Zur Erinnerung: Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums stellt das derzeitige öffentlich-rechtliche System komplett auf den Prüfstand. ARD und ZDF sollten ihr Angebot auf das konzentrieren, was die Privatsender nicht liefern, fordern die Damen und Herren Professoren. Die Zwangsgebühr pro Haushalt sollte durch ein nutzungsabhängiges Bezahlmodell ersetzt werden. Außerdem sollten die Anstalten bitte auf Werbung verzichten. Mehr zum Thema
Rundfunkfinanzierung
Finanzministerium stellt öffentlich-rechtliches System in Frage
Es ist eine kleine Bombe, die das Finanzministerium da kurz vor Weihnachten veröffentlicht hat. Der Wissenschaftliche Beirat des Ministeriums stellt das öffentlich-rechtliche System komplett auf den Prüfstand und fordert weitreichende Reformen.
So weit, so radikal. Nun kann man dazu ja unterschiedlicher Meinung sein. Doch die jüngste schrille Kritik hat das Gutachten nicht verdient. Da sind zum einen der Rundfunkrat und der Verwaltungsrat des Hessischen Rundfunks (HR). Beides also Gremien einer Organisation, die vom Status-quo profitiert. Die HR-Räte haben nun einstimmig und offiziell beschlossen, dass der Beirat des Bundesfinanzministeriums erstens für Rundfunkfragen gar nicht zuständig sei, zweitens antiquierte ökonomische Positionen vertrete und drittens die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkordnung ignoriere. Wegen dieser Defizite könne das Papier keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, verkünden die entrüsteten Räte.
Das Gutachten des Bundesfinanzministeriums passt nicht jedem
Uff. Doch leider ist den öffentlich-rechtlichen Interessenbewahrern in ihrem Furor etwas der Fokus verrutscht. Sie klingen fast so, als wollten sie allen Köpfen außerhalb der
Landespolitik (jaja, schon klar, die ist für Rundfunk zuständig) eigene Denk- und Veröffentlichungsrechte absprechen. Liebe
HR-Funktionäre – auch das Bundesfinanzministerium ist eine Institution des Staates, dessen Grundordnung Ihr besser als jeder andere medial schützen zu können glaubt. Und in dessen Wissenschaftlichem Beirat wirken 32
Wirtschaftsprofessoren. Da ist es schon kess, deren Gutachten als nicht satisfaktionsfähig pauschal in die Tonne zu hauen.
Wissenschaftliches Arbeiten – das heißt auch
Querdenken. Nüchtern überlegen, wie man Dinge vielleicht verbessern könnte, ganz gleich, wer formal „zuständig“ ist. Nachdenken unabhängig von Paragraphen, Proporz und
Pöstchen. Nun, das scheint – selbstverständlich einstimmig! – eine fremde Welt zu sein für die Rundfunkräte des HR. Nur so (und natürlich mit langfristiger Besitzstandswahrung der Gesamtorganisation) ist es zu erklären, dass sich die Senderfunktionäre in
Formalismen flüchten, anstatt sich inhaltlich auseinanderzusetzen.
Ach ja, das
Bundesverfassungsgericht. Man darf getrost davon ausgehen, dass die Professoren die rechtliche Lage kennen. Nur: Ihr Ziel war nicht, eine Chronik der
Rundfunkrechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte zu erstellen – diese Fleißarbeit könnten die HR-Archivare wohl viel akribischer leisten –, sondern das bestehende System ökonomisch (!) zu hinterfragen. Schließlich sind selbst die Verfassungsrichter keine Götter, deren Gebote ewig gelten müssen. Sie können auch mal neu entscheiden! Nämlich dann, wenn sich die Umstände (etwa Märkte) ändern oder
neue Erkenntnisse (etwa wirtschaftswissenschaftliche) dazukommen. Ja, zum Beispiel vom Professorenbeirat des Finanzministeriums. Mit dessen Pauschalverdammung haben die HR-Räte der Systemtransparenz daher einen denkbar schlechten Dienst erwiesen.
Und dann ist da noch
Malu Dreyer. Die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz erteilt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Nachhilfe in Sachen Rundfunkrecht. In einem Brief an Schäuble, der jetzt via „Spiegel“
öffentlich lanciert wurde, zeigt sie sich „befremdet“ über das Gutachten und versucht sich in Süffisanz: „Ich gehe nicht davon aus, dass wir den Beirat an die
Kompetenzordnung des Grundgesetzes erinnern müssen, wonach Rundfunk in die Zuständigkeit der Länder fällt.“ Geschenkt, Frau Dreyer! Auch bei der Politikerin obsiegt also die
Status-quo-Wahrung (in ihrer Landeshauptstadt Mainz sitzen das ZDF und seine auch politisch besetzten Gremien) über den unvoreingenommenen Willen zum inhaltlichen Diskurs.
Viel schneller als die HR-Räte und Malu Dreyer –
nämlich bereits Ende Dezember – hatte der
Deutsche Journalistenverband (DJV) auf das Gutachten reagiert, mit ähnlicher Begründung. Der DJV-Vorsitzende
Michael Konken witterte „marktliberale Thesen“, die den „öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Grabe tragen“ wollten. Doch auch Konken tut hier nur das, was er tun muss: Seine Klientel, die Journalisten, vor den
Unbilden des Marktes und vor weiteren Einsparungen zu schützen, auf dass eher mehr Geld als weniger ins System umverteilt werde.
Die öffentlich-rechtliche Wut auf die Wissenschaft