Das neue Handelsblatt - 5 Gründe, warum der Relaunch funktionieren könnte

Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer
Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer
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Das Handelsblatt wird umgekrempelt. Kein Relaunch einer Zeitung, sondern eine komplette Medienmarke für eine neue Entscheidergeneration - so interpretieren VHB-Geschäftsführer Joachim Liebler, Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer, sein Stellvertreter Peter Brors, Online-Chefredakteur Sven Scheffler und Art Direktor Nils Werner das, was sich ab 2. November mit einem "Businessformat" in Print, einer neuen Website, verbesserten Mobile-Anwendungen und viel Orange präsentieren wird. Die fünf "Handelsblatt"-Macher hatten vier Blogger zum Schulterblick in die Düsseldorfer Kasernenstraße eingeladen. HORIZONT-Chefredakteur Volker Schütz war auch unter den Gästen - und bringt 5 Argumente, warum die Strategie des Liebler/Ziesemer-Teams aufgehen könnte.

1. Die Krise wird produktiv und kreativ genutzt.
  Auch in Düsseldorf könnte man im Oktober 2009 die verlagstypischen Jammer-Gesänge einstimmen: Die für das "Handelsblatt" wichtigen Werbekunden aus dem Finanzbereich  lecken immer noch ihre Wunden, schalten aber keine Anzeigen. Die Verlagsgruppe, zu der auch "WiWo", "Junge Karriere" und Fachtitel gehören, wird wohl einen Verlust in einstelliger Millionenhöhe einfahren. Kostendruck und Sparzwang machen deshalb auch der VHB mehr zu schaffen, als nach außen kommuniziert wird. Und Dieter von Holtzbrinck hat nach der Übernahme der Gruppe im Juni ziemlich schnell zu erkennen gegeben, dass er zwar Print liebt - aber als Verleger auch ökonomisch solides Kalkül zu schätzen weiß. Jeden Punkt für sich genommen, würde andere Verlage in tiefe Selbstzweifel mit akuten Lähmungserscheinungen stürzen. Das "Handelsblatt" macht das Beste aus einer schwierigen Situation - und versucht, sich selbst neu zu erfinden.

Medienmarke vor Neu-Anfang
Medienmarke vor Neu-Anfang
2. Vorwärtsstrategie statt Defensivblockade. Wer von Broadsheet auf Tabloid umstellt, gerät im deutschen Zeitungsmarkt schnell in den Verdacht, ein Loser zu sein, jemand, der Sparen muss, weil das miese Geschäft ihn sonst in die Knie zwingen würde. "Handelsblatt"-Chefredakteur Ziesemer sagt: "Wir stellen nicht um, weil wir sparen müssen, sondern weil wir eine Medienmarke schaffen wollen, die den Anforderungen unserer Zielgruppen entspricht." Tabloid, im "Handelsblatt"-Jargon Businessformat genannt, verkörpere Mobilität, Schnelligkeit, Modernität, kompakte Informationsaufbereitung - Eigenschaften, die für online- und mobile-erfahrene Abonnenten immer wichtiger werden.
3. Es geht nicht um einen Print-Relaunch, sondern um eine Medienmarke.  Relaunch heißt in der Regel: Ein Blatt wird verändert, eine Website neu aufgebaut. Es ist ein kluger Schachzug des „Handelsblatt", nicht nur das Blatt, sondern die komplette Marke zu repositionieren. Dies signalisiert Lesern wie Anzeigenkunden, dass die Verantwortlichen crossmedial und vernetzt denken. Und sein eigenes Produkt nicht als Nebeneinander von unterschiedlichen Baustellen begreift. Dies macht sich auch in einzelnen Facetten bemerkbar: Ein neues Logo schmückt Print und Online. Und die Website heißt nicht mehr Handelsblatt.com, sondern Handelsblatt (Webadresse bleibt die alte com-Domain). Bei Mediaagenturen, erzählt VHB-Geschäftsführer Liebler, kommt das Konzept „sehr gut" an. Bei den Lesern auch - sagt zumindest die Marktforschung im Vorfeld des Launches.

4. 
Aufbau und Struktur des neuen (Print-)Handelsblatt stimmen.  Das „Handelsblatt" wird kleiner. Aber es wird nicht kleinteiliger. Der Hang zu den Informationshäppchen, den Mini-Meldungen, dem kleinteiligen Seitenaufbau, der bei Tabloids im Publikumsbereich, siehe „Welt kompakt", funktioniert, wäre für ein Wirtschaftsmedium eine Sackgasse. Die wichtigen Geschichten im neuen „Handelsblatt" werden auf zwei Seiten präsentiert. Das schafft Überblick für den Leser, ermöglicht der Redaktion unabhängig von den Ressorts die notwendige Flexibiliät im Alltag. Den großen Ressorts Politik, Unternehmen und Finanzen ist ein aktueller Teil mit Nachrichten des Tages, einem Report und einer ausgebauten Meinungs-Strecke vorgelagert.
So sieht der neue Online-Auftritt aus
So sieht der neue Online-Auftritt aus
5. Online first? No way!  Zugegeben: Der Relaunch des Internet-Auftritts hätte einen Tick spektakulärer ausfallen können. Immerhin: Die Homepage wurde komplett erneuert und wesentlich übersichtlicher gestaltet. Gimmicks wie die Möglichkeit für Leser, die Homepage nach Topthemen, Schlagzeilen und Börse zu konfigurieren, werden mit dem neuen Netzauftritt abgeschafft (interessant: Beim Handelsblatt-Konkurrenten FTD wurden ähnliche Homepage-Varianten gerade eingeführt). Beim Relaunch von Spiegel Online hat man kritisiert, dass der neue Seitenaufbau weniger den Lesebedürfnissen als den Bedürfnissen der Werbekunden entgegenkommt. Dem Team um Online-Chefredakteur Sven Scheffler ist der Balance-Akt zwischen Leser- und Anzeigenkunden-Bedürfnissen größtenteils geglückt. Für das zarte Pflänzlein Bewegtbild sorgt vor allen Dingen eine Kooperation mit der ARD. Deren werbefreie „100-Sekunden-Tagesschau" übernehmen die Düsseldorfer. „Bewegtbild wächst, aber wir können natürlich mit den Fernsehsender nicht Schritt halten", sagt Scheffler.  Ganz zentral: Im Gegensatz zur Strategie anderer Verlagshäuser ist das „Handelsblatt" nicht auf dem „Online First"-Trip. Chefredakteur Ziesemer: „Geschichten, die wir exklusiv im Handelsblatt haben, werden wir künftig nicht sofort online stellen." Das macht für einen Finanztitel wie das „Handelsblatt"  Sinn - auch wenn nur 15 Prozent der Leser die Handelsblatt-Website regelmäßig besuchen. Das muss sich ändern: 10 Prozent des „Handelsblatt"-Umsatzes soll in absehbarer Zeit mit Paid Content gemacht werden (derzeit: rund 5 Prozent). Das funktioniert nur, wenn das Digital-Produkt stimmig ist und konservative Print-Nutzer auf die Website gezogen werden. Bernd Ziesemer, ein ohnehin optimistischer Chefredakteur, ist auch beim Thema Paid Content guten Mutes. „Wir haben so eine spitze Positionierung", sagt er, „bei uns wird Paid Content besser funktionieren als der FAZ, der Süddeutschen und anderen." vs
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