"Die Infektion existiert, ihre Ursache und Ausbreitung sind unklar, Betriebsärzte raten Angestellten zu Hygienemaßnahmen, Ärzte sind damit in Wartezimmern konfrontiert und potentiell kann jeder von uns betroffen sein", sagt
Bernd Blöbaum, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. "Das rechtfertigt schon eine gewisse journalistische Aufmerksamkeit." Wie einzelne Medien das Thema aufgreifen, ist für ihn eine Stilfrage: "Insgesamt spiegelt die Berichterstattung die jeweiligen Profile der Medien wider: von starker Dramatisierung bis zu nüchterner und sachbezogener Berichterstattung."
Dieser Meinung ist auch
Hans-Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Allerdings würden Krankheiten, die objektiv gesehen relativ bedeutungslos seien, "durch die Platzierung auf den Titelseiten und dramatische Überschriften eine sehr starke Gewichtung eingeräumt". Schließlich seien 17 Tote in Deutschland, wie bislang im Fall von Ehec, im Vergleich zu der Anzahl an Menschen, die täglich an Kreislauferkrankungen sterben, noch eine relativ geringe Zahl.
Jo Groebel, Direktor des Deutschen Digital Instituts, warnt jedoch davor, Ehec nur als Medienhype zu sehen: „Ich möchte die Hypothese, dass Ehec eine mediengemachte Sache ist zurückweisen, da faktisch beunruhigende Zustände vorliegen.“ Im Falle des Darmkeims würden die Medien nur ihre Signal- und Warnfunktion umsetzen: „Besser Panikmache, die zur Prävention führt, als keinerlei Berichterstattung und ein Anstieg der Infektionen.“
aha/swAuf den folgenden Seiten lesen Sie die detaillierten Einschätzungen zur Medienberichterstattung zum Thema Ehec von
Jo Groebel (Deutsches Digitales Institut),
Hans-Mathias Kepplinger (Universität Mainz) und
Bernd Blöbaum (Universität Münster).
Jo Groebel, Direktor des Deutschen Digital Instituts
Werden die Journalisten mit der Ehec-Berichterstattung zum Thema Ehec ihrer Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren, gerecht?
Es ist die Aufgabe der Medien, Akzente zu setzen und nicht nur Informationen zu übermitteln oder Emotionen zu schüren. Die Medien haben auch eine Signal- und Warnfunktion. Findet keine Berichterstattung über ein Thema wie Ehec statt, kann die Bevölkerung auch keine vorsorgenden Maßnahmen ergreifen. Außerdem würden sich ohne entsprechende Medienberichterstattung auch die Politiker dem Thema vielleicht nicht in dem nötigen Maße annehmen. Dies ist die positive Seite der Medien und ihre Urfunktion: Besser Panikmache, die zur Prävention führt, als keinerlei Berichterstattung und ein Anstieg der Infektionen.
Wenn Sie einen Blick auf die Medienberichterstattung zum Thema Ehec werfen, herrscht dann Information oder Panikmache vor?
Die Medien berichten bei Ehec wie bei allen anderen Themen auch ganz nach ihrer Façon: „Bild“ ist generell emotionaler als der „Spiegel“ und das trifft auch hier zu. Dabei ist die Berichterstattung über Ehec jedoch kein Sonderfall, sondern spiegelt das generelle Textklima des einzelnen Mediums wider. Deshalb kann man auch durchaus davon sprechen, dass die "Bild" sehr zugespitzt berichtet, was auch in Richtung Panikmache gehen kann. Die meisten Medien jedoch wiegen sämtliche Argumente ab und berichten differenziert.
Ist Ehec nur ein medialer Hype oder eine reale Bedrohung, über die berichtet werden muss?
Man muss höllisch aufpassen, kein Klischee daraus zu machen, dass jede Krankheit nur ein Medienhype ist, denn hier ist die Bedrohung ernstzunehmen. Daher möchte ich auch die Hypothese, dass Ehec eine mediengemachte Bedrohung ist, zurückweisen, da faktisch beunruhigende Zustände vorliegen: Die Ursache für die Infektion mit dem Erreger ist unklar und Lebensmittel, die täglich von einem Großteil der Bevölkerung konsumiert werden, stehen unter Verdacht. Bei Schweinegrippe oder BSE hingegen war die Gefahr der Ansteckung recht gering.
Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
BSE, Schweinegrippe, jetzt Ehec. Berichten Medien heute stärker über solche Krankheiten als dies früher der Fall war?
Die Intensität der Berichterstattung hat eindeutig zugenommen. Der Auslöser für diese Entwicklung liegt mit BSE jedoch schon eine Weile zurück. Danach folgten in Wellen Berichte über SARS, Vogelgrippe und Schweinegrippe. Die Ursachen dieser Wellenhaftigkeit liegen eher in objektiven Gründen: Im Sommer steigt die Keimfähigkeit und die Häufigkeit von Infektionen nimmt zu. Allerdings wird Krankheiten, die objektiv gesehen relativ bedeutungslos sind, durch die Platzierung auf den Titelseiten und dramatische Überschriften eine sehr starke Gewichtung eingeräumt.
Reicht es, wenn Leitmedien wie die "Bild"-Zeitung den Erreger auf die Agenda setzen, damit eine Erkrankung wie die Ehec-Infektion zum großen Thema wird?
Die „Bild“ ist inzwischen zum Sündenbock für alle Fehler im Journalismus geworden. Das halte ich jedoch für völlig falsch. Auch in regionalen Abonnementzeitungen wurde schon früh über Ehec berichtet und die Intensität der Berichterstattung steigerte sich täglich. Es ist also nicht die „Bild“, die solche Themen auf die Agenda setzt, das ist ein Mythos. Die „Bild“ macht Dinge vielleicht teilweise schneller sichtbar, aber ohne eine konsonante Berichterstattung in allen Medien wäre dies auch wirkungslos.
Wirken sich Berichte mit Katastrophentenor positiv auf die Auflage von Printmedien beziehungsweise die Quote von TV-Sendungen aus? Objektiv gesehen ist der Effekt auf Auflagen und Quoten vermutlich gering, die einzige Ausnahme könnten da Boulevardzeitungen darstellen. Allerdings scheint der Großteil der Journalisten zunehmend zu glauben, dass genau diese Themen sich positiv auf Auflage beziehungsweise Quoten auswirken, und passen ihre Berichterstattung und Themenwahl deshalb dahingehend an.
Bernd Blöbaum, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Sind Themen wie die Infektion mit Ehec in der Berichterstattung historisch gesehen schon immer so wichtig?
Die öffentliche Aufmerksamkeit für Infektionsthemen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die zunehmende Mobilität der Menschen und der weltweit stark vernetzte Warenverkehr erhöhen die Gefahr einer beschleunigten Übertragung von Grippeviren und anderer Infektionen. Viren haben einen hohen Nachrichtenwert, weil sie nahezu unsichtbar bedrohlich sind, potentiell jeden infizieren können und weil die Eindämmung und Bekämpfung durch die Wissenschaft als dramatischer Wettlauf inszeniert werden kann. Das erklärt die enorm große mediale Aufmerksamkeit gerade auch für neue Erreger und damit verbundene Krankheitsbilder und -verläufe.
Die "Bild" macht mit "Killer-Keimen" auf und auch beim "Focus" ist Ehec auf dem Titel. Wie wirkt es sich auf die verkaufte Auflage von Printprodukten aus, wenn solche Themen auf dem Cover landen?
Dass Ehec bei vielen Zeitungen auf der Titelseite behandelt wird, zeigt die gesellschaftliche Relevanz und Aktualität, die die Redaktionen diesem Thema beimessen. Bei einzelnen Titel, beispielweise, wenn dramatische Fälle in der Region vorkommen, mag dies zu leichten Mehrverkäufen führen. Die Kioskverkäufe werden sich jedoch schnell wieder auf Normalniveau einpendeln.
Werden die Journalisten mit der Berichterstattung zum Thema Ehec ihrer Aufgabe, die Bevölkerung sachlich zu informieren, gerecht?
Nach meinem Eindruck gehen sehr viele Journalisten mit der enormen Herausforderung, die darin liegt, ein für die Leser, Hörer und Zuschauer extrem relevantes Thema sorgfältig zu behandeln, sehr professionell um. Die Berichterstattung über Unsicherheit – das sah man auch jüngst im Fall Fukushima, wo ja kaum Informationen vorlagen – ist extrem schwierig. Wenn Wissenschaftler ratlos sind, unterschiedliche Einschätzungen abgeben, wenn wegen einer langen Inkubationszeit unklar ist, wie schnell sich jetzt Ehec ausbreitet, dann kann die Berichterstattung auch nur diese verschiedenen Positionen darstellen. Das mag nicht immer zur Beruhigung der Mediennutzer beitragen, entspricht aber, wenn es sorgfältig gemacht wird, den Regeln des journalistischen Handwerks.