Roland Pimpl
"Spiegel"-Geschäftsführung

Was Thomas Hass jetzt anpacken muss

Seine Mission ist klar, die Eigentümer des Spiegel-Verlags haben sie sogar in die Pressemitteilung zu seiner Inthronisation hineindiktiert. Was Thomas Hass, der neue Geschäftsführer der Gruppe ("Spiegel", Spiegel Online, "Manager Magazin"), jetzt zu tun hat.
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"Er weiß, vor welchen Herausforderungen der Verlag steht", erklären die Gesellschafter des "Spiegel", also Mitarbeiter KG (50,5 Prozent), Gruner + Jahr (25,5) und die Augstein-Erben (24). Fürwahr: Das mittelständische Haus muss erstens ein schlüssiges Print-Digital-Konzept entwickeln und dann auch umsetzen, zweitens alle Kosten in allen Bereichen an gesunkene und weiter sinkende Erlöse anpassen – heißt: sparen, auch Stellen streichen – und drittens in sich einen inneren Frieden herstellen und unterschiedliche Bereiche miteinander versöhnen. Und Thomas Hass bringt keine schlechten Voraussetzungen mit, diese Aufgaben zu stemmen.

Thomas Hass wird der neue starke Mann beim Spiegel-Verlag
Olaf Ballnus/Der Spiegel
Thomas Hass wird der neue starke Mann beim Spiegel-Verlag

1. Das Print-Digital-Konzept

Dahinter steckt die Frage, wie die Produktwelt der Marke "Spiegel" im digitalen Zeitalter aussehen soll, also die Themen, ihre Tiefe und Taktung in den Kanälen Print, App, Online und Mobile. "Spiegel 3.0", das Konzept des bisherigen Geschäftsführers Ove Saffe und des früheren Chefredakteurs Wolfgang Büchner, hatte hier mögliche Antworten gegeben: Zusammenführung der Print- und Online-Ressortleitungen, Ausbau der digitalen Bezahlangebote (Online und App), die Gratis-Site Spiegel Online als Eintrittsplattform dafür. Dies würde mehr Macht und Geld für die Onliner bedeuten, nicht nur im Arbeitsalltag.
Noch am 25. August 2014 hatten sich alle Gesellschafter öffentlich dazu bekannt: "Das Projekt von Chefredaktion und Geschäftsführung für die engere Verzahnung von Print und Online, das unter dem Namen Spiegel 3.0 bekannt geworden ist, findet die Unterstützung aller Gesellschafter." Später haben sie auch noch einer modifizierten Variante zugestimmt, abgeschwächt bei dem Punkt gemeinsamer Ressortleitungen.

Redakteure weisen darauf hin, dass "3.0" nie alternativlos gewesen sei. Arbeitsgruppen hätten zuvor auch andere Konzepte erstellt. Konzepte, die größeren Wert auf das Magazin legen und weniger Wert auf den Ausbau der App durch zusätzliches (Recherche-) Material und diverse Services. Manch einer bevorzugt eine niedrigere Paywall auf Spiegel Online, mehr Mobile-Logik und eine weiterhin stärkere Trennung zum Magazin. Andere würden gerne erst neue Inhalte- und Produktideen ausprobieren, bevor Redaktionswände eingerissen werden.

Dem Vernehmen nach dringt auch der neue Print-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer auf mehr blattmacherische Energie fürs Magazin, um dessen Auflagenverfall zu bremsen. Außerdem treibt ihn wohl die Sorge um, ein zu boulevardeskes Spiegel Online könnte der Gesamtmarke schaden. Hier muss sich Brinkbäumer mit seinem Online-Pendant Florian Harms einigen, sitzt aber als Herausgeber der Site am längeren Hebel. Und bei Streit muss vermitteln und sowieso immer alle Geschäftszahlen im Blick halten: Thomas Hass.

2. Die Kosten

Auch die traditionellsten Traditionalisten beim „Spiegel“ beteuern, dass Wandel nötig sei, irgendwie, irgendwo – besonders da, wo man selbst davon verschont bleibt. Und wenn nichts geschieht? Im Herbst 2014 hatte Saffe den Gesellschaftern vorgerechnet, dass der „Spiegel“ in diesem Fall in drei bis fünf Jahren (also schon 2017, spätestens 2019) in die roten Zahlen rutsche. Und da der Verlag wegen hoher Ausschüttungen kaum Rücklagen hat, müssten die Gesellschafter Kapital nachschießen. Doch wer? Die Mitarbeiter? Sicher nicht; ihre Ausschüttungen sind längst verfrühstückt. G+J? Die Augsteins? Wohl kaum. So könnte der "Spiegel" irgendwann seine Eigenständigkeit verlieren und Übernahmekandidat werden.
Natürlich, noch ist es nicht soweit. Noch sprudeln Gewinne – aber sie sinken, weil Anzeigen- und Vertriebserlöse sinken, mal mehr, mal weniger. Daher muss Hass an alle Kosten ran. Argumentative Vorarbeit hatte Vorgänger Saffe Ende 2012 geleistet und Stellenstreichungen angekündigt, überall: Verwaltung, Vermarktung, Vertrieb, sogar in der Printredaktion. Hier gab es auch Abfindungsprogramme, die aber offenkundig kaum genutzt wurden. Daher dürfte sich Hass (und im Falle der „Spiegel“-Redaktion auch Brinkbäumer) die Frage stellen, ob Fluktuation weiterhin ausreicht – oder ob das Haus zudem (betriebsbedingt) kündigen muss.

3. Der innere Frieden

Der „Spiegel“ gehört mehrheitlich rund 730 der über 1100 Mitarbeitern der Gruppe: Stille Gesellschafter sind Print-Redakteure, Dokumentare und kaufmännische Verlagsangestellte. Sie bilden die Mitarbeiter KG und wählen alle drei Jahre eine fünfköpfige Geschäftsführung. Hass, bisher Vertriebschef, war bis jetzt einer von ihnen, zuletzt lange sogar Sprecher des Gremiums (sein KG-Amt gibt er auf, es wird nachgewählt). Jetzt wird Hass quasi zum Angestellten seiner bisherigen (KG-) Kollegen – und zugleich im Alltagsgeschäft zum Chef der Verlagsvertreter dort. Schon diese Rollenwechsel müssen alle Seiten erstmal hinkriegen. Hinzu kommt: Die fünf KG-Chefs sind sich häufig uneinig – sachlich, auf persönlicher Ebene und auch deshalb, weil auch sie öfters in Rollenkonflikte geraten: So können Entscheidungen, die für das gesamte Haus richtig sind, für sie selbst oder für ihre lieben Kollegen, die sie gewählt haben, Nachteile bedeuten. Oder umgekehrt. In den fetten Jahren hat das Mitarbeiter-Modell halbwegs gut funktioniert, weil immer genug Geld da war, um Gräben großzügig zuzuschütten. Doch die Zeiten werden härter, Konflikte müssen nun anders gelöst werden.
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Doch hier steht sich das Haus mit seiner Verfasstheit oft selbst im Weg: Auf der einen Seite die Spiegel-Onliner, die Reichweiten- und (zumindest bis 2013) Umsatzzuwächse verbuchen können – die aber offiziell wenig zu sagen haben. Und auf der anderen Seite die Printler, deren traditionell stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein durch rückläufige Auflagen und Umsätze angegriffen wird – die aber als Mehrheitsgesellschafter den Kurs bestimmen.

Auch sie stecken in einem Rollenkonflikt: Als am langfristigen Verlagswohl interessierte Gesellschafter müssten sie Veränderungen betreiben. Als kurzfristiger orientierte Mitarbeiter müssten sie manche Veränderung dagegen hintertreiben, um ihre Privilegien (Konditionen, Mitsprache, Gewinnausschüttung statt nur -beteiligung) zu sichern und nicht mit den Onlinern teilen zu müssen. Doch um den inneren Frieden als Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit des „Spiegel“ zu wahren, kann genau das sinnvoll sein: Die rund 150 Online-Redakteure und weitere etwa 300 Mitarbeiter aus anderen Sparten ebenfalls am Unternehmen zu beteiligen.

Das indes ist eine Entscheidung der Mitarbeiter KG und ihrer bald wieder fünf Chefs. Sie müssen zeigen, dass sie unternehmerisch denken: Klar entscheiden und dann gemeinsam dazu stehen, auch wenn von betroffenen Mitarbeitern Gegenwind kommt. Sonst wird und bleibt der „Spiegel“ tatsächlich das, als was er sich zuletzt bisweilen gezeigt hat: unführbar. Das Haus würde weiter Zeit verlieren bei seiner digitalen Transformation und Gefahr laufen, seinen (dank bisher erfolgreicher Print- und Online-Ausgaben) Vorsprung zu verspielen.

Was Thomas Hass mitbringt

Als Geschäftsführer des „Spiegel“ muss Hass also nicht nur Stratege sein, sondern vor allem Moderator. Er muss vermitteln zwischen allen Gruppen und Interessenlagen im Haus sowie im Verhältnis zum Veto-Mitgesellschafter G+J und, zumindest atmosphärisch, zu den Augsteins. Die Voraussetzungen dafür bringt er mit: Er kennt den „Spiegel“ seit 1992, war seit 2005 Vertriebschef. Und als Mitglied (seit 2007) und Vorsitzender (seit 2013) der KG-Führung ist er verhandlungserfahren im komplizierten Gesellschaftergeflecht.

Natürlich, er verantwortet die durchwachsene Performance der amtierenden KG-Führung mit – allerdings nur zum Teil. Denn er gehörte im Quintett eher zu den Vermittlern als zu den Heißspornen. Und ja, im Werbe- und Digitalgeschäft hat er wenig Erfahrung. Daher halten „Spiegel“-Kreise es für möglich, dass Hass Vermarktungschef Norbert Facklam und Spiegel-Online-Geschäftsführerin Katharina Borchert etwa zu Verlagsleitern befördern könnte. rp

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