Eklat auf großer Bühne: „SZ“-Team lehnt Nannen-Preis wegen „Bild“ ab

Bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preises ging es mal wieder turbulent zu
Bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preises ging es mal wieder turbulent zu
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  Ach herrlich, auch in diesem Jahr gibt's wieder einen Eklat beim Henri-Nannen-Preis, den Gruner + Jahr und sein „Stern" jährlich für die besten journalistischen Leistungen vergeben. Am Freitagabend wurden die Preise auf großer Bühne im Hamburger Schauspielhaus (über 1200 Gäste) verliehen, und gegen 21 Uhr kam der Moment zum Atemanhalten:

 
Hans Leyendecker sorgte bei der Preisverleihung für einen Eklat
Hans Leyendecker sorgte bei der Preisverleihung für einen Eklat
Investigativ-Legende Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung" lehnt seinen „Henri" höflich ab! Weil nicht nur er und sein „SZ"-Team für die beste investigative Leistung ausgezeichnet wurden (für die Aufdeckung der „Formel-1-Affäre" bei der Bayern LB) - sondern auch Springers „Bild" (für den ersten Beitrag über den Privatkredit und die mögliche Parlamentstäuschung des damaligen Bundespräsidenten Wulff). „Wir möchten mit ,Bild‘ nicht in einer Kategorie ausgezeichnet werden und möchten den Preis nicht annehmen", so Leyendecker zu Moderatorin Judith Rakers. Gegen die "Bild"-Kollegen richte sich die Entscheidung aber nicht, so der "SZ"-Mann. Sondern gegen das Jury-Urteil.

Zum achten Mal wurden die Henri-Nannen-Preise jetzt verliehen, und noch nie war „Bild" dabei. Schon im Vorfeld, nach der Nominierung auf die Shortlist, gab es dafür heftige Kritik. Darf „Bild" überhaupt so einen Preis erhalten? Ein Boulevardblatt? Manch einer in den feinen, intellektuellen oder selbst ernannt politisch korrekten Hamburger, Berliner und Münchner Medienkreisen meint anscheinend: nein. Oder hätte die Jury den Mut aufbringen sollen, sich nur für einen von beiden Titeln zu entscheiden, statt den Award diplomatisch zu teilen? Dass auch „Bild" gekürt werde, sehe er ein Stück weit als „Kulturbruch", so Leyendecker. Er und seine Kollegen jedenfalls wollten sich den Preis nicht mit dem Boulevardblatt teilen.

Die Bertelsmann-Chefs schauten zu: Liz Mohn, Thomas Rabe (re.) und G+J-Boss Bernd Buchholz (li.)
Die Bertelsmann-Chefs schauten zu: Liz Mohn, Thomas Rabe (re.) und G+J-Boss Bernd Buchholz (li.)
Und schon hatte der Abend wieder seine Diskussions- und Tuschelthemen:
Über die Bedeutung oder die angebliche Beschädigung des Henri-Nannen-Preises generell. Doch kann es etwas Besseres geben als Eklats und umstrittene Entscheidungen, über die dann jeder redet und räsoniert?
Über die Kompetenz und Uneinigkeit der 15-köpfigen Jury (darunter Giovanni di Lorenzo/"Zeit", Georg Mascolo/"Spiegel", Helmut Markwort/"Focus", Thomas Osterkorn/"Stern", Jan-Eric Peters/"Welt" und Ines Pohl/"taz"), die „Geo"-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede dem Vernehmen nach angeblich aus Protest über den Preis für „Bild" verlassen hatte (dies wäre sozusagen ein zusätzlicher G+J-interner Eklat).
Über die Frage, wie ein Recherche-Protokoll auszusehen hat, um höchstamtlich preiswürdig zu sein: Reichen - wie jetzt wohl bei „Bild"/Wulff - gezielte, entscheidende Hinweise eines Insider-Informanten als Auslöser und Schlüssel für eine Recherche, verbunden mit dem Mut, die Story mit großer gesellschaftlicher Bedeutung und Folgewirkung dann auch zu bringen? Oder muss es zwingend zunächst Instinkt-getriebene monatelange Watergate-würdige Wühlarbeit sein?
Über den Gedanken, welche Rolle Ideologie und persönliche Abneigungen gegen einzelne Titel bei solchen Preisverleihungen spielen (dürfen).
Und, scherzhaft, über die Frage, wie lange sich eigentlich die „Süddeutsche" zum Beispiel am Kioskregal noch den Platz mit „Bild" teilen möchte. Gibt es nicht auch dort zu viel Nähe zum bunten "Schmuddelkind"?

Die meisten Preisträger freuten sich über die Auszeichnung
Die meisten Preisträger freuten sich über die Auszeichnung
Auf jeden Fall hat die Verleihung des Henri-Nannen-Preises damit auch diesmal wieder ihren Aufreger. Man erinnere sich an vergangenes Jahr: 2011 hatte die Jury den Reportage-Preis an „Spiegel"-Redakteur René Pfister verliehen - für ein Porträt über Horst Seehofer, für das Pfister (wie in Portraits nicht unüblich) korrekt eine kleine Szene beschrieben hatte, ohne selbst vor Ort gewesen zu sein (wie in Reportagen üblich). Pfister wurde der Preis wenige Tage später deshalb wieder aberkannt; auch damals kam es zu Rücktritten von Jury-Mitgliedern.

Ach ja, es gab jetzt natürlich auch unumstrittene Preise, zum Beispiel für Stefan Willeke („Zeit"; Egon Erwin Kisch-Preis für die beste Reportage), Niklas Maak („FAS"; Essay) und für ein zwölfköpfiges Team des „Spiegel" (Dokumentation). Weitere Preisträger siehe hier, die Liste der Jury-Mitglieder siehe hier. Um den „Henri 2012" hatten sich Journalisten mit 872 Arbeiten aus 154 Print- und Onlinepublikationen beworben. rp

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