David Hein
HORIZONT-Check

Warum "Politico" es in Europa schwer haben wird, sich als Leitmedium zu etablieren

Seit Dienstagmorgen ist die europäische Variante von "Politico" online. Mit einem Team von 40 Mitarbeitern will Chefredakteur Matthew Kaminski die oft reichlich dröge Politikberichterstattung aus und über Brüssel aufmischen. Der erste Eindruck des Portals überzeugt mit einer gelungenen Mischung aus hintergründigen Stories und einer kräftigen Prise Personality. Ob sich "Politico" als neues Leitmedium für politische Berichterstattung in der EU etablieren kann, erscheint allerdings fraglich.
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Dass große Politik reichlich Stoff für große Dramen liefert, ist nicht erst seit der hoch gelobten Netflix-Serie "House of Cards" bekannt. In der europäischen Politik finden diese Dramen allerdings meist im Verborgenen statt - so es sie denn überhaupt gibt. Politico.eu tritt mit dem Anspruch an, dem großen Theater des politischen Europa eine angemessene Bühne zu bieten: "Das Thema ist ernsthaft, aber deshalb muss die Berichterstattung nicht langweilig sein", betont Politico-Chefredakteur John Harris. Seine Journalisten würden für das Drama der Politik brennen. "Wir versuchen, etwas von dieser Begeisterung, etwas von dieser unterhaltsamen Dimension des politischen Lebens in unserer Berichterstattung zu vermitteln. Es soll Spaß machen, Politico zu lesen."

In den USA ist das Portal mittlerweile eine journalistische Institution und misst sich mit den Schwergewichten der Branche wie der "New York Times", der "Washington Post" und dem "Wall Street Journal". In Europa sind die Voraussetzungen, die politische Medienlandschaft aufzumischen, allerdings ungleich schwieriger.

Dabei ist der erste Blick auf die europäische Version von des Portals vielversprechend: Mit einem ganz großen Scoop kann Politico.eu zum Start zwar nicht aufwarten, immerhin legt sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gegenüber dem Portal fest, dass es keinen Grexit geben wird. Die Themenmischung spiegelt die aktuelle Agenda der EU wider: Die Griechenland-Krise, das EU-Verfahren gegen Google, das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer. Dazu kommen kenntnisreiche Analysen und Kommentare, zum Beispiel über die Gefahren der deutschen Austeritätspolitik.

Darüber hinaus setzt "Politico" bereits erste Duftmarken: Eine große Geschichte über die gesundheitlichen Probleme von Kommissionspräsident Juncker würde man in dieser Form in der "FAZ" oder der "NZZ" wohl kaum finden - "Politico" ist sich offensichtlich auch für Flurfunk-Geschichten nicht zu schade. Personality-getrieben ist auch ein Stück über Marion Maréchal-Le Pen, eine Enkelin von Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen. Diese Beispiele machen deutlich, wohin die Reise gehen könnte: Personalisierung als Mittel, Politik greifbar zu machen.

Politico.eu könnte es also tatsächlich gelingen, frischen Wind in die zuweilen stark ritualisierten Berichterstattung aus dem Riesenapparat EU zu bringen. Ob es dem Portal und der am Donnerstag startenden Printausgabe allerdings gelingen wird, sich als europäisches Leitmedium zu etablieren, muss sich erst noch zeigen. Allein die Sprachbarrieren für das rein englischsprachige Angebot sind in der EU mit seinen 24 Amtssprachen erheblich. Sich gegen die etablierten nationalen Leitmedien durchzusetzen, wird auch "Politico" angesichts des babylonischen Stimmengewirrs in Europa nicht leicht fallen.

"Politico" dürfte daher vor allem für eine relativ kleine Info-Elite eine Bereicherung darstellen, zu deren täglicher Lektüre Titel wie "The Economist", die "Financial Times" oder das "Wall Street Journal" und andere internationale Leitmedien zählen - und die sich auch die happigen Abo-Preise von bis zu einigen Tausend Euro pro Jahr für die kostenpflichtigen Dienste leisten können. dh



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