Virtual Reality war lange nur etwas für Visionäre. Aus Sicht von Thomas Port sollten sich die Medienunternehmen aber dringend dem Thema annehmen. Der Geschäftsführer von SevenOne Media glaubt, dass die Entertainment-Branche von der neuen virtuellen Dimension massiv profitieren kann, wenngleich die VR-Zukunft ganz andere Anforderungen an den Content-Produktionsprozess stellt. In seiner Kolumne für HORIZONT Online fordert Port daher Publisher und Medienunternehmen auf, möglichst zügig in die neuen Möglichkeiten zu investieren.
Am 21. Juli 1969 betrat mit Neil Armstrong erstmals ein Mensch den Mond – die internationale Fernsehwelt schaute zu. Die Live-Übertragung war wackelig, der Ton verrauscht und das TV-Erlebnis schwarz-weiß. Die Bilder jedoch haben wir lebenslang in unseren Köpfen gespeichert.
Heute träumt ein Teil der Menschheit von der Eroberung des Mars. Sicher würde auch dieses Ereignis ein globales Mega-Event werden, noch eindrucksvoller und faszinierender. Denn dann können die Menschen selbst Astronaut werden und die Eroberung des roten Planeten in einer Intensität miterleben, als würden sie tatsächlich der Raumfähre entsteigen. Möglich via neuer Virtual Reality Kamera-Technologien, die beispielsweise das US Start-up SpaceVR für die virtuelle Reise durchs All entwickelt hat.
Die Diskussion über virtuelle Realitäten ist nicht neu. Jetzt scheint aber der Zeitpunkt gekommen, dass aus einer verspielten Idee markttaugliche Umsetzungen realisiert werden können. Den finalen Beweis hierfür haben in 2015 die CES Las Vegas sowie die Gamescom Cologne geliefert. Auf beiden Leitmessen waren VR-Brillen mit neuen aufregenden Contents der absolute Renner. Über Mobile-Anbindungen sind die dazu erforderlichen Head-Mounted Displays (HDM) auch attraktiver für den breiten Markt geworden. Die Anwendungen benötigen weniger Leistung und eröffnen somit ein breites Spektrum von Entertainment, Video, Traveling, Social bis hin zu eSports.
Diese Evolutionsstufen demonstrieren, wie sehr die Digitalisierung alte Silos niederreißt und die Interdisziplinarität vorantreibt. So finden sich unter den bisherigen HDM-Anbietern neben den US Big Boys Google und Facebook auch Samsung, Sony, Razor, Zeiss oder HTC.
Die Entertainment-Branche profitiert von der neuen virtuellen Dimension. Auch TV-Content wird um eine intensive Live-Komponente erweitert, Involvement und Emotionalität des Nutzers gesteigert: Mit einer HDM auf der Nase steht der Zuschauer plötzlich zwischen Joko und Klaas auf der Bühne oder mitten im Showdown vor der Jury bei „The Voice of Germany“. Oder er fliegt mit „Galileo“ über die Niagara-Fälle oder kniet neben Thomas Müller beim Elfmeter in der Allianz Arena. Im Servicebereich lässt sich per 360-Grad-View ein Gang durch das Ferien-Hotel simulieren oder man lässt sich von neuen Interieur-Designs im Night Club inspirieren.
Auch die Interaktion im sozialen Netz ließe sich grundlegend revolutionieren. Internet Nutzer werden nicht länger darauf beschränkt, sich schriftlich mit Freunden auszutauschen. Bald lässt sich virtuell hautnah tanzen, trinken, chatten, spielen, sexeln. Einfach nur gemeinsam Filme anschauen geht natürlich auch.
Die VR-Zukunft stellt allerdings neue Anforderungen an den gesamten Content-Produktionsprozess: Ohne relevanten, aufregenden Content wird keine exponentielle Nutzung entstehen und damit keine Profitabilität möglich sein. Je schneller die Publisher und Medienunternehmen in die neuen Möglichkeiten investieren, und den Zuschauern ergreifende emotionale Erlebniswelten eröffnen, desto schneller wird sich der Markt über das neue Wachstumsfeld freuen.
Das bedeutet Mut zum schnellen Durchstarten. Umsonst gibt es auch bei VR nichts. Technologisch bedarf es neuer softwarebasierter Kameratechnologie, Sounddesign sowie erhöhter Serverleistungen bei Live-Produktionen. Die zunehmende Masse an Bildern, Videos und 360°-Animationen hat ihren Preis. VR stellt Autoren und Programmierer vor neue Herausforderungen, etwa durch die Erschaffung großer Umgebungen.
Gleichwohl: Die Prognosen sind so überzeugend, dass sich der Einsatz lohnen sollte. Der Gesamtmarkt wird bis 2020 auf 46 Milliarden Euro geschätzt. Dabei werden kurzfristig die Zuwächse durch den Hardware-Vertrieb getrieben, langfristig eher über die Content-Angebote.
Zugegeben: Wir befinden uns noch im Frühstadium der Marktentwicklung und die neuen Technologien konnten den „Verbraucher auf der Straße“ noch nicht breitenwirksam erreichen. Mit der virtuellen Realität stehen jedoch technische Optionen bereit, die uns in neue Dimensionen führen können. Live-Erlebnisse der ganz anderen Art: Popkonzerte werden direkt aus der ersten Reihe verfolgt, bislang verborgene Abläufe hinter der Bühne werden erstmals sichtbar, Fangruppen können auf virtuelle Tuchfühlung mit ihren Idolen gehen. Die Perspektiven sind so verlockend wie der erste Ausflug ins All. Der Countdown hat überall auf der Welt begonnen, nicht nur in Houston.