In einer Woche beginnen die Großkampftage in Köln. Das internationale Klassentreffen der Digitalindustrie nutzen Vermarkter, Dienstleister und Markenartikel zur Standortbestimmung. Ein paar Schlaglichter auf einen Wirtschaftszweig, der vor zahlreichen Herausforderungen steht und für den permanente Veränderung der Normalzustand ist.
Wie jedes Jahr vor der Dmexco überschütten PR-Agenturen die Fachjournalisten mit Erfolgsnachrichten und Interview-Vorschlägen. Doch die ganzen Vorab-Hurrameldungen können nicht kaschieren, dass sich der deutsche Digitalmarkt in einem der gravierendsten Umbrüche der vergangenen Jahre befindet: Schlaglichter auf einen Wirtschaftszweig, der sich permanent neu justiert.
Online-Vermarkter: Neuer Player, neue Chance
Die Digitalszene lebt seit jeher mit gewagten Visionen, abstrusen Prophezeiungen und unglaublichen Prognosen.
Wer vor drei Jahren in einem Londoner Wettbüro seine Ersparnisse darauf gesetzt hätte, dass wenige Jahre später ausgerechnet ein Außenwerber die deutsche Online-Vermarkterszene so durcheinander wirbelt,
wie dies Ströer gerade macht, könnte jetzt in den Vorruhestand treten.
Keine Frage: Vorstandsvorsitzenden Udo Müller und COO Christian Schmalzl ist in den vergangenen zwei Jahren eine unternehmerische Glanzleistung gelungen. Nun muss der neu entstehende Vermarktergigant beweisen, dass er auch
tatsächlich ein Gamechanger ist. Das zusammengekaufte Ströer-Digitalportfolio wirkt für manche Beobachter so verwirrend wie das Dmexco-Kongressprogramm. Dem Börsenkurs hat das nicht geschadet – im Gegenteil.
Doch ob der neue Platzhirsch gegen global agierende Konkurrenten bestehen kann, wird sich zeigen. Zumal die internationale Konkurrenz sich sowieso nicht mehr auf Google und Facebook reduzieren lässt. Instagram, Pinterest und andere Plattformen der zweiten Reihe sind auf dem Sprung; Amazon, Twitter und Otto jetzt schon ernstzunehmende Konkurrenten zu Ströer und anderen Onlinevermarktern deutscher Provenienz.
Mobile und die Medien: Zwischen Nische und Verzweiflung
Medienhäuser stehen derzeit vor einem fundamentalen, kaum zu lösenden Problem: Wie will man die Aktivitäten im mobilen Internet monetarisieren, wenn man es noch nicht einmal geschafft hat, eine langfristige Ertragsstrategie für das stationäre Internet zu etablieren?
Die Umsätze von stationärer Displaywerbung wachsen 2015 allenfalls marginal. Das ist schlecht, zumal die Forderungen nach Transparenz und Leistungswerten immer noch nicht zur Zufriedenheit der Werbungtreibenden beantwortet sind. Die Umsätze von mobiler Displaywerbung dagegen explodieren ähnlich wie die mobile Nutzung insgesamt.
Doch auch das ist nicht nur eine gute Nachricht.
Es hat geschätzte 15 Jahre gedauert, bis die Werbepreise im stationären Netz erodierten. Im Mobile-Bereich purzelten die Preise innerhalb von vier Jahren. Und mobile wiederholt sich möglicherweise, was den Medien schon stationär widerfahren ist: Vom Werbeboom profitieren langfristig vor allen Dingen die großen, globalen Player.
Damit nicht genug.
Die großen Netzwerke versuchen zunehmend, die Menschen möglichst lange auf der jeweiligen Plattform zu halten. Redaktioneller Inhalt, beispielsweise Instant Articles auf Facbook, wird also wichtiger. Das hört sich erst einmal gut an. Doch der Teufel steckt im Detail.
Denn gleichzeitig entwickelt sich aus Facebook und Co.
ein Oligopol von Alpha Apps, die zu einer Zentralisierung der Distribution von Content führen. Das könnte viele Medien unter das mobile Existenzminimum drängen, weil die eigene mobile Website oder App nicht mehr nachgefragt wird. Sie bietet aber auch Chancen.
Die Kooperation zwischen Axel Springer und Samsung für den Samsung-Dienst Upday unterstreicht, wie wichtig Redaktion im mobilen Zeitalter (wieder) wird. Aber wieviel Medienhäuser vom Schlage Axel Springer gibt es in Deutschland?
