David Hein
Die neue "Wired" im HORIZONT-Check

Ein Heft wie das Netz - prallvoll mit unnützem Wissen

"General Interest" statt "Geek Interest" - würde man die erste reguläre Ausgabe der deutschen "Wired" an ihrem eigenen programmatischen Anspruch messen, dann müsste das Urteil vernichtend ausfallen. Denn das Magazin ist randvoll mit herrlich unnützem Wissen, das man sonst nie gesucht hätte. Spaß macht die neue "Wired" trotzdem - wenn man gute Augen hat.
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Eigentlich will "Wired" in Deutschland ja raus aus der nerdigen Tekkie-Ecke: "Der digitale Wandel und die daraus resultierenden Innovationen betreffen längst alle Lebenbereiche", sagt Chefredakteur Nikolaus Röttger zu der inhaltlichen Ausrichtung des nun endlich regelmäßig erscheinenden Technik-Magazins. "Wir verstehen 'Wired' darum als ein General-Interest-Medium, das Informations- und Orientierungsquelle für alle ist, die über Entwicklungen in Technologie, Digitalkultur, Wissenschaft, Business und Design auf dem Laufenden sein wollen."

Das ist in Deutschland allerdings eher eine relativ kleine Minderheit, wie die allgemeine Gleichgültigkeit angesichts des NSA-Skandals gezeigt hat. Auch eine Leserbefragung, die der Verlag Condé Nast zum Start der ersten deutschen Ausgabe Ende 2011 durchgeführt hatte, belegt, dass der klassische "Wired"-Leser doch zu einer recht klar umrissenen Zielgruppe gehört: So waren die Leser der ersten Ausgabe zu 88 Prozent männlich, 86 Prozent hatten Abitur und 98 Prozent waren berufstätig oder befanden sich gerade in Ausbildung. Ob es dem Team um Chefredakteur Röttger gelingt, die Zielgruppe mit der neuen "Wired" wesentlich zu erweitern, erscheint zumindest fraglich. Denn der Spagat zwischen der DNA des Tekkie-Kultmagazins und tatsächlichem General Interest gelingt nur bedingt.
Ein Highlight der aktuellen Ausgabe: Das Interview mit Google-Chairman Eric Schmidt
Foto: Condé Nast
Ein Highlight der aktuellen Ausgabe: Das Interview mit Google-Chairman Eric Schmidt


Schon das Titelthema "Die Zukunft des Ich" klingt reichlich sperrig. Auch der entsprechende, mit Fachbegiffen gespickte Text ist dann doch eher etwas für Geeks als für allgemein technikinteressierte Leser. Näher an der Lebenswirklichkeit sind da schon Geschichten wie die über die Zukunft des Autobaumobilbaus bei BMW oder den Anbau von Nutzpflanzen in riesigen Gewächshäusern. Auch das Interview mit Google-Chairman Eric Schmidt bietet sicher auch nicht-netzaffinen Lesern interessante Einsichten. Eher fehl am Platze wirken dagegen weitgehend aus dem inhaltlichen Zusammenhang gerissene Geschichten wie eine Doppelseite über Honigbienen im Himalaya oder Chilisauce, auch wenn sie das oft sehr kleinteilig wirkende Heft optisch durchaus auflockern. Das detailverliebte und teilweise avantgardistische Layout sowie die teilweise winzige Schrift sind ebenfalls eher ein Fall für junge Augen.

Die neue "Wired" durchzublättern, ist ein wenig so, als würde man relativ ziellos im Internet herumsurfen - man entdeckt an jeder Ecke spannende Dinge, viel unnützes Wissen und die eine oder andere Perle. Mit General Interest hat die deutsche "Wired" aber in etwa so viel am Hut wie Angela Merkel mit dem Internet - und das ist vielleicht auch ganz gut so. Wie lautete doch das Titelthema der ersten Ausgabe 2011: "Gebt Deutschland den Geeks. (Sonst will's ja keiner)". dh
Die November-Ausgabe der deutschen "Wired"
Foto: Condé Nast
Die November-Ausgabe der deutschen "Wired"




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