Damit erfindet sich der Magazinverlag, der sich künftig
lieber als "Haus der Inhalte" bezeichnen möchte und hiermit neben journalistischem Content in Print und Digital auch Dienstleistungen, Produkte und E-Commerce auf bestimmten Themengebieten rund um diese Inhalte ("Communities of Interest") meint, in seiner Führungsorganisation komplett neu.
Die prägnanteste Botschaft: G+J hat nach dem
Ausscheiden von Bernd Buchholz im September 2012 mit Jäkel wieder einen CEO, der für den Verlag gesamt entscheiden und sprechen kann. In den vergangenen sieben Monaten waren Jäkel, Klein und Twardy gleichberechtigt verantwortlich - unter der auch öffentlich verkündeten Aufsicht von
Thomas Rabe, dem CEO des G+J-Mehrheitsgesellschafters
Bertelsmann (74,9 Prozent). Nach außen hin betonten alle Akteure stets, wie prima alles funktioniere - tatsächlich dürfte es jedoch hier und da schon Reibereien gegeben haben, etwa bei der Verteilung knapper Investitionsmittel.
Für Jäkel, 41, ist die Beförderung ein (vorläufiger) Höhepunkt einer zuletzt sehr schnellen Karriere: Im Herbst 2008 sollte die damalige "
Brigitte"-Verlagsleiterin Geschäftsführerin der früheren Mini-Verlagsgruppe Exclusive werden - und bekam, bevor sie dort anfangen konnte, noch alle Living-Titel hinzufusioniert.
In der Folgezeit baute sie die neue Gruppe mit Hilfe ihres baldigen Multi-Chefredakteurs Stephan Schäfer um, senkte Kosten, steigerte Auflagen und Werbeerlöse. Im März 2012 wurde Jäkel dann Chefin der neuen (mit allen Frauen- und People-Titeln) fusionierten Großgruppe Life, übte dieses Amt jedoch nur sechs Monate aus, quasi parallel zu ihrer Mutterschutz-Zeit.
Dann wurde sie in den G+J-Vorstand berufen. In den folgenden sieben Monaten erwarb sie sich offenbar die Anerkennung der Gesellschafter (neben Bertelsmann noch die
Jahr-Familie), und zwar mit schnellen Personal- (Austausch der Chefredakteure von "Brigitte" und
"Gala" und des Digitalchefs) und Strukturentscheidungen (weitere Zentralisierung des Digitalgeschäfts, Umbau der Vermarktung) sowie der furchtlosen Exekution des unpopulären Gesellschafterbeschlusses, die defizitäre "
FTD" zu schließen.
Umblättern: Die neue Vorstandssparte Produkt
Multi-Chefredakteur Stephan Schäfer kommt in den Vorstand
Im Vorstand verantwortet CEO Jäkel neben der Strategie auch Vermarktung, Digitales, das Europa-Geschäft sowie die Minderheitsbeteiligung am "
Spiegel". Ein Ressort Ausland gibt es nun nicht mehr. Neu ist dagegen die Vorstandssparte Produkt, die
Stephan Schäfer verantwortet. Für den 38-Jährigen, gerade mal fünf Monate Geschäftsführer aller Frauen-, People- und Living-Titel und zugleich seit acht Monaten Co-Chefredakteur des Frauen-Flaggschiffs "Brigitte", ist das der nächste Schritt einer Schwindel erregenden Karriere bei G+J. Seine Posten als Chefredakteur ("Brigitte", "
Schöner Wohnen") und Herausgeber (
"Essen & Trinken") gibt er ab. Die Geschäftsführung der Life-Gruppe behält Schäfer.
Was verbirgt sich hinter dem neuen Vorstandsressort Produkt? Schäfer verantworte das gesamte Titel- wie Produktportfolio - also auch nicht journalistische Angebote, die "im Rahmen des Auf- und Ausbaus definierter Communities of Interest zukünftig eine größere Rolle spielen werden", teilt G+J mit. Der Verlag legt Wert auf die Feststellung, dass es sich mitnichten um einen journalistischen Vorstandsposten handele - auch deshalb nicht, weil Schäfer alle auch nichtjournalistischen G+J-Angebote verantworte, siehe die "Communities of Interest". Hier dürfte er eher Geschäftsmodelle eruieren als journalistische Inhalte betreuen. Dennoch kann man auf den Aufschrei derer warten, die hinter der Bündelung der Verantwortung für journalistische und Commerce-Produkte eine degoutante Vermischung beider Welten sehen.
Die Chefredakteure des Hauses entscheiden weiterhin im Rahmen des Chefredakteurs-Prinzips über ihre redaktionellen Inhalte, so G+J. Ihre Berichtslinien an die Geschäftsführer
Thomas Lindner (Verlagsgruppe Agenda mit Titeln wie "
Stern", "
Neon", "
Geo" und "
Eltern") und
Soheil Dastyari (
"Capital" plus Corporate Publishing) blieben unverändert bestehen, heißt es. Die Chefredakteure der Frauen-, People- und Living-Titel berichten weiterhin direkt an Schäfer als Geschäftsführer - und damit auch an ihn als Produkt-Vorstand.
Nachdem bei G+J nun alle wichtigen Funktionen zentralisiert sind, darf man über die Auflösung der beiden (von ehemals fünf) verbliebenen Verlagsgruppen Agenda und Life als nächsten Schritt spekulieren - etwa zugunsten der "Communities of Interest" als Themen-Cluster à la Kochen, Wohnen und Eltern. "Ich denke zuerst in Ideen, dann in Menschen und dann in Strukturen", sagte Jäkel dazu jüngst in HORIZONT eher ausweichend. Wenn es so käme, wäre es spannend zu sehen, welche Interessenssparte G+J etwa für seinen General-Interest-Titel "Stern" herbeidefiniert. Und ob
Dominik Wichmann, der neue Chefredakteur des journalistischen G+J-Flaggschiffs, dann ebenfalls an "Produktpapst" Schäfer berichtet.
Radke wird Vorstand Operations
Zurück zum neuen Vorstand: Dritter im Bunde wird
Oliver Radtke, seit 2010 Geschäftsführer der G+J-Mehrheitsbeteiligung "
Sächsische Zeitung" in Dresden. Radtke ist am Baumwall wohlbekannt: Seit 1991 arbeitete er dort, zuletzt seit 2007 als Geschäftsführer Operations. Als Vorstand soll der 44-Jährige den Verlagsumbau steuern, gerade im Hinblick auf Kosten und Effizienz. In seiner Verantwortung liegen zudem Finanzen/Controlling, Vertrieb, die G+J-Mehrheitsbeteiligungen
Motor Presse Stuttgart und "Sächsische Zeitung", das US-Druckgeschäft von
Brown Printing sowie das Asiengeschäft von G+J.
Umblättern: Das neue Executive Committee von G+J
Geführt wird G+J künftig von einem Executive Committee, das neben den drei Vorständen aus drei weiteren Top-Managern besteht. Etwa Vermarktungs- und Digitalchef
Stan Sugarman, der das Digitalgeschäft nun nicht mehr nur für Deutschland verantwortet - sondern international. Man fragt sich allerdings, warum Sugarman angesichts der Bedeutung seiner Bereiche nicht ebenfalls in den Vorstand gerückt ist. Weil man das Gremium angesichts der zu erwartenden Gesundschrumpfung von G+J nicht vergrößern wollte? Oder weil man das Digitale eher als Gesamtverantwortung des Vorstands und daher als Querschnittsfunktion sieht? Wohl beides.
Außerdem im Executive Committee:
Rolf Heinz, bisher CEO der G+J-Frankreich-Tochter
Prisma Média, übernimmt zusätzlich die Leitung von G+J International Europe (neben Frankreich auch Spanien, Italien, Österreich, Polen und Niederlande). Und
Udo Stalleicken, bisher Leiter Finanzen, übernimmt als Chief Financial Officer die Gesamtverantwortung für die Bereiche Finanzen und Controlling.
Auslandsvorstand Klein muss gehen
Doch warum nun der Vorstandsumbau? Und warum legen die langjährigen Vorstände Klein (seit 2004) und Twardy (seit 2001) ihre Ämter - offiziell in "bestem Einvernehmen" mit dem Aufsichtsrat - nieder? Zumal G+J-Aufsichtsratchef Rabe beide im Pressetext so lobt?
"Beide haben über viele Jahre exzellente Arbeit in ihren jeweiligen Vorstandsfunktionen geleistet", so Rabe. Klein habe neben den vielen Managementleistungen im Bereich G+J International den Ausbau des China-Geschäfts zu einem der wichtigsten Märkte kräftig vorangetrieben, so der Aufsichtsratschef weiter. Aufsichtsratkreise meinen allerdings auch einen strategischen Portfolio-Blick aufs Ganze vermisst zu haben, jenseits aller Kosten-Maßnahmen. Inwieweit der Verzicht aufs Auslandsressort indirekt Spekulationen bestätigt, wonach Bertelsmann auf einen Rückbau des G+J-Auslandsgeschäfts - etwa durch einen (Teil-) Ausstieg im Krisenland Spanien sowie Frankreich - dränge, ist unklar. Es kann auch einfach nur wie im Digitalen eine funktionale statt regionale Organisationslogik dahinter stecken.
Und Twardy? "Ein herausragender Verlagsmanager und Finanzexperte", lobt Rabe. Allerdings: Twardy steht wie kein Zweiter für den von Bertelsmann abgeschmetterten Buchholz-Kurs der Diversifizierung durch eine neu aufzubauende Sparte Fachinformation.
In beiden, in Klein und Twardy, sehen die Gesellschafter offenbar eher Verlagsmanager alter Schule - in positiver wie in negativer Konnotation -, denen sie wohl nicht zutrauen, die Transformation der G+J-Inhaltegeschäfte in die digitale Welt mit nach vorne zu treiben. "Wir sind der Auffassung, dass die Transformation zu einem auch digital führenden Medienunternehmen eine inhaltliche und personelle Neuordnung des Managements erfordert", so Rabe.
Und dann lobt Rabe die neue CEO Julia Jäkel: Sie habe über die letzten Monate bewiesen, "dass sie mit Entscheidungs- und Gestaltungsfreude wichtige Veränderungen umsetzt - und dass sie mit hoher Glaubwürdigkeit für die publizistischen Werte von Gruner + Jahr steht".
rp/pap