Programmatic Buying: Gegen das US-Modell
Programmatic Buying kann jeder, Connecting Data keiner. Man mag die Technisierung von Marketing und Werbung verfluchen, ältere Semester von der goldenen Zeit der TV-, Print-, Radio- und Plakatwerbung träumen, als Vermarkter sich einmal im Jahr auf Gattungsevents und Roadshows präsentierten und anschließend nur noch auf die telefonischen Buchungsaufträge warten mussten.
Die Werbeindustrie im Jahr 2015 ist auf dem Weg zur Automatisierung.
Immer häufiger wird Werbung eingekauft, ohne dass es zu Gesprächen zwischen Einkäufern und Verkäufern kommt. Automatisierung ist ein Muss und wird Standard. Und das ist gut so: Automatisierte Werbung ermöglicht effiziente und effektivere Wertung. Theoretisch. Programmatic Buying kann zwar jeder, aber zur intelligenten Datenverbarbeitung ist es noch ein weiter Weg.
Was fehlt, sind intelligente Datenverknüpfungen zwischen CRM, Programmatic Buying, Kundenberatung und Third-Party-Daten – und dies alles bei Einhaltung der Datenschutzrichtlinien.
Vor allen Dingen sollte der Trend zur Automatisierung von allen Beteiligten genutzt werden, Transparenz zu schaffen. Dies auch als klare Alternative zum „amerikanischen Modell“ mit Marktplätzen und Open Exchanges, die Einfallstore für Klickbetrüger und Robot Traffic sind.
Die Strategie für Werbungtreibende: Weniger ist manchmal mehr
Machen Sie einen Test: Wie viele Werbeformate können Sie in 30 Sekunden aufzählen? Sie werden feststellen: Die Zahl der Werbekanäle, -Plattformen und -Möglichkeiten übersteigt schon längst das, was man in einer halben Minute aufsagen kann.
Und es werden täglich mehr.
Es wäre früher undenkbar weil unnötig gewesen, dass es Dienstleister gibt, die sich nur mit den Werbemöglichkeiten auf RTL beschäftigen. Oder auf Pro Sieben. Im Digitalen gibt es Agenturen, die ausschließlich auf Anzeigenformate auf Google spezialisiert sind. Oder auf Facebook. Und demnächst vielleicht auf Twitter, Snapchat, Instagram, Pinterest und anderen. Kommerzielle Kommunikation ist zu einem unüberschaubaren Universum geworden.
„Reduce to the max“ sollte die Devise bei Werbungtreibenden lauten. Man kann, man darf nicht alles machen, was technisch möglich ist. Marketingerfolg hängt ganz entscheidend davon ab, wie gut man digital und analog miteinander verknüpft.
Alptraum Adblocker: Wo bleibt kreative Werbung?
Was verdanken Google, Facebook, Apple, Tinder, Instagram und Venture-Capital-Stars wie Uber und AirBnB ihren Erfolg?
Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf die eine oder andere Art das Leben der Menschen verbessern, erleichtern oder bereichern.
Problematisch ist, dass Konsumenten dieses 24/7-Prinzip nicht nur von Unicorns, sondern von allen Unternehmen erwarten. Das verändert nämlich auch die Erwartungen an Werbung. Kommunikation muss relevant sein und sich zunehmend als Produktleistung verstehen. Ein wichtiger Grund, dass weltweit 200 Millionen, in Deutschland 18 Millionen Menschen Adblocker einsetzen, hat damit zu tun, dass die meiste Digitalwerbung für die Menschen, an die sie sich richtet, offensichtlich keine Bedeutung hat.
Google Adwords, Anzeigen und Videos auf Facebook, aber auch Native Advertising bei jungen Medienunternehmen wie Huffington Post oder Buzzfeed zeigen, dass Werbung für Nutzer bedeutend und interessant sein kann.
Natürlich tun die betroffenen Werbeträger gut daran, gegen entsprechende Anbieter vorzugehen (dass ausgerechnet ein Adblocker-Anbieter eines der wenigen international erfolgreichen deutschen Start-ups ist, kann einem ganz schön zu denken geben).
Doch Werbeblocker lassen sich mit technischen Kniffen oder juristischen Auseinandersetzungen nicht verhindern.
Sie sind ein kulturelles Phänomen. Solange die meiste Digitalwerbung in der Regel so schlecht, nutzerunfreundlich und unbedeutend ist wie derzeit, wird es Werbeverweigerer geben. Gegen Adblocker hilft nur andere und bessere Werbung.