September am Start ist, läuft dem vielfachen Vernehmen nach nicht richtig rund. Unklare Zuständigkeiten; organisatorische Versäumnisse; Mitarbeiter, die mit ihren neu zugeteilten Aufgaben nicht glücklich sind; miese Stimmung durch unterschiedliche Vertragskonditionen bei ehemaligen Print- und Online-Kollegen; Leistungsträger, die sich nun gerne abwerben lassen; schlecht vorbereitete und dadurch verlorene Pitches um dringend gewünschte Vermarktungsmandate - solche Dinge hört man. Seit Wochen.

Und man hört von zwei „Kulturen", die bei der Fusion der „Spiegel"-Vermarktung mit der Online-Schwester Quality Channel (QC) aufeinander geprallt seien: Auf der einen Seite die ehemaligen Print'ler, die die straffen Strukturen und den bisweilen als rau empfundenen Ton von Schlottau und seinen Leuten kennen (wenn auch nicht immer schätzen) - und auf der anderen Seite die ehemaligen QC'ler: jünger, kreativer und unorganisierter, je nach Standpunkt. Beim "Clash of Cultures" rumpelt es wohl gewaltig.Nur vorübergehende Geburtswehen - oder dauerhafte Geburtsfehler? Saffe jedenfalls hat sich wohl entschlossen, den obersten Geburtshelfer zur Verantwortung zu ziehen: Schlottau. Manche beschreiben diesen als ein mit allen Wassern gewaschenes Verlags-Urgestein; andere bezweifelten seine Affinität zum Digitalgeschäft. Manche lobten seine zupackende Umtriebigkeit; andere sahen darin eher einen hemdsärmligen Aktionismus. Manche schätzten Schlottau, der 1995 zum „Spiegel" gekommen war, um aus der damaligen Anzeigenabteilung im Kampf gegen den 1993 gelaunchten „Focus" eine richtige Vermarktung zu formen, als erfrischenden Gegenpart zum bisweilen als betulich-intellektuell empfundenen Hausklima; andere sahen ihn stets mit der viel zitierten „Spiegel-Kultur" fremdeln. Manche sagen, er sei ein (allzu) wichtiger Ratgeber seines Buddys Saffe gewesen; andere meinen, Schlottau habe dies nur geglaubt zu sein.

Kein Zweifel: Schlottau hat polarisiert. Den jeweiligen Geschäftsführern (Karl Dietrich Seikel, Mario Frank, jetzt Saffe) war das wohl eher egal - solange das Geschäft lief. Das ist jetzt bekanntlich anders. Vor ein paar Tagen hat Saffe gar laut über einen anzeigenfreien „Spiegel" nachgedacht und sein Credo wiederholt, sich strategisch stärker auf Vertriebserlöse zu konzentrieren. Das alles hörte sich nicht gerade nach einem übermäßigen Bedeutungszuwachs der Vermarktungsorganisation Spiegel QC an; Schlottau dürfte zu diesem Zeitpunkt längst von seiner Demission gewusst haben.

Apropos Vertrieb. Chef dort ist Thomas Hass. Auch er könnte eine indirekte Rolle gespielt haben bei der Personalie Schlottau. Denn Hass ist aus zwei Gründen ein wichtiger Mann im Haus: Erstens, weil die Vertriebserlöse bald zwei Drittel der „Spiegel"-Umsätze ausmachen. Und zweitens, weil er zugleich einer der fünf Geschäftsführer der Mitarbeiter KG ist, dem Hauptgesellschafter des Verlags. Als Saffe ihm, Hass, Anfang des Jahres Schlottau als nun auch für den Vertrieb zuständigen Verlagsleiter vor die Nase setzte (vorher war Schmolz verantwortlich), kam es erneut zu jener skurrilen „Spiegel"-typischen Konstellation: Hass musste im Alltagsjob an Schlottau berichten - und hätte als Eigentümervertreter zugleich Einfluss auf dessen Chef Saffe nehmen können. Normalerweise kein Problem - wenn die Akteure miteinander können. Von Hass und Schlottau behauptet das nicht jeder im Verlag. Andererseits unterstellt niemand Hass, seine Doppelfunktion irgendwie ausgenutzt zu haben. Dennoch: Sogar beim "Spiegel" arbeiten nur Menschen, daher sollte man diese Konstellationen im Hinterkopf haben.

Und nun? Nun berichten die Spartenchefs Thomas Hass (Vertrieb), Norbert Facklam (Vermarktung) und Christoph Hellerung (Werbung) direkt an Geschäftsführer Saffe, der das Thema Erlöse damit zur Chefsache macht. Unter Beobachtung stehen dürfte dabei vor allem Facklam, denn die Vermarktungsorganisation trägt auch seine Handschrift, etwa manche Personalentscheidung. Vielleicht steht aber sogar die gesamte Sparte Spiegel QC unter Saffes Beobachtung. Zwar gilt bisher an der Brandstwiete das Credo, dass sich der „Spiegel" selbstständig vermarkten müsse - doch die Zeiten ändern sich, siehe oben. Vielleicht ist der „Spiegel" dafür auf Dauer zu klein, zumal dann, wenn der Erlösanteil der Werbung weiter abnimmt und Mandanten ausbleiben.

Gruner + Jahr, mit 25,5 Prozent vetoberechtigt am „Spiegel" beteiligt und selbst auf der Suche nach Mandanten, würde sich über Zuwachs im Portfolio sicherlich freuen. "Der Schlüssel dazu liegt aber weniger bei G+J als bei der Mitarbeiter KG und den ,Spiegel'-Chefredakteuren", sagt einer, der das Haus gut kennt. Der scheidende Schlottau jedenfalls hat immer leidenschaftlich, gemäß der langjährigen Verlagsdoktrin, für die Vermarktungs-Unabhängigkeit des „Spiegel" gekämpft. Saffe hingegen ist auch hier vor allem eines: gnadenlos pragmatisch. rp
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