Als kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft Fotos der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auftauchten, hätte man ahnen können, dass sich diese Angelegenheit nicht so einfach wegmoderieren lässt.
Dass der Deutsche Fußball-Bund dies kurz vor Beginn des Turniers dennoch versuchte, ist verständlich. Aber eigentlich hätte man bei dem Verband spätestens seit dem Vorbereitungsspiel gegen Saudi-Arabien gewarnt sein müssen, als Gündogan gnadenlos ausgepfiffen wurde. Özil spielte damals nicht, sonst wäre es ihm wohl ähnlich ergangen. Unverzeihlich ist jedoch, wenn Nationalmannschafts-Manager
Oliver Bierhoff nach der Enttäuschung des Vorrunden-Aus
der Welt ein Interview gibt und erklärt, man hätte sich überlegen müssen, aus sportlichen Gründen auf Özil zu verzichten.
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Zur Farce wird die Geschichte dadurch, dass Bierhoff
wenige Tage später im ZDF auftritt, um seine Aussagen aus dem Welt-Interview wieder einzufangen. Ein Interview, das vom DFB gegengelesen und freigegeben wurde! Der sportlich verantwortliche Bundestrainer
Joachim Löw verabschiedet sich derweil in den Urlaub und sagt gar nichts. Und als wäre das noch nicht genug, steht nun auch DFB-Präsident
Reinhard Grindel in der Kritik. Der hatte Özil
via Kicker dazu aufgefordert, sich nach seinem Urlaub öffentlich zu erklären. Das klang vor der WM, als die Affäre mit einem Termin der Spieler bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vermeintlich erledigt war, noch ganz anders.
Einige Beobachter und auch der eine oder andere Journalist sahen hier Kai Diekmanns Social-Media-Agentur
Storymachine am Werk. Tenor: Ein ehemaliger Chefredakteur der Bild,
die eine Kampagne gegen Özil fährt, diktiert dem DFB-Chef Anti-Özil-Tweets in die Tastatur. Diese Meinung fußt auf einer Nachricht aus dem Frühjahr. Damals
berichtete Funke-Sportchef Pit Gottschalk, dass sich der DFB von Storymachine in Sachen Social Media beraten lasse. Beide Seiten haben das nie bestätigt.
Damit ist allerdings nur die halbe Geschichte erzählt. Nach HORIZONT-Informationen hat Storymachine den DFB lediglich zu Beginn des Jahres strategisch beraten. Daraus entsprang die Idee, den DFB-Präsidenten twittern zu lassen. Operativ tätig war Storymachine allerdings nicht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung musste eine entsprechende Behauptung nun in der gedruckten Ausgabe richtig stellen.
Dennoch macht die Geschichte von der Diekmann-Grindel-Connection fleißig weiter die Runde, etwa heute in der
Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau: "Für ein glaubwürdiges 'Wir schützen Özil vor Rassismus' aus dem Hause DFB ist es ohnehin schon zu spät. Wahrscheinlich hat Christdemokrat Grindel sich dafür auch den falschen Berater fürs eilige Onlinegeschäft ins Haus geholt. Es ist der ehemalige 'Bild'-Chef Kai Diekmann." Dass zwischen beiden mindestens seit einem halben Jahr keine Zusammenarbeit mehr besteht, erfährt der Leser nicht. Genauso wenig
bei taz.de und der
Süddeutschen.
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Man kann zu Kai Diekmann und der
Über-Inszenierung von Storymachine via Twitter (Stichwort: Birkenwald) denken wie man will. Man darf das gerne überheblich und aufgeblasen finden. Und natürlich hat die Bild versucht, sich über das Özil-Thema zu profilieren. Man sollte aber auch Menschen, die man nicht mag, nicht etwas andichten, nur weil es so schön klingt.
Natürlich hat Storymachine durch konsequentes Schweigen diesen Spin erst entstehen lassen. Insofern hat die Agentur ein ähnliches Problem wie der DFB: Wer nicht oder unangemessen kommuniziert, riskiert, dass Geschichten ein Eigenleben entwickeln.
ire
Der DFB, die Medien und Kai Diekmann