Wer hätte das gedacht: Print wird in Gestalt der digitalen Zeitung zum Rettungsanker der Digitalaktivitäten von Premiumtiteln. Einige Argumente, warum die Strategie von „SZ“ und „FAZ“ aufgehen könnte.
Seit Jahren vergeuden deutsche Medien Zeit, Geld und jede Menge Kreativität mit immer unsinnigeren Methoden, auf Teufel komm raus die Reichweite zu steigern. Seit Jahren werden jedem neuen redaktionellen Format mindestens zwei neue Anzeigenplätze untergejubelt. Und seit Jahren wabert die Debatte Print versus Online nicht nur beim „Spiegel“ über die Redaktionsflure wie der Dunst in John Carpenters Horrorfilm „The Fog – Nebel des Grauens“ über eine kleine, verschlafene US-Stadt.
Die „Süddeutsche“ macht vor, wie es anders geht. Die „FAZ“ will ab Herbst noch eine Schippe drauflegen und ebenfalls unter Beweis stellen, dass sich Qualitätsjournalismus auch digital verkaufen lässt.
Lange galt die Regel: Es gibt Print. Und es gibt Digital. Medien sind mit ihren Marken hier wie dort vertreten. Schlimmstenfalls funktionieren sie gegeneinander. Bestenfalls nebeneinander. Die „Süddeutsche“ zeigt, wie man aus Website, Zeitung und Magazin eine integrierte Medienmarke schafft. Ihr Fokus liegt auf dem Verkauf von Werbung wie dem Vertrieb von Inhalten.
Dabei hat das Team von
SZ-Onlinechef Stefan Plöchinger ein Grundprinzip vieler amerikanischer Homepages – Content, nicht Advertising ist King – übernommen. Doch das eigentlich Neue ist die Verve, mit der die digitale Zeitung verkauft werden soll. Auch die „FAZ“ wird ab Spätherbst vor allen Dingen die digitale Ausgabe der Tageszeitung ins Zentrum der Aktivitäten stellen. Schon jetzt haben 50.000 Menschen die Zeitung der klugen Köpfe in einer E-Paper-Variante abonniert.
Die multimedial-digitale Tageszeitung soll die Abonnentenzahlen aber deutlich nach oben pushen. „Bei uns werden die digitalen Vertriebserlöse ziemlich rasch höher liegen als die digitalen Werbeumsätze“, prognostiziert „FAZ“-Digitalchef
Mathias Müller von Blumencron optimistisch.
Dass auf einmal die Zeitung zum Rettungsanker und/oder Hoffnungsträger für Qualitätstitel wie „SZ“ und „FAZ“ wird, hat viel mit den eher mittelmäßigen Online-Werbeumsätzen zu tun. Es ist keine neue Erkenntnis, aber eine, die Verlage immer dringender zum Handeln zwingt: Mit Werbung alleine lassen sich Websites nur in Ausnahmefällen dauerhaft profitabel betreiben. Und zwar nicht nur für ein oder zwei Jahre, sondern im Sinne eines nachhaltigen Geschäftsmodells.
Seit 1995, als auf Spiegel Online das erste Banner auf einer deutschen Website geschaltet worden war, ist die Wertschöpfungskette im Vergleich zu Print erbärmlich schlecht. Und sie ist nicht besser geworden, im Gegenteil. Die Preise, so hört man immer wieder, befinden sich im freien Fall. Das trifft Marken, deren USP qualifizierter Journalismus ist, stärker als andere, schlicht und ergreifend, weil die Personalkosten in der Regel höher sind: Auch im digitalen Zeitalter kostet guter Journalismus Geld, das gilt für Krautreporter genauso wie für die „FAZ“.
An der Werbemisere ist übrigens nicht Google, der Lieblings-Erzfeind der deutschen Verleger, schuld. Überangebot, gnadenlose Konkurrenz untereinander und verlagsfremde Angebote wie Heftig oder Buzzfeed forcieren den Umsatz-Schlamassel. Als ob das nicht schon genug wäre, hat sich mit dem Siegeszug von Mobile ein weiteres deftiges Problem ergeben: Digital konkurriert nämlich permanent mit sich selbst. Mobile, stationär, iPad haben nicht nur unterschiedliche Preise, sondern auch zig unterschiedliche Formate. Während in den klassischen Medien wie Print oder TV die Werbeformate auf einem Bierdeckel auflisten kann, braucht man für das digitale Werbeuniversum eine halbe Bücherei.
Dass man mit Artikeln über dreibrüstige Frauen oder den minütlichen Updates über den Gesundheitszustand komatöser Sportler die Anzahl der Besucher nach oben katapultieren kann, weiß jeder. Dieses Spiel kann man, muss man und – je nach Positionierung – sollte man nicht mitspielen. Insbesondere für „FAZ“ und „SZ“ macht es keinen Sinn, bei der unsinnigen Reichweitenjagd bedingungslos mitzumachen. Das bedeutet allerdings auch: Weil Werbung derzeit über die Reichweitenzahlen der IVW und der Agof verkauft wird, ist das mögliche Umsatzwachstum für weniger reichweitenstarke Titel relativ begrenzt. Weniger Werbung heißt bei Publikumstiteln irgendwann automatisch auch: weniger Umsatz.
Oder, wie Mathias Müller von Blumencron im HORIZONT-Interview lapidar feststellt: „Weil die Qualitätsreichweite der „FAZ“ niemals die Flughöhe von Boulevardreichweiten erzielen kann, brauchen wir noch andere Ertriebsquellen als Werbung. Wir müssen unser Produkt digital noch besser verkaufen.“
Thomas Koch hat Medienhäuser
vor kurzem aufgefordert, „Paid Content kompromisslos schon beim ersten Artikel einzusetzen“. Nur das sei „Paid Kotelett“, alles andere „Gammelfleisch“. Lieber Thomas Koch, ich glaube nicht, dass es ein einziges allgemeingültiges Geschäftsmodell für Medien noch geben kann. In Print mag das – die Kombination von Anzeigen und Vertrieb – jahrzehntelang funktioniert haben. Im Digitalen kann es diese Einheitlichkeit nicht geben. Die Website komplett auf Paid Content umzustellen, mag für die „Rhein-Zeitung“, Kochs Paradebeispiel, die richtige Strategie sein. Lokalzeitungen können nicht mit den großen, überegionalen oder gar globalen Titeln konkurrieren. Damit kann man sich mit guten Grund und Gewissen von der Reichweitenjagd verabschieden. Wer das lokale Infobusiness im Griff hat, braucht keine Klickbestätigung durch ein nationales oder gar globales Publikum. Paid Content wird zu einem attraktiven Gegenmodell zum herkömmlichen Bannerverkauf. Aber warum sollte das, was für regionale Angebote gilt, umstandslos für andere gelten?
Wenn Thomas so von Paid Content überzeugt ist – warum sind dann seine Artikel kostenlos auf Wuv.de oder Wiwo.de zu lesen? Genau – weil Koch genauso wenig wie andere darauf verzichten will, mit seiner Meinung präsent zu sein, gelesen zu werden. Gerade für Qualitätstitel gilt: Wer Meinung machen will, muss erreicht werden können.
Aus diesem Grund wird es bei der „FAZ“ im Gegensatz zur „SZ“ kein Metered-Modell geben. FAZ.net wird auch nach dem Launch der digitalen Zeitung weitgehend kostenfrei bleiben, allerdings gibt es Verlinkungen auf die kostenpflichtigen Inhalte der digitalen „FAZ“-Zeitung. „Wir haben den Anspruch, eine digitale Premiumzeitung zu publizieren, die Lesern alle multimedialen Möglichkeiten des Netzes anbietet.“ Das sagt Mathias Müller von Blumencron im HORIZONT-Interview.
Der Satz hätte von SZ.de-Chefredakteur Plöchinger sein können, und – wenn man „Premiumzeitung“ durch „Lokalzeitung“ ersetzt -, auch von „Rhein-Zeitung“-Chefredakteur Christian Lindner. Er zeigt: So viel Aufbruch wie derzeit war lange nicht mehr bei Deutschlands Zeitungen. Das ist gut so.