Die Krautreporter-Mitglieder müssen entscheiden, ob sie das Projekt weiter unterstützen wollen. Egal wie die Abstimmung ausgeht: Im ersten Anlauf ist der groß angekündigte Versuch, den Online-Journalismus zu retten, grandios gescheitert. Eine neue redaktionelle Ausrichtung - Team statt Autoren - soll das Projekt retten. Voraussetzung: Es finden sich genug Unterstützer.
Eins gleich vorweg, und um die Frage "Bleibst Du Krautreporter?", die Geschäftsführer Sebastian Esser am Sonntag per Mail an Mitglieder wie mich stellte, zu beantworten: "Nein, ich bleibe kein Krautreporter." Oder anders gesagt: Ich werde nicht mehr dabei sein, auch nicht als Genossenschaftler. Denn, so der Plan von Esser, aus dem Unternehmen Krautreporter soll eine Genossenschaft werden. Und statt einer Autorenplattform will - vorausgesetzt, es finden sich genügend Geldgeber - man "mehr als feste Redaktion" (Esser) arbeiten.
Nach acht Monaten Krautreporter ist meine Skepsis zu groß. Warum?
Vor knapp einem Jahr diskutierte ganz Medien-Deutschland über den aufregenden Versuch, eine journalistische Plattform abseits hanebüchener Reichweiten-Jagden und Clickbait-Strategien aufzubauen.
Ich habe das Projekt finanziell unterstützt, obwohl mir die Arroganz der Macher – „Der Online-Journalismus ist kaputt“ –
von Anfang an gehörig auf den Zeiger ging. Genauso übrigens wie die Strategie, die es nur Mitgliedern beispielsweise erlaubte, Kommentare zu schreiben oder eine der Partys in Berlin zu besuchen.
Warum ich das Projekt dennoch unterstützte? Weil ich der festen Überzeugung bin, dass Online-Deutschland möglichst viel guten – und möglichst viel unterschiedlichen Journalismus braucht. Krautreporter hätte ein Beispiel für neuen Journalismus und ein Geschäftsmodell abseits von Onlinewerbung und klassischen Paid Content werden können.
Leider muss man konstatieren: Es hat nicht funktioniert.
Krautreporter hat Reichweite mit Relevanz verwechselt
Volker Schütz
Ich war am Anfang relativ häufig auf der schlecht, aber laut Blogbeiträgen teuer programmierten Website. Aber spätestens nach dem Massenmord an der Redaktion des französischen Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ hatte Krautreporter die Vorschußlorbeeren, die dem Projekt zugestanden hatte, aufgebraucht. Die ganze Welt beschäfigte sich mit diesem schrecklichen Thema. Zu Recht. Die Krautreporter brauchten Tage, um einen belanglosen Artikel zustande zu bringen.
Es würde ihnen nicht drum gehen, aktuellen Investigativ- oder Nachrichten-Journalismus zu liefern, betonte Geschäftsführer Sebastian Esser von Anfang an und auch lange nach dem Start immer wieder. Auch HORIZONT Online versucht, nicht jeder Meldung hinterherzuhecheln. Wir hatten bei Charlie Hebdo keine Reporter vor Ort. Aber wir hatten eine Meinung – und die haben wir kundgetan.
In ihrer Abneigung gegenüber Klick-Optimiertem Journalismus hat die Krautreporter-Führungsriege offensichtlich Reichweite mit Relevanz verwechselt.
Eine fatale Fehleinschätzung.
Man sollte gewiß nicht jeden Quatsch, der Zugriffe bringt, mitmachen. Aber ein Projekt, das von sich behauptet, den „kaputten Online-Journalismus“ wieder ganz zu machen, muss relevant sein, wichtige Themen redaktionell covern.
Hier hat Krautreporter bitter versagt.
Auch die morgenlichen Newsletter, die irgendwann eingeführt wurden, haben die Irrelevanz des Angebots nicht beheben können. Morgen-Newsletter, die ihre Leser mit den wichtigsten Nachrichten auf Info-Vordermann bringen, sind derzeit vielleicht das große Ding im Newsletter-Bereich. Das zeigt der Erfolg von Gabor Steingarts „Morning Briefing“ (aber, so viel Eigenwerbung muss sein, auch HORIZONT vor 9). Wenn „Christian von Krautreporter“ frühmorgens den Newsletter verschickt, hat er meist allgemein-unverbindlich intellektuelle Betreffs wie „Laudato si“ (Mail vom 19.6.). Das reizt Menschen, die pro Tag Dutzende oder Hunderte Mails bekommen, nicht zum Öffnen und Lesen der Nachricht.
Berti Vogts hätte helfen können: Das Team ist der Star
Volker Schütz
Vor Jahren hatte Burda-Chef Hubert Burda Medien auf den „Kampf um die Aufmerksamkeit der Leser“ eingeschworen. Die Krautreporter-Macher hätten gut daran getan, Georg Francks Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ – die Grundlage der Burda-Bemerkung – einmal zu lesen.
Es hätte helfen können.
Das eigentliche Grundproblem von Krautreporter ist aber noch nicht mal die Software oder der fehlende relevante Content, sondern etwas anderes. Es wird immer wieder diskutiert, ob/dass im Netz künftig Autoren genauso stark sein werden wie die eigentlichen Medienmarken. Beides miteinander zu verknüpfen, ist aber offensichtlich ein Ding der Unmöglichkeit. Zumindest bei Krautreporter hat der Versuch, eine Traube journalistischer Ich-AGs unter das Dach einer Medienmarke zu bringen, schlicht und ergreifend nicht funktioniert.
Vielleicht fehlte aber auch zu lange nur die ordnende Hand, die die Einzelinteressen von 30 Autoren bündelt und auf ein redaktionelles Ziel lenkt. Das ist eigentlich Aufgabe einer Chefredaktion. Liebe Krautreporter-Chefredaktion: Warum habt ihr euch nicht früher Ex-Fußballtrainer Berti Vogts – ich zitiere ihn nur ungern – zu Herzen: „Das Team ist der Star“. Künftig soll nun "mehr" wie in einer festen Redaktikon gearbeitet werden - und dies mit den Autoren, die fast ein Jahr bewiesen haben, dass sie sich nicht in ein redaktionelles Korsett zwängen lassen.
Die Abneigung gegen den vermeintlich schrecklichen Klickbasierten Online-Journalismus der traditionellen Medien (, die gleichzeitig wichtige Finanzierungsquelle für manchen Krautreporter sind), zeugt von Arroganz - vor allen dann, weil nicht gezeigt wurde, wie die Alternative in der täglichen Praxis aussehen könnte.
Ein Beispiel, dass die Krautreporter selbst nicht wussten, was sie mit der Plattform eigentlich bezwecken, ist der Abschiedsbrief von Stefan Niggemeier. Seine angekündigte Mitarbeit war ein Grund für viele Funder und Sponsoren, Krautreporter zu unterstützen. In einem kurzen Blogbeitrag schildert er,
warum er nicht mehr dabei ist: „Uns trieb die Lust an, ein neues Geschäftsmodell auszuprobieren, aber nicht unbedingt eine gemeinsame redaktionelle Idee. Wir taten uns schwer damit, zu definieren, worüber wir berichten wollen und wie. Krautreporter bietet großartige Freiheiten, Geschichten aufzuschreiben, die woanders so nicht erscheinen könnten, aber das ist noch keine Antwort auf die Frage, was für Geschichten wir dann aufschreiben wollen und sollen und welche Geschichten unsere Leser von uns erwarten können. Es fehlte etwas, das diese Geschichten verbindet — für uns Autoren und für die Leser vermutlich auch.“
Wobei ich mich nach der Lektüre des Niggemeier-Textes frage: Warum hat er sich nicht stärker eingemischt, anstatt ein Jahr später lapidar zu konstatieren, dass es nicht funktioniert hat. Und: Warum hat er nicht mehr Artikel für Krautreporter geschrieben (wenn man in der Krautreporter-Suche Niggemeier eingibt, erhält man einen Treffer!) – schließlich ging es im Projekt doch um das Große und Ganze des Online-Journalismus, und dieser Grundüberzeugung hätten seine Beiträge bestimmt gutgetan.
Nun sollen und müssen also die Mitglieder und künftigen Genossenschaftler entscheiden. Mindestens 6000 sind wohl nötig, um Krautreporter fortzuführen. Ich drücke die Daumen und wünsche viel Glück.