Oliver Hülse, Integral Ad Science
Know-how

Programmatischer Mediaeinkauf verständlich erklärt

Wenn man damals, in den Neunzigern, verstehen wollte, wie digitale Werbung funktioniert, dann war das so einfach, wie bei einem Golf unter die Motorhaube zu schauen. Man sah alle Teile und wusste sofort, wie sie miteinander verbunden waren. Heute sieht das etwas anders aus. Wenn Sie bei der programmatischen Werbung unter die Haube schauen, dann ist es wie in den Motorraum eines Raumschiffs zu schauen. Überall funkelnde Bauteile aus Silizium und Metall, die in Sekundenbruchteilen eine erstaunliche Menge komplexer Berechnungen ausführen. Man möchte viel lieber die Motorhaube wieder herunterklappen als zu versuchen, das Ganze zu verstehen.
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Dabei ist die neue Welt der digitalen Werbung gar nicht so kompliziert, wie sie zunächst aussieht. Lassen Sie uns Schritt für Schritt betrachten, was passiert.

SCHRITT 1: ANNA KLICKT AUF EINEN LINK

Unsere durchschnittliche anonyme Verbraucherin – nennen wir sie einfach „Anna“ – sieht einen interessanten Link zu einem Artikel auf faz.net und beschließt ihn anzuklicken, um den Artikel zu lesen. Dadurch wird eine Vielzahl von Aktivitäten in Gang gesetzt, die alle innerhalb weniger Millisekunden geschehen.

Oliver Hülse
Oliver Hülse verantwortet die Geschäftsaktivitäten von Rocket Fuel in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Er ist für Kundenbeziehungen zu führenden Werbetreibenden und Agenturen verantwortlich. Zudem baut er das Hamburger Team auf und rekrutiert derzeit für die Bereiche Vertrieb und Account Management. Oliver Hülse kommt von der Adconion Media Group, wo er zuletzt als Geschäftsführer der deutschen GmbH tätig war. Der 41-jährige Hamburger begann seine Karriere im Bereich Digital Media Sales vor dreizehn Jahren bei der Verlagsgruppe Milchstrasse und der Tomorrow Internet AG, bevor er anschließend mehrere Jahre als VP International Operations bei Interactive Media CCSP GmbH tätig war.

SCHRITT 2: WELCHE ANZEIGEN SOLL ANNA ZU SEHEN BEKOMMEN?

Der Inhalt des Publishers wird in Annas Browser geladen. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich dort, wo die Anzeigen erscheinen werden, noch leere Flächen. Welches ist die beste Werbung für sie? Woran ist sie genau in diesem Moment am meisten interessiert? Welche Anzeigen wären interessant genug, dass für den Werbetreibenden die Chance auf eine erfolgreiche Conversion besteht? In unserem Beispiel haben wir es mit einer Top-Verbraucherin zu tun, der Viele ihre Werbung zeigen wollen. Doch es ist das System, das darüber entscheidet, ob jetzt eine gute Gelegenheit ist ihr eine Werbeanzeige zu zeigen. Aus Sicht des Publishers geht es darum, möglichst viel Geld damit zu verdienen, dass sich eine besonders gute Kundin wie Anna für ihn interessiert.

Doch was ist dafür der ideale Preis? Eine Ad Exchange eignet sich gut dafür, die Bedürfnisse von Käufern und Verkäufern von Werbung aufeinander abzustimmen, um den optimalen Preis zu ermitteln. Nach ein paar schnellen Berechnungen bietet die Nachrichtenwebseite die Impression einer Ad Exchange an. Und das alles passiert schneller, als Sie blinzeln können.

SCHRITT 3: HEY WERBETREIBENDER, WILLST DU ANNA EINE TOLLE ANZEIGE PRÄSENTIEREN?

Die Ad Exchanges senden potenziellen Bietern eine Angebotsanfrage und eine Reihe von Informationen darüber, wie attraktiv ein bestimmter Verbraucher für sie ist: „Liebe Bieter, folgendes wissen wir über diese anonyme Verbraucherin, aufgrund ihrer Cookies und anderer Daten, die wir über sie besitzen. Zugang zu personenbezogenen Daten erhaltet ihr natürlich nicht, aber dennoch haben wir zahlreiche Informationen für euch. Sie verwendet die aktuelle Version von Firefox für Mac, sie benutzt momentan kein mobiles Gerät, dies ist die URL der Seite, die sie gerade lädt, und du kannst ihr ein schönes 300 x 250 Pixel großes Banner zeigen, falls dein Gebot hoch genug ist.“

SCHRITT 4: MILLISEKUNDEN ZUM ABWÄGEN

Der Werbetreibende muss nun herausfinden, wie viel ihm Annas Aufmerksamkeit wert ist. Die Entscheidung jedes Bieters darüber, wie viel er bieten will, muss innerhalb von 100 Millisekunden erfolgen. Das ist nicht lang, und es werden im programmatischen Ökosystem diverse Technologien eingesetzt, um diese Entscheidung zu treffen. Die primitivsten Technologien – bzw. einfache Algorithmen  –  verwenden für die Entscheidung, wie viel geboten wird, in der Regel einen oder mehrere Faktoren. Zum Beispiel: „Wir bieten für jeden Automobil-Interessenten genau 15 $.“ Das ist zwar einfach, aber nicht besonders clever. Die komplexeren Entscheidungssysteme integrieren maschinelle Lernverfahren in den Bietprozess und berücksichtigen Elemente wie die folgenden:

  • Sind wir dieser Verbraucherin schon einmal begegnet?
  • Was haben wir über sie bereits früher einmal erfahren?
  • Auf welche Arten von Anzeigen reagiert sie besonders gut?
  • Welche Arten von Anzeigen ignoriert sie?
  • Wie viele Daten besitzen wir über diese Verbraucherin?
  • Reichen diese Daten für das Biet-Modell aus, oder sollten wir Daten dazukaufen, bevor wir uns entscheiden?

Wie sich herausstellt, sind wir Anna bereits begegnet und wissen ein paar Dinge über sie, auf Grundlage ihrer anonymisierten Aktivitäten im Browser. Sie ist zwischen 20 und 30 Jahre alt. Sie hat sich kürzlich nach einem Auto der Einsteigerklasse umgesehen. Sie plant für Dezember eine Reise nach Portugal. Unsere lernenden Algorithmen rechnen diese und andere Faktoren mit ein, um für den Fall, dass wir Anna jetzt Werbung zeigen, die Erfolgswahrscheinlichkeit zu bestimmen. Dementsprechend wird dann die Höhe des Gebotes festgelegt. Vorgegebene Gebote gibt es nicht.

Rocket Fuel
Rocket Fuel ist ein führender Technologieanbieter digitaler Werbelösungen für Display-, Mobile-, Social- und Video-Kanäle. Auf Basis von Big Data und künstlicher Intelligenz realisiert Rocket Fuels „Advertising That Learns“™ System Werbekampagnen für Branding oder Direct Response Ziele. Mit der Übernahme des Marketingtechnologie-Anbieters [x+1] im September 2014 bietet Rocket Fuel Datenmanagement, programmatischen Media-Einkauf, Seitenoptimierung und vorausschauende Analysemethoden über alle Paid- und Owned- Mediakanäle hinweg aus einer Hand an und ermöglicht somit die personalisierte Interaktion mit dem Kunden. Internationale Kunden aus Europa, Nordamerika und Japan aus den unterschiedlichsten Branchen zählen bereits zu Rocket Fuels Kunden und nutzen die Technologien, um ihren Marketing ROI zu verbessern. Derzeit zählt Rocket Fuel 22 Standorte weltweit. Rocket Fuels Aktien werden an der NASDAQ unter dem Ticker-Symbol „FUEL“ gehandelt.


Jedes Gebot wird individuell ausgewertet, preislich bewertet und analysiert. Dies geschieht mehrere Milliarden Mal am Tag, und keine zwei Gebote sind dabei komplett identisch. Die naheliegende Frage lautet also: Was macht ein gutes Gebot aus? Die Antwort: Das hängt ganz davon ab, was der Auffassung Ihres Systems nach geschehen wird, wenn Anna die Anzeige sieht. Falls Ihr System der Anzeige eine ziemlich geringe Erfolgswahrscheinlichkeit beimisst, sollte es so wenig wie möglich bieten. In diesem Fall werden Sie die Auktion wahrscheinlich nicht für sich entscheiden. Falls doch, müssen Sie jedoch auch nicht viel für die Anzeige bezahlen und funktionieren könnte sie ja trotzdem. Falls Ihr System der Anzeige aber eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit beimisst, sollte es so viel bieten, wie es rechtfertigen kann, um diese Anna zu erreichen. Maschinenlernende Algorithmen können genau entscheiden, wie viel die Aufmerksamkeit der Verbraucherin wert ist – und in manchen Fällen können sie sogar eine personalisierte Anzeige für sie kreieren und ihr sofort präsentieren. Und da all dies in Echtzeit geschieht, kann es auf einer ganzen Reihe von Faktoren basieren, u. a. Standort, aktuellen Preisen (z.B. von Flugtickets oder Hotelzimmern) und überhaupt fast allem, wozu Daten vorliegen, die bei der Entscheidung helfen.

SCHRITT 5: ZUSCHLAG!

Die Anzeige, die den Zuschlag erhalten hat, ist für Anna ausgewählt worden, erscheint auf der Webseite, und Anna klickt auf die Anzeige

In unserer Zeitlupen-Version der Ereignisse haben wir gesehen, wie hunderte potenzielle Werbetreibende im Bruchteil einer Sekunde hunderte Entscheidungen getroffen haben, um zu bestimmen, welche Anzeige sie Anna zeigen wollen. In diesem Fall gibt es gute Nachrichten für den Werbetreibenden: Anna war guter Laune, als sie die Anzeige gesehen hat. In Kauflaune. Nachdem sie die Auto-Anzeige gesehen hatte, ist sie zum Autohändler gegangen und hat einen Kaufvertrag abgeschlossen – aus der Auto-Interessentin ist eine Neuwagenbesitzerin geworden. Dennoch sollten Sie daran danken, dass die meisten Anzeigen – egal wie brillant sie gemacht sind – einen Verbraucher wahrscheinlich nicht beim ersten Sehen überzeugen. Bereits im 19. Jahrhundert beschrieb Hermann Ebbinghaus die sogenannte Lernkurve, und die gilt auch für den Verbraucher.

FÜNF EINFACHE SCHRITTE IN WENIGEN MILLISEKUNDEN

Damals, zur Zeit der Mad Men (und eigentlich noch bis vor kurzem), dauerte es Monate oder sogar Jahre, bis eine Entscheidung darüber getroffen wurde, welche Anzeige ein Werbetreibender dem Verbraucher präsentieren sollte. Mit der heutigen programmatischen Werbung werden dieselben Entscheidungen binnen Millisekunden gefällt, Milliarden Mal am Tag, auf der ganzen Welt. Es ist eine Strategie, die der Mensch ganz buchstäblich nicht ohne Computer erledigen könnte – bis man eine Anfrage verstanden hätte, wäre es schon zu spät, noch dafür zu bieten.

Deshalb ist es so wichtig, unter die Haube zu gucken. Am Ende gewinnt immer der beste Algorithmus. Welche Ergebnisse eine programmatisch gekaufte Anzeige bringt, hängt fast ausschließlich davon ab, wie gut die Entscheidungen sind, die die Algorithmen treffen können.

Schauen Sie unter der Haube, bevor Sie sich für einen Partner entscheiden. So können Sie von vorneherein feststellen, wer Sie ans Ziel bringen wird und wer eher planlos unterwegs ist.

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