Ewald Pusch, Neverest
Trotz Hype um Netflix, Amazon Video & Co

Warum TV noch immer das wichtigste Massenmedium für Werbung ist

Lineares Fernsehen ist tot. Klassische TV-Sender können abdanken. Der Hype um Streaming-Anbieter wie Netflix und Amazon befeuert steile Thesen wie diese. Doch ist da überhaupt was dran? Ewald Pusch, Geschäftsführer der Film- und Bewegtbildagentur Neverest, glaubt das nicht. In seinem Gastbeitrag auf HORIZONT Online bricht er eine Lanze für das gute alte lineare Fernsehen, das noch immer "das Massenmedium mit der größten Reichweite und der stärksten Impulskraft für Werbungtreibende" sei.
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Wer schaut eigentlich noch lineares Fernsehen? Niemand, oder? Wir gucken doch alle on demand bei Netflix & Co. Oder bei Youtube, Facebook beziehungsweise Instagram für den kleinen Bewegtbild-Hunger zwischendurch. Also machen wir lieber eine Social-Media-Kampagne und buchen die angesagtesten Influencer, oder? Kann man machen, empfehlen würde ich es nicht. Denn wenn die gefühlte Wirklichkeit auf die Realität trifft, dann erweist sich das gute alte lineare Fernsehen immer noch als das Massenmedium mit der größten Reichweite und der stärksten Impulskraft für Werbungtreibende.


Mögen die Zuschauer der linearen (Privat-)TV-Welt vielleicht "ein bisschen fettleibig und ein bisschen arm" sein, wie der scheidende Pro-Sieben-Sat-1-Vorstandschef Thomas Ebeling in einem Call mit Analysten unlängst meinte, sie kaufen trotzdem. Auch wenn das Durchschnittsalter der Free-TV-Zuschauer im Durchschnitt zwischen 40 (Pro Sieben) und Rente (ZDF) liegt, sitzen immer noch deutlich mehr junge Zuschauer vor der „Glotze“ als man denkt. Zumal im Zeitalter von Second und Third Screen mehr Bewegtbild parallel genutzt wird. Laut Statista haben im vergangenen Jahr 78 Prozent der Deutschen täglich ferngesehen, im Schnitt 248 Minuten. Das sind über vier Stunden am Tag. Das Internet, zum Vergleich, kommt laut ARD-ZDF-Online-Studie im selben Zeitraum auf 149 Minuten. Und auch die 14- bis 29-Jährigen, die täglich über vier Stunden (274 Minuten) im Netz surfen, sitzen trotzdem noch knapp zwei Stunden vor dem größten Screen.

Im Fernsehmarkt sind besonders die Privatsender auf dem Spartrip, verfolgen ein weitgehend ideenloses Marketing und schöpfen ihr Potenzial nicht aus. Die Aktionäre mögen das kurzfristig goutieren, langfristig muss den Sendergruppen mehr einfallen.
Ewald Pusch
Videowerbung im Facebook-Stream oder auf YouTube? Nice! Aber der TV-Spot ist immer noch die Königsdisziplin der Werbung. Ja, Fernsehen adelt Marken immer noch, auch im Zeitalter von Digitalisierung, On-Demand-Nutzung und Streaming. Das wissen auch die Unternehmen, die im Web groß (geworden) sind: 2017 stieg laut iBusiness die Zahl der im Werbefernsehen ausgestrahlten Spots für E-Commerce-Firmen um acht Prozent (von 779.225 in 2016 auf 846.054 in 2017), während die Anzahl an Commercials klassischer Werbungtreibender mit plus ein Prozent fast konstant blieb.

Sparen ist keine Zukunftsstrategie

Obwohl klassisches, lineares Fernsehen also noch eine weitaus stärkere Stellung hat als es die Euphorie um Netflix, Amazon Prime & Co. suggeriert, läuft das Medium in eine existenzielle Gefahr: Ein wenig erinnert einen der deutsche Free-TV-Markt an die Situation der Tageszeitungen vor zehn Jahren. Die Reichweite sinkt und die Erlöse werden erzielt, indem man dort spart, wo Innovation am nötigsten wäre: bei Redaktionen und Inhalten, neuen Formaten und Produkten.
Videowerbung im Facebook-Stream oder auf YouTube? Nice! Aber der TV-Spot ist immer noch die Königsdisziplin der Werbung.
Ewald Pusch
Das Ergebnis ist bei den Tageszeitungen bekannt. Im Fernsehmarkt sind besonders die Privatsender auf dem Spartrip, verfolgen ein weitgehend ideenloses Marketing und schöpfen ihr Potenzial nicht aus. Die Aktionäre mögen das kurzfristig goutieren, langfristig muss den Sendergruppen mehr einfallen.

Festplatten-Recorder, Mediatheken und Streaming-Angebote prägen die On-demand-TV-Welt und auch unser Nutzungsverhalten der Zukunft. Daneben, in der derzeit noch dominierenden linearen TV-Welt aber gibt es jede Mange Bedarf für entspanntes Lean-Back. Für kuratiertes Fernsehen, das persönliche Vorlieben berücksichtigt und dem Zuschauer die mühsame Arbeit der Auswahl abnimmt. Und ihm ein Angebot macht, das er nicht ablehnen will. Wenn nicht, dann werden viele Zuschauer keine Rose und kein Bild mehr für "ihre" Sender haben.

